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IU. 191.
Crftes Blatt.
Freitag de« 20. August 1915.
42. Zahrgang.
Slugusi
Nowo Seorgiewsk erobert.
Ueberaus reiche Siegesbeute.
Einbruch in die Vorstellungen von Brest-Litowsk. — Die Bahn Bialy-
stok»Brest erreicht. — Neber 27 70V Mann gefangen. — Schwere italienische
Berlnste
Feinde. Unter dem Drucke unseres Borgehens hat
der Gegner das O ft «f e r d e s B u a auch unter¬
hall' und oberhalb von Wlodawa geräumt: er wird
verfolgt. Oberste Heeresleitung.
wtb. Großes Hauptquartier, 20. Aug.
1915. (Amtl. Tel.) Die Festung N - w o-
Georgiewsk, der letzte Halt des Feindes
in Polen, ist nach hartnäckigem
Widerstand genommen. Die ge¬
samte Besatzung, davon gestern im End¬
kampfe allein über 20 000 Mann und
vorläufig unübersehbares Kriegs¬
material fielen in unsere Hand. Se.
Majestät der Kaiser hat fich nach Nowo-
Georgiewsk begeben, um dem Führer des
Angriffs, General der Infanterie von
Beseler, wie den tapferen Angriffs-
trnppen seinen wie des Vaterlandes Dank
anszusprechen.
Oberste Heeresleitung.
Zer deiiMe AMrlA.
wtb Großes Hauptquartier. 19.
1915.
Westlicher Kriegsschauplatz:
Zwischen A n g r e s »nd Souchez führte der
Gegner gestern abend einen während des ganzen
Tages durch Artilleriefcuer vorbereiteten An¬
griff durch: er drang stellenweise in unsere vor¬
dersten Gräben ein und hält in der Mitte des An-
grifssabschnittes einen Teil noch besetzt, ist auf der
übrigen Front aber bereits geworfen.
In den Vogesen erneuerte der Feind gestern
seine Angriffe nördlich von M L n st e r gegen unsere
Stellungen auf Lingekopf und Schratzmannle nach
vorübergehendem Vordringen bis in einzelne unse¬
rer Gräben. Auf dem Lingekopf ist der Gegner dort
überall zurückgeschlagen, am Schratz-
männle ist der Kampf noch im Gange.
Ocstlicher Kriegsschauplatz: —;
’[ Heeresgruppe des Generalfcldmarjchalls Hz
von Hindenburg.
Bei der Einnahme von K o w n o wurden noch
39 Offiziere und 3900 Mann gefangen genommen.
Unter dem Druck der Fortnahmc von Kowno
ränmien die Russen ihre Stellungen gegenüber
Kalwarja — Suw alki; unsere Truppen
folgen.
Weiter südlich erstritten deutsche Kräfte den Na-
rcw Ucbcrgang westlich Tykocin und nahmen da¬
bei 800 Russen gefangen.
Tic Armee des Generals v. Gallwitz machte
Fortschrite in östlicher Richtung. Nördlich Bielsk
wurde die Bahn Bialystok — Brest-Li-
towsk erreicht. 2000 Russe« lvnrdcn zu Gefange¬
nen gemacht.
Im Rordostabschnitt von Nowo-Geor-
g i c w s k überwanden unsere Truppen 'den Wkra-
Abschnitt; zivei Forts der Nordfront wurden
erstürmt. Ueber 1000 Gefangene rßld 125 Geschütze
sielen in unsere Hand.
Heeresgruppe des Generalfeldniarschalls
Leopold von Bayern.
Tex linke Flügel trieb den Feind kämpfend vor
sich hex und erreichte abends die Gegend westlich und
südwestlich von Mielejezyce.
Ter rechte Flügel, über de,, Bug bei Mielnik
oorbrcchend, warf den Gegner aus seine,, starken
Stellungen nördlich des Abschnittes u„d ist im wei¬
teren Borgehen.
Heeresgruppe des Gcneralfelnmrschalls
von Mackensen.
Auch hier wurde zwischen Niemirow und Janow
der Bugübcrgang von de« verbündeten Truppen er¬
zwungen.
Bor Brest-Litowsk draugen deutsche Trup¬
pen bei Rokitno tsüdöstlich von Janow) in die Vor¬
st e l l u n g e n der Festung ein. Oestlich von
Wlodawa folge» unsere Truppen dem geschlagenen
Lestereichisch-ungarischer Tages bericht,
wtb SB i c n, 19. August 1915. Amtlich wird ge¬
meldet:
Russischer Kriegsschauplatz:
Die unter den Befehlen des Erzherzogs Joseph
Ferdinand und des General v. Koeveß stehen¬
de« österreichisch-ungarischen Kräfte erkämpften üch
nördlich von Janow und Konstantyno,» den
Bug. Niemirow und andere Orte am Norduser
wurden gestürmt. Ter Feind ist gewogen, die wei¬
tere Verfolgung im Gange. Tie Einschlietzungsa
trupp«« von Brest-Litowsk, in deren Mitte
sich die Divisionen des Fcldmarjchalleutnants v. Arz
befinden, entrissen dem Gegner einige Vorfeldstel¬
lungen. Bei Wladi mi r-W o l y n s k i j und in
Ostgalizien nichts Neues.
Italienischer Kriegsschauplatz:
Gegen unsere Tiroler Werke setzte die italienische
schwere Artillerie thr Feuer auch während des gestri¬
gen Tages und der heutige« Nacht fort. Ein An¬
griff von zwei feindlichen Bataillone» auf unseres
Vorfeldstellungen am Plateau von Folgaria
wurde abgewiesen. Tie heftigen Kämpfe im nörd¬
lichen Abschnitte der küstenländischen Front
dauern fort. Ein stärkerer Angriff gegen 'den Hzli
scheiterten wie alle früheren. Gege« den Tüdtcil des
I Tolmciner Brückenkopses griffen die^ Italiener nach¬
mittags und abens sechsmal vergeblich an.
I Auch nachts wurde erbittert gekämpft. Nach wie vor
ist der Brückenkopf fest in unseren Händen. Min-,
bestens 600 noch ungeborgene italienische Leichen
liegen hier vor unseren Gräben. Im G ö r z i s ch e n
hält das gewohnte Geschützfcuer an.
Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabs:
v. H o e f e r, Feldmarfchallentnant.
1
Eine neue Siegeskunde! lieber Now o-Ge or¬
gle wsk weht die deutsche Flagge. Tie Eroberung
dieser starken Festung am Zusammenfluß des Bug
und des Narew ist wieder ein Markstein in der Ent¬
wicklung der Kriegsereignisse. Zwar das Borrücken
unserer Front war von ihrer Bezwingung nicht ab¬
hängig. Unsere Truppen sind längst an ihr vorbei¬
geflutet und an Warschau vorbei weiter bis an die
östliche Grenze Polens gedrungen, nur einen Be-
kagerungsriug zurücklasscnd. Aber dieses Bclagr-
rungsbeer wird seist frei, und die von Ostpreußen
nach Warschau führende Bahnlinie, die durch Nowo-
Georgiewsk führt, steht uns jetzt ungehindert zur
Verfügung.
Nowo-Georgicwsk ist die vierte russische Festung,
die in diesem Monat zu Fall gebracht wurde. 16
Festungen im Westen und Osten sind bisher von
deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen ge¬
nommen worden. Demgegenüber können unsere
Feinde nur die Bezwingung des verlorenen Postens
von Tsingtau für sich buchen. Tenn Brezemysl,
bas dem Hunger erlag, ist längst wieder fit unseren
Händen. Gerade die Geschichte der galizischen Fe¬
stungen aber zeigt deutlich die Nebcrlegenheit unse¬
rer Waffen. Zweimal wurde Przemhsl von den
Russen bestürmt, das erstemal fast einen Monat und
über 70 000 tote Russen lagen vor den unbezwun-
zenen Wällen. Zum zweiten Male belagerte eine
russische Armee die größtenteils mit alten Ge¬
schützen ausgerüstete Festung 4% Monate ^erfolglos,
bis der Hunger die Besatzung zur Kapitulation
zwang. Verreichen wir damit nur die Leistungen
unserer Angrisfstruppen vor Lüttich, Antwerpen,
Kowno und Nowo-Georgiewsk! Nach einem mitz-
Mckte« Handstreich am 7. August wurde Lütfich am
nächsten Tage im Sturm genommen. Am 28. Sep¬
tember meldete die deutsche Heeresleitung den Be¬
ginn der Beschießung von Antwerpen, und am 10.
Oktober war die Scheldefestung, die „stärkste Fe¬
stung der Welt", unser. Und Kowno! Die Festung
war sehr stark armiert und ist von den Russen mit
verzweifelter Zähigkeit verteidigt worden. Am 7.
, August meldete der deutsche Generalstab zum ersten
t.Mgle Kirrjchritte unserer Angriffstrupperr gMsi die
I i
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Westfront. Und am 18. bereits war sie in unserer
Hand. Nicht viel länger hat sich Nowo-Georgiewsk
gehalten. Der gestrige Tagesbericht konnte noch mel¬
den, daß auf der Nordfront 2 Forts, die bisher noch
Widerstand leisteten, erobert wurden, nachdem die
Deutschen die oberhalb von Nowo-Georgiewsk in den
Bug strömende Wkra im Sturm überscl^»»en Hat¬
tert.' Die Russen scheinen durch das schnelle deutsche
Vorgehen außerordentlich überrascht worden zu
sein, denn sie hatten ihre Artillerie in den Forts
lasses müssen.
D« endgilttge Fall von Nowo Georgiewsk war
weder von dm Russm noch von chren Verbündeten
so bald erwartet worden. Soebm noch schrieb dem
Pariser „Pettt Journal" sein Berichterstatter Nau-
deau aus dem Russischen Hauptquartter:
Man weiß noch nicht, welche russischm Kräfte sich in
Nowo Georgiewsk befinden, vor^allem, welche
Vorräte dort angehäust sind. Wir muffen uns aber
daran erinnern, daß Port Arthur, als es eingeschloffen
war, noch acht Monate den japanischen Angriffen
widerstand. Ehe acht Monate dahin sind, werden unsere
tapferen Verbündeten aber von neuem den Vormarsch
haben antretm können. Das, was um Kowno vor sich
geht, wo die wiederholten Sturmagriffe der Deutschen
abermals zurückgewiesen worden sind, und desgleichen
die endlose Belagerung von Offowiez, berechtigen zu
wünschten, um nicht durch die Nichtachtung unserer Vor-
wo-Georgiewsk und seines schließlichen Entsatzes.
Was unr Kowno vor sich gegangen ist, hat den
Franzosen, msttlerweile schon gezeigt, zu welchen Hoff¬
nungen diese PropheMungm berechtigen. Allzusehr
dürften sie deshalb jetzt auch nicht mehr über den Fall
von Nowo Georgiewsk überrascht sein.
Bei Brest-Litowsk sind Truppen der Hee¬
resgruppe Mackensen beretts in die Vorstellun¬
gen der Festung bei Rokitno auf dem Westufer des
Bug eingedrungen. Nördlich davon haben deutsche
Truppen zwischen Janow und Niamirvw den Bug,
der hier ein doppeltes Knie von Ost nach Nord und
von Nord nach West bildet, überschritten und sind
auf das Ostufer gedrungen. Oberhalb der Festung
haben die deutschen Truppen bei Wlodawa den Bug
überschritten und drängen die Russen in östlicher
Richtung von der Bahnlinie Cholnt-Brest-Lttowsk
ab.
Auf dem linken Flügel der Heeresgruppe
Mackensen schließt sich die Heeresgruppe Prinz
Leopold von Bayern an, die den Bug bei Miel¬
nik überschritten und den Feind aus den starken
Stellungen, die er an der Chaussee von Radsiwiloka
nach Wissako-Litowsk inne hatte, geworfen hat. Der
linke Flügel der Heeresgruppe Prinz Leopold von
Bayern erreichte nördlich von Mielnik die Sumpf¬
gegenden von Mielejezyce und Vertrieb den Feind
aus allen Stellungen, die er zur Verteidigung ein¬
gerichtet hatte.
Wetter nördlich anschließend hat die zur Heeres¬
gruppe Hindenburg gehörende Armee Gall-
w i tz nördlich von Bielsk die wichtige Bahn
Bialystok - Brest - Litowsk erreicht. In heftigen
Kämpfen gelang cs ihr, 2000 Russen zu Gefangenen
zu machen.
Die Beute von K o w n o ist noch größer, als zu¬
erst gemeldet. 30 Offiziere und 3900 Mann wurden
gefangen genommen, und der Druck, den die deut¬
schen Erfolge bei Kowno auf die russische Stellung
ausübte, machte sich sofort weiter südlich bemerkbar,
wo die Russm ihre seit Monaten östlich der Linie
Suwalki - Kalwarja inne gehabten Stellungen
räumten.
Auf dev We st front versuchen die Franzosen er¬
neut bei S o u ch e z zur Offensive vorzugehen. Ihr»
Anstrengungen, die anfangs Erfolg hatten, wurden
bald durch die deutschen Gegenangriffe wett gemacht.
-—es—---r—-
Deutscher MeichstaU.
- Sitzung vom 19. August.
Haus und Tribünen sind sehr gut besetzt, letztere stel¬
lenweise überfüllt.
Am Bundesratstische Reichskanzler von Bethmann
Hollweg, Dr. Delbrück, Dr. v. Jagow, Dr. Lisko,
Kraetke, Dr. Lmtze, Havenstein, Dr. Sols, Helfferich.
Präsident Dr. Kämpf eröffnet die Sitzung um 2 Uhr
24 Min. mit einer rückblickenden Ansprache. Er kenn¬
zeichnete weiter die militärische Lage, tn der wir in das
zweite Kriegsjahr eingetreten, gab dem Dank gegen
Gott, den Kaiser, die Heerführer, die Mannschaften, die
Beamten und das ganze Volk, das sich willig in den
Dienst unserer großen Aufgabe gestellt, warmen Aus¬
druck. Redner schloß mit der Zuversicht, daß wir den
Frieden erkämpfen, würden, der für alle Völker zu freier
Kul^rcmtwickluirg den Weg breche und Deuffchland sicher
stellen würde gegen alle Feinde und gegen, alle Gefahr.
Dann widmete das Haus dein verstorbenen früheren
Herrenhausprästdentm v. Wedel-Piesdorf ein ehrendes
Gedenken.
Beim Nachtragsetat ergreift
Reichskanzler v. Bethmann Hollweg
das Wort: M. H., seitdem Sie das letzte Mal tagten,
ist wieder Großes geschehen. Aber alle mit Todesver¬
achtung und dem äußersten Einsatz von Menschenleben
unternommenen Versuche der Franzosen, unsere West¬
front zu brechen, sind cm. der tapferen Ausdauer un¬
serer Truppen gescheitert. (Beifall.) Italien, der
neue Feind, der das von ihm begehrte fremde Gut so
leHtihin erobern zn können glaubte, ist bisher glänzend
abgewehrt, trotz seiner zahlenmäßigen Uebermacht, trotz
der schonungslosen Aufopferung von. Menschenleben, die
er doppelt umsonst zn bringen sich nicht gescheut hat.
Unerschüttert und unerschütterlich steht die türkische Ar-
mee an der Dardanellenfront. (Lebh. Beif.) Wir
grüßen unsere treuen Verbündeten. (Erneuter lebh.
Beif.) Ueberall, wo wir selbst die Offensive ergriffen
haben, haben wir den Feind geschlagen und znrückgewor-
fen. (Lebh. Beif.) Wir haben zusammen mtt unseren
Verbündeten fast ganz Galizien und Polen, wir
haben Litauen und Ku r l a n d von den Russen be¬
freit. (Lebh. Beif.) Jwcmgorod, Warschau und Kowno
sind gefallen; weit in Feindesland bilden unsere Linien
einen festen Wall. Starke Armeen haben wir
frei zu neuem Schlage. (Stürm. Beif.) Voller
Dank gegen Gott und voller Dank gegen unsere herr¬
lichen Truppen und ihre Führung (lebh. Beif.) können
wir fest und zuversichtlich der Zukunft entgegensehen.
(Erneuter, süirmischer Beifall.)
Dankerfüllt gedenken wir der werktätigen Nächsten¬
liebe der uns benachbarten neutralen Staaten,
der Niederlaride, Schweden und der Schweiz. Ich widme
ein Wott besonderer Dankbarkeit Seiner Heiligkeit
dem Papste, der dem Gedanken des Gescmgenenans-
tausches und so vielen Werken der Menschenliebe wäh¬
rend des Krieges eine unermüdliche Telnahme erzeigt
und cm ihrer Durchführung ein ausschlaggebendes Ver¬
dienst für sich hat und der noch ganz kürMh durch eine
hochherzige Spende dazu beiträgt, die Leiden unserer
Ostpreußen zn mildern. (Lebhafter Beifall.)
Unsere Gegner laden eine ungeheure Blutschuld
auf sich, wenn sie die Parole ausgeben, diesen Krieg
durchznfechten bis zum letzten Ende (Sehr richtig und
Zustimmung). Wo sie ihre Niederlagen nicht ableugnen
können, da dienen ihnen unsere Siege dazu, um neue
Verleumdungen gegen uns zu häufen (Sehr
richtig!): wir hätten im ersten Kriegsjabre gesiegt, weil
wir diesen Krieg heimtückisch vorbereitet hätten, während
sie in ihrer unschuldigen Friedensliebe nichts ahnten.
(Heiterkeit.) Nun, m. H., vor Tische las man's anders.
Sie entsinnen sich noch der kriegerischen Arttkel, die der
russische Kriegsminister ttn Frühjahr 1914 in der Presse
verbreitet, in denen er die volle .Kriegsbereitschaft der
russischen Armee pries (Sehr ichtig!), wir entsinnen
uns auch der stolzen und vielfach herausfordernden
Sprache, deren Frankreich sich im letzten Jahr bedient
hat. (Sehr richtig!) Sie wissen, daß Frankreich, so oft
es die russischen Geldforderungen befriedigte, sich ausbe-
dang, daß immer der größte Teil der Anleihe strategi¬
schen Zwecken diente. (Sehr richtig!) England ist mit
unheimlich geschäftlicher Nüchternheit in diesen Krieg
gezogen in der Ueberzeugung, daß es und seine Ver¬
bündeten fertig gerüstet seien. (Sehr richtig!) Die
Fabel, daß England Belgiens wegen in den Krieg gezo¬
gen sei, ist inzwischen in England selbst aufgegeben wor¬
den (Heiterkeit), weil diese Fabel eben nicht länger zu
halten war. Und ob die kleinen neutralen Mächte wohl
jetzt noch glauben, daß England und seine Alliierten den
Krieg führen zum Schutze von Freiheit und Zivilisation?
(Sehr gut!) Der neutrale Hcmdel aufSee wird von Eng-
lcmd eingeschnürt, soviel es kann. NeuttaleSchiffe werden
gezwungen, auf hoher See englische Mannschaften an
Bord zu nehmen und ihrem Befehl zu folgen. (Hört,
hörtti England besetzt kurzerhand gttechffche Inseln.
Mit seinen Alliierten will es jetzt das neutrale Griechen¬
land zn Gebietsabtretungen pressen, um Bulgarien auf
seine Seite zu ziehen! In Polen verwüstet Rußland
rJeujE diPl Rückzizg« .das gWM.Lwd,
Dörfer werden niedergcbrannt, die Getreidefelder nieder
getrampelt, die Bevölkerung ganzer Städte und Ort¬
schaften, Juden und Christen, wird in unbewohnte Ge¬
genden verschickt, übernachtet in dem Sumpf russischer
Straßen oder in plombierten fensterlosen Gepäckwagen.
(Pfuirufe). So sieht die Freiheit und die Zivi¬
lisation aus, für die unsere Gegner kämp¬
fen. (Sehr gut!) — England, der Verfechter der Neu¬
tralität Belgiens und der kleinen Staaten, trug keine
Bedenken, sich mit Frankreich über Egypten und Marokko
zu verständigen trotz der gegenüber ganz Europa eingo-
gangenen feierlichen Verpflichtung: „Wer eine solche
Polttik treibt, hat nicht das Recht, einem Lande, das 44
Jahre den europäischen Frieden geschützt hat, Barbaris,
mus und Ländergier vorzuwerfen."
Hierauf besprach der Reichskanzler die in der Nord¬
deutschen Allgemeinen Zeitung veröffentlichten belgi¬
schen Dokumente. Die Berichte des belgischen Ge¬
sandten sind der beste Beweis für die Schuld Eng¬
lands an diesem Krieg; daher werden sie auch
in England unterdrückt. Wenn nur Baron Greindl so
berichtet hätte, so könnte man sagen, er habe unter deut¬
schem Einfluß gestanden. Aber seine Londoner und Pari¬
ser Kollegen haben ja genau dasselbe Urteil über die
englische Einkreisungspolitik gefällt wie er von Berlin
aus. Aus den belgischen Gesandtschaffsberichten geht in
Uebeveinstimmung hervor, daß die Ententepolitik wäh¬
rend der letzten zehn Jahre daraus gerichtet war,
Deutschland zu isolieren und sich auf einen
Angriff zu richten. Es gibt nun Kreise, die mir wohl)
politische Kursichtigkeit vorwerfen werden, weil ich inte
Mer noch versucht habe, trotz der Kenntnis dieser Vox^
Finge eine Verständigung mit England Here
beizuführen, und sei es auch mit noch so geringen Hofft!
nungen, mit denen ich die Versuche immer wieder er^
neiterte bis zu dem Tage, an dem der menschenmordend«
Weltbrand hereinbrach Wäre eine ausrichttge Verstän¬
digung zwischen Deutschland und England zustande ge-
konrmen, dann würde dieser europäische, dieser ganze
Weltkrieg vermieden worden sein. Ich danke es meinem
Gott, daß ich immer wieder versucht habe, dieses Ziel
zu erreichen und dieses Ziel auch inimer noch angestrebt
habe, als es sich bereits als aussichtslos herausstellts.
Ich mußte das tun, weil es sich um Millionen von Mer»
schenleben handelte.
Der Reichskanzler schilderte dann im einzelnen, wi«
er nach dem Tode des Königs Eduard die Verständig-
ungsverhandlungen mit England besonders energisch be¬
trieben hatte. Mit Lord Haldane versuchte ich die
Verständigungsformel zn finden, dieser fragte mich, ob
nicht in demselben Augenblick, wo Deutschland seinen
Rücken gegen England frei hätte, Deutschland über
Frankreich herfallen würde. Ich konnte ihm erwidern,
daß Deutschland während 40 Jahren bewiesen habe, daß
es keinen Angriffs- und Eroberungskrieg führe und daß
ein solcher Vorwurf nicht gerechtferttgt sei. Wenn wir
über Frankreich hätten hersallen wollen,, so hätte« wir
dazu doch Gelegenheit gehabt im Burenkrieg und wäh¬
rend des russisch-japanischen Krieges. Wir hätten doch
wahrlich unsere Friedensliebe bekundet. (Stürmischer
Beifall.) Ich s-^te ihm, wir wünschten auftichtigen
Frieden mit Frankreich, ebenso wie mit jeder anderen!
Macht. Ein absolutes Neuttalitätsversprechen wurde
von England uns gegenüber abgelehnt. Wir forderten
dann, daß England die Neutralität einhielte, wenn
uns der Krieg aufgezwungen würde. England
lehnte auchdas rundweg ab und zwar, wie Sie
Edward Grey unserem deutschen Botschafter gegenüber
erklärte, aus der Besorgnis, daß sonst die englischen
Freundschaften mit anderen Mächten gefährdet werden
könnten. (Lebhaftes Hört! HörtN England ivvllte sich
nur bereit erklären, zu sagen, daß cs nicht ohne Grund
über uns hersallen würde, cs behielt sick aber
freie Hand vor, für den Fall, daß seine Freunds
über uns herfielcn. Minister A s g u i t h hat am 2. Ok¬
tober 1914 nun in einer össentlichen Rede einen Teil
dieser Verhandlungen mitgetelt, aber nur Bruchstücke.
Er hat mitgeteilt, daß wir die unbedingte Neu-
talität verlangt hätten. Diese Behauptung von As-
quith ist eine Entstellung. (Sehr richtig!) Aller¬
dings hatten wir unbedingte Neutralität gefordert, wis
ich das eben gesagt habe, im Verlaus der Verhandlungen
aber hatten wir uns aus Neutralitätsforderung für den
Fall beschränkt, daß Deutschland ein Krieg anfgezwun-
gen werden sollte. Das hat Asquith seinen Zu¬
hörern vorenthalten. (Hört! hört! ■— Zuruf:
Fälschung.) Ich halte nttch für berechtigt, zu sagen, daß
er damit die öffentliche Meinung in Eng¬
land in unverantwortlicher Weise irr«'
geführt hat. (Sehr richttg!) Aber freilich, hätte er
eine vollständige Darlegung gegeben, dann hätte er in
seiner Rede nicht so fortfahren können, wie «r es taffäch-
lich getan hat. Er sagte: „Und diese Forderung"
nämlich die der unbedingten Neutralität — „stellten die
deutschen Staatsmänner in einem Augenblick, in dem
Deuffchland beides, seine aggressiven wie seine defen¬
siven Machtmittel, besonders ans dem Meere, ungeheuer
vermehrt hatte. Sie verlangten. ,rm «s ganz klar zu
sagen, daß wir ihnen freie Hand geben, falls sie sich ein«
Gelegenheit aussuchten, Europa zn überwälttgen. (La¬
chen.) Meine Herren, es ist mir u n f a ß l i ch, um kei¬
nen anderen Ausdruck zu gebrauchen, wie ein hoher
Staatsmann und Ministerpräsident einen Vorgang,
den er genau kannte, objektiv so unrichtig
dar st eilen konnte, um daraus Schlüsse zu
ziehen, die der Wahrheit ins Ge sicht schla¬
gen. (Sehr richtig!) Wir wollen vor aller Welt Ver¬
wahr u n g einlegen gegen diese Unwahrhastigkeit und
Verleumdung, mit der uns unsere Gegner bekämpfen.
(Stürmischer Beifall.) Nachdem wir mit äußerster Ge¬
duld versucht haben, bis zum letzten Augenolick «ine Ver-
ftärrdigung herbeizusühren, sollen wir jetzt noch vor alle
Welt an Len Pranger gestellt werden. Mag das jetzt
auch von unseren Gegnern nach ihrer bekannten Me¬
thode verschwiegen werden, die Zeit wird kommen, tvo
die Geschichte ihr Utteil fällen wird, und da wird fest¬
stehen, daß wir alles getan haben, um eine
Verständigung zwischen England und
Deutschland herbeizusühren, eine Verstän-
digurig, durch die jeder Weltkrieg vermieden worden
iväre. (Stürmischer Beifall.) Wir waren bereit dazu,
England hat es abgelchnt. Diese Schuld wird etz
in alle Ewigkeit nicht mehr los. (Stürmischer
Beifall.) England hat äußerlich sich freie Hand behal¬
ten, nachdem es sich innerlich längst gebunden hatte.
In aller Klarheit des Ernstes der Welt haben wJ
versucht, unser Verhältnis zu den Entente-Genoffen zü
bessern. Diesen Zielen diente auch das Potsdamer Ab¬
kommen mit Rußland; die Gesamtlage war aber
schon bis in die Wurzel vergiftet. Die Spannung wurde
so groß, daß die erste große und schwere Belastungsprobe
zum Bruch fühtte.
So kam der Sommer 1014. Ich habe die einzelnen
Vorgänge am 4. August geschildert. In England wird
diitdl nsussftifläg Wiede r bebaust et, den ganze Kncg lzitte per»'
i