Her Handelskrieg gegen England.
lleberreichung Der amerikanischen Note.
Berlin, 15. Mai 1915. Der amerikanische Bot¬
schafter hat heute im Auswärtigen Apite die Note
>er Vereinigten Sraaten von Nordame¬
rika zu der „Lnsitania" - Angelegenheit überreicht.
(Ctr. bln.)
Ein schwedischer Dampfer angehalten.
wtb. Hamburg, 16. Mai 1915. Der schwedische
Dampfer „Björn", mit Erz und Lebensmitteln nach
London unterwegs, ist angehalten und nach Hams-
burg gebracht worden.
Der Krieg gegen Russland.
Der unaufhaltsame Rückzug der Russen.
Dem „Tag" wird gemeldet: Unsere aus Sano^
und Dynow vorgehenden Truppen verfolgten be¬
reits unmittelbar vor Przemysl den Feind. Der
Rückzug der Russen hält noch immer auf der gan¬
zen Breite der Front an. Ueber Lisko verfolgen
^ wir im Raume von Chyrow die Rusien und haben
^ damit den südlich von Lisko zwischen Baligrod und
Voloma kämpfenden südlichen Flügel der russischen
8. Armee abgeschnitten, der unfähig ist, sich recht¬
zeitig von uns abzulösen. In diesem Winkel find
m e h r s l s 20000 Mannzusammengedrängt.
Die Zahl der Gefangenen ist noch immer im
Steigen. Diejenigen Teile der russischen 8.
Armee, welche noch nicht gefangengenommen sind,
stürmen in größter Verzweiflung von
Turka gegen Sambor, um der aus dem Westen her
drohenden Verfolgung zu entggbeit. — Magyar
Orszag meldet aus Mezö LaboiM Die Flucht der
Russen über den San war mit furchtbaren
Verlusten für sie verbunden. Einzelne ihrer
Brückenköpfe wurden nach kurzem Artilleriekampf
in Trümmer gelegt und die Pontons vernichtet.
Hunderte russischer Soldaten fanden in den Wellen
des San den Tod. Offiziere erzählen, daß es ein
furchtbares Bild war, als im Rücken der Russen
vom anderen Ufer unsere Geschosse einschlugen und
ihnen die Flucht unmöglich machten, (ctr bln.)
* Budapest, 15. Mai 1915. „Magyar Orzak"
meldet: Die Flucht der Russen über den San
war mit furchtbaren Verlusten für sie ver¬
bunden. Einzelne ihrer Brückenköpfe wurden nach
kurzem Artilleriekampf in Trümmer gelegt und die
Pontons vernichtet. Hunderte russische Soldaten
fanden den Tod im San. Offiziere die bei diesen
Kämpfen dabei waren, erzählen, daß es ein furcht¬
bares Schauspiel war, als auch in dem Rücken der
russischen Stellungen die Geschosse unserer Artillerie
einschlugen und den Rnssen die Flucht unmöglich
machten. Mehrere Kompagnien, die sich nicht er¬
geben wollten, wurden in den San gejagt, wo
sie ertranken oder durch unsere Artillerie vernichtet
wurden. Die durch die Kämpfe in Mitleidenschaft
gezogenen Ortschaften in der Uzsoker-Lupkower
Gegend bieten ein schauerliches Bild. (ctr. bln.)
Ham See- und Ue&erseekrieg.
Englische „Kriegslisten".
wtb Das am 3. Mai amtlich bekanntgegebene
Gefecht zweier deutscher Vo rP ostenbo o te
mit englischen Streitkräften am 1. Mai in der süd¬
lichen Nordsee hat sich nach den Berichten zweier
deutscher Fliegeroffiziere, die Augenzeugen des Vor¬
ganges waren, folgendermaßen abgespielt.
Die vier englischen Bewachungsfahrzeuge (im
Dienst der englischen Kriegsmarine stehende Fisch¬
dampfer) „Barbados 6 F 36", „Columbia H 42",
„Christi H 936" und ein vierter Dampfer ohne
Namen und Nummer näherten sich dem holländischen
Feuerschiff Nordhinder aus südwestlicher Richtung,
als aus Westen unsere beiden Vorpostenboote heran-
kameu. Das eine von ihnen schoß einen Torpedo
auf „Columbia" ab, der das Fahrzeug binnen einer
halben Minute zum Sinken brachte. Das eng-
lischeBewachungsfahrzeugohneNamen
und Nummer strich darauf sofort die Flagge und
tvurde daher von unseren Vorpostenbooten nicht an¬
gegriffen. Während das englische Bewachungsfahr-
ziug „Barbados" von dem zlveiten Vorpostenboot
unter Artilleriefeuer genommen wurde, schritt das
Boot, das die „Columbia" versenkt hatte, zur Rettung
der Besatzung dieses Fahrzeuges. Hierbei wurde es
jedoch von dem englischen Bewachungsfahrzeug
„Christi" beschossen und mußte das Rettungswerk
eil stellen. Nunmehr griff auch das Be-
ivachungsfahrzeug ohue Namen und
Nummer, obwohl es, wie erwähnt, die Flagge
gestrichen hatte, in den Artilleriekampf ein,
den unsere Vorpostenboote abbrechen mußten, als
eine Division englischer Torpedobootszerstörer
erschienen.
Aus vorstehendem, einwandfrei beobachtetem Sach¬
verhalt ergibt sich, daß das Rettungswerk unseres
Vorpostenbootes durch die Engländer selbst verhin¬
dert wurde, und daß sich ein englisches Kriegsfahr¬
zeug entgegen den Grundsätzen des
Völkerrechts am Kriege beteiligt hat, nachdem
:s bereits die Flagge gestrichen hatte.
Verplappert.
wtb London, 15. Mai 1915. „Daily Mail"
schreibt in einem Leitartikel über den Verlust der
„Goliath": Wenn das Schiff von feindlichen Zer¬
störern wrpediert worden ist, wär es eine Ueber-
raschung, die Aufklärung erheischte. Wenn er aber von
eigenen Zerstörern torpediert wurde, wäre
rs die Wiederholung einer Taktik, die
schon vor zwei Monaten den Verlust
dreier schöner Schiffe verursacht hat.
Damit wird doch wohl die von der englischen
Regierung geleugnete Seeschlacht englischer
Kriegsschiffe unter sich angedeutet?!/
Her Tdrkenkrieg.
Amtliche türkische Kriegsberichte.
wtb Konstantinopel, 14. -Oiat 1915. Das Haupt-
quartier teilt mit: Bei Ari Burnu kann der Feind
trotz der Verstärkungen, die er erhalten hat, aus sei¬
nen Berschanzungen nicht vorrückeu. An einigen
Punkten versuchte der Feind eine Unternehmung, die
vor unseren kräftigen Gegenangriffen scheiterte.
Fm Abschnitt von S e d d ü l Bahr hält der Feind
seine alten Stellungen; er verhält sich ruhig. Einer
unserer Flieger warf erfolgreich Bomben auf das
feindliche Lager. Der Feind erhielt Verstärkungen,
um seine Verluste zu Hetzen, aber die Verstärkun¬
gen wurden durch das wirksame Feuer unserer Bat¬
terien, die wir vorschoben, zerstreut. Das gestern
früh in der Mortobucht versenkte Schiff ist das eng¬
lische Panzerschiff „Goliath". Ein großer
Teil Besatzung ist extrunkon. Diesen Sieg
trug unser Torpedobootszerstörer „Muavenet-i-Mil-
lije" davon, der, nachdem er seinen Auftrag erfolg¬
reich ausgführt hatte, wohlbehalten zurück-
kehrte. Feindliche Torpedoboote wurden gezwun¬
gen, sich vor dem Feuer unserer Küstenbatterien zu¬
rückzuziehen. Unter den feindlichen Torpedobooten
hörte man starke Explosionsgeräusche. Unsere Kü-
ftenbatterien auf der anatolischen Küste bombardier¬
ten wirksam die Landungsstelle und die feindlichen
Lager bei Sedd ül Bahr, wo si: einen großen
Brand hervorriefen. Das Panzerschiff
„Charles Märtel", das ohne Erfolg unsere
anatolischen Batterien beschoß, wurde zweimal ge¬
troffen. Der französische .Kreuzer „Fe an ne
d'A r c" versuchte in Fenique in den anatolischen Kü-
stengewäsfrrn zu landen, aber auf unseren Gegenan-
griff ergriffen die gelandeten Soldaten die Flucht,
und der Kreuzer zogsichzurück. Auf den übrigen
Fronten hat sich nichts Wichtiges ereignet.
wtb. Konstantinopel, 16. Mat 1915. Das
Hauptquartier teilt mit: An den Dardanellen
gestern weder zu See noch zu Lande eine wichtige
Handlung. Vorgestern feuerten einige feindliche
Panzer erfolglos auf unsere vorgeschobenen Batterien.
Tie feindlichen Lager und Stellungen bei Sedd ü l
Bahr wurden wirksam beschossen. Später ver¬
suchten die Panzer „Mctjefttc" und „Albion" in die
Meerenge einzudringen, wurden aber durch nnser
Feuer verjagt. Auf den anderen Kriegsschau¬
plätzen keine Veränderurg.
Weitere Kämpfe an den Dardanellen,
wtb Konstantinopel, 16. Mai 1915. Von dem Pri¬
vatkorrespondenten des W. T. B. Wird gemeldet:
Unsere Flieger bewarfen am 13. Mai die eng¬
lischen Truppen bei Sedd ül Bahr mit Bomben.
Dev Erfolg war deutlich sichtbar. Me feindliche
Flotte ist seit Torpedierung eines feindlichen Linien¬
schiffs erheblich abgerückt.
wtb Berlin, 16. Mai 1916. Nach der „B. Z."
Wird dem „Pester Lloyd" aus Muidros auf der
Halbinsel Gallipoli gemeldet: Ein feindlicher Lan¬
dungsversuch ist gestern bei K u m K a l e h endgültig
zurückgeschlagen und bei Sedd ül Bahr zum
Stehen gebracht Worden. Der linke feindliche Flü¬
gel Wuroe bei Ari Burnu ins Meer ge¬
drängt, nur noch der rechte Flügel halt eine letzte
Höhe ganz nahe an der Meeresküste. Eine ganze
Division feindlicher Landungstruppen ist massa¬
kriert. Englische Leichen bedecken haufenweise das
Schlachffeld. Der Gesamtverlust der Lan¬
dungstruppen beträgt über 30000
Mann.
Ein englischer Torpedobootszerstörer
gesunken.
wtb. Konstantinopel, 15. Mai 1915. Nach
glaubwürdigen Informationen ist außer dem Panzer¬
schiff „Goliath" auch ein englischer Torpebo-
bootszerstörer von den Türken in Grund ge¬
bohrt worden. Wegen des Nebels hat man es jedoch
noch nicht unzweifelhaft sicher feststellen können.
Türkisch-deutsch« Waffenbrüderschaft.
wtb Konstanttnopel, 16. Mai 1915. Der türkisch;
Torpedojäger „Muawenet Millie", der das englische
Linienschiff „Goliath" versenkte, stand unter dem
Kommando des Kapitäns Achmed und des Deut¬
schen Firle. Me beiden Offiziere haben ein un¬
gemein kühnes Manöver der Seemannskunst und
Taktik durchgeführt. Ein Telegramm der „Agence
Milli" besagt, das sei geeignet, die türkisch-deutsche
Waffenbrüderschaft um so enger zu gestalten.
Berlin, 16. Mai 1915. Das türkisch; Torpedo¬
boot „Rtnawenet Millie", das das englische Panzer¬
schiff „Goliath" versenkte, ist auf der Danziger
Schiffsbauwerft erbaut worden. Es gehörte früher
unter dem Namen „8. 165" der deuffchen Kriegs¬
flotte an und wurde später durch einen türkischen
Freiwilligenfonds angekaust. Es ist dies der erste
Fall, daß es einem Hochseetorpedoboot gelungeit ist,
ein Linienschiff zu versenken, (ctr bln.) .
Ein „Sieg" der französischen Flotte.
wtb Berlin, 15. Mai 1915. Am 13. Mai er¬
schien der französische Kreuzer „d'Estrses" von Alex-
andrette und stellte den dortigen deutschen Konsul
in einem Ultimatum vor die Wahl, die zur Feier
des Himmelfahrtstaqes auf dem Konsulatsgebäude
wehende deutsche Flagge niederzuholen oder
die Beschießung des Konsulats zu gewärtigen. Der
Konsul entließ den Parlamentär ohne Antwort. Der
nun einsetzenden Beschießung fiel nach dem 15. Schuß
die Fahnenstange zum Opfer. Die Besatzung des
nur 500 Meter abliegenden Kreuzers begrüßte den
erstaunlichen Erfolg mit stürmischen Siegesjubel. —
So hat nun auch die französische Flotte mit Helden¬
mut ihren ersten Schlag gegen den Bestand des
Deutschen Reiches geführt; sie kann diesen Erfolg
mit Stolz in den Annalen ihrer Geschichte buchen,
und braucht nicht mrhr mit Neidzauf den englischen
Seesieg bei Bergen zu blicken.
wtb Äonftantilwpel, 16. Mai 1915. 'Nachdem die
deutsche Flagge von dem französischen Kriegsschiff
„D Estrees" durch 15 Schuß herabgeschossen war, eilte
die Bevölkerung der Stadt herbei, nahm di: Flagge
auf und hißte sie auf einem anderen Mast.
Darauf errichteten die Stadtbehörden vor der Kaserne
zwei große Flaggenmasten und hißten daran die
deutsche und bk türkische Flagg:, welche
fröhlich flatternd diese Heldentat der Franzosen ver¬
spotteten, die für ihre Mederlage mit so niedrigen
und albernen Mitteln Rache zu nehmen versuchten.
Ter Kreuzer unternahm itichts mehr auf diese die
deutsch-türkische Waffenbrüderschaft symbolisierende
Antwort.
Alexandrette (Jskeitderun) liegt an der syrischen
Küste im Golf von Jskenderun.
Deutsche U-Boote im Mittelmeer.
wtb Athen, 16. Mai 1915. Ter hiesige englische
Gesandte erhielt vom Kommandierenden General der
englischen Tardcmellen-Flotte Nachricht über die An¬
wesenheit deutscher Unterseeboote im
Mittelmeer.
wtb Achen, 16. Mai 1915. Die Zeitungen berich¬
te», daß ein deutsches Unterseeboot bei Kap Toro
auf der Insel Euböa gesehen wurde.
Athen, 13. Mäi 1915. Die englische Gesandtschaft
erklärte denlgriechischen Pressevertretern, daß bereits
vor einiger Zeit Mitteilungen über das Erscheinen
deuffcher Unterseeboote im Mittelmeer cingegangen
wären, die jetzt durch einen Admiral der Berbündc-
tenflotte bestätigt seren. Tie Gesandtschaft hofft, daß
die Stützpunkte der Unterseebote bald entdeckt und
diese unschädlich gemacht werden dürsten.
Die Zeitungen melden, es seien ernste Maßnahmen
getroffen worden, um die Fahrt der Kriegsschiffe und
Transportdampfer im Mittelmeer zu sichern. Es
seien mehr als zwei Boote hinter Gibralta gesichtet
worden, und zwar des allerneuesten Typs von etwa
1200 Tonnen, mit acht Torpedos und einem 75
Mllimeter-Geschoß an Bord. Einige Blätter ver¬
sichern, als Stützpunkt würden die Dardanellen die¬
nen. Zweck des Erscheinens sei die Vereitelung der
Operationen der Verbündeten gegen die Dardanellen
und die Terrorisierung der Neutralen. Im allge¬
meinen herrscht ziemliche Aufregung in den Trei-
verbandskreisen. (ctt. bl».)
Athen, 16. Mai 1915. Me hiesige englische Ge¬
sandtschaft macht bekannt, daß die englische Regierung
für jede Mitteilung, welche zur Vernichtung eines
der letzthin im Mtttelmeer aufgetauchten Untersee¬
boote beitrage, nach erfolgter Vernichtung eine Be¬
lohnung von 12 500 Francs zahlen werde. „Hestta"
bemerkt erklärend, daß diese Unterseeboote besonders
die in der Adria operierende französische Flotte und
die Verbündetenflotte im ägäischen Meere gefährde.
(ctr. bln.)
Die „Emden"-Man«schast.
wtb Konstantinopel. 16. Mar 1915. Me Ueber-
lebenderr der „Etnden" sind unter Führung des Ka¬
pitänleutnants .Mücke in Aleppo eingetroffen.
Die Bevölkerung der reichbeflaggten Stadt bereitete
ihnen einen begeisterten Empfang.
Ble anderen Hdttte.
Das Kabinett Salandra bleibt.
wtb Rom, 16. Mai 1915. (Mchtamtlich.) Die
„Agenzia Stefani" gibt bekannt: Der König hat die
Demission des Ministeriums Salandra n ich t a n ge¬
nommen. Jnfolgedeffen bleibt das gesamte Mini¬
sterium anf dem Posten.
In den letzten Tagen hatten in Rom die Be¬
sprechungen, die zur Neubildung des Kabinetts
führen sollten, fortgedl nett, ohne daß sie zu einem
Ziel geführt hätten. Neben Giolitti. von dem
es aber beißt, er dränge sich in keiner Weise zum
Eintritt in das neue Ministerium, wurden auch
M ar c o r a, der Präsident der Kammer, und S a-
landrai genannt. Ferner wurde auch der Abg.
Bo s e l l i (Genua), der Präsident der Dante-
Alighieri-Vereinigung, zu!m' König berufen, der
aber ebenfalls den Auftrag der Kabinettsbildung
ablehnte. Nunmehr hat der König sich entschieden,
das zurückgetretene Ministerium im Amte
zu belassen.
Damit ist die Krisis nicht gelöst und die
Kriegsgefahr wieder näher gerückt.
So muß man vorläufig wenigstens annehmen. Das
Ministerium war zurückgetreten, weil es „in der
internationalen Politik der Eintracht und Zustim¬
mung der konstitutionellen Parteien entbehre, die
angesichts des Ernstes der Lage erforderlich wäre".
Wenn es nun jetzt doch auf dem Posten bleibt, mutz
man da nicht glauben, daß es inzwischen einig ge¬
worden fft und sich auch der Zustimmung der Par¬
teien sicher weiß? Die Schreier, die mit Revo-
lutionsdrohmigen auf die Straßen gezogen sind,
könnten sich dann eines großen Erfolges rühmen.
Noch eilte Annahme bleibt übrig. Vielleicht haben
die Beratungen, die der König in den letzten Tagen
mit den maßgebenden Persönlichkeiten geführt hat,
ihn veranlaßt, das Mitbestimmungsrecht des Par¬
laments, das am Donnerstag wieder zuscunmen-
tritt, zu achten und es nicht während der Vertagung
durch den Sturz des Ministeriums vor eine vollen¬
dete Tatsache zu stellen. Welche Auffassung richtig
ist, wird die Zukunft entscheiden. Wir können den
verwickelten Gährungsprozeß in der italienischen
Volksseele nur beobachten, nicht beein-
f l uf s e n. Me Klärung und Gesundung -kann nur
von innen heraus koninten. Wir woll§n das
beste hoffen, aber auch auf das andere gefaßt blei¬
ben.
Warum gerade jetzt?
Das Kriegsfieber ist in Italien zu einem Zeit¬
punkt ausgebrochen, als die Lage der „Verbündeten"
ungünstig auch'ah. Me Niederlage bei Apern, die
verlustreiche Flucht der Rusien aus Westgalizien und
den Karpathenpässen, die Erfolge des deutschen Tauch¬
bootkrieges, die Erfolglosigkeit des zweiten Angriffs
auf die Dardanellen — das sind doch alles Ereignisse,
die abschreckend wirken müßten auf die sogenannten
Interventionisten in Italien. Denn der kühle Real¬
politiker hat doch keine Lust, ein leckes Schiff zu be¬
steigen und sich solidarisch zu machen mit der schwä¬
cheren, unterliegenden Kriegspartet.
Man hat ja auch früher den Jtlienern vielfach
nachgesagt, daß sie abwarteten, auf ivelche Seite sich
das Kriegsglück neige, um sich schließlich auf die
Seite des Stärkeren zu stellen. In der englischen
„Presse" wurde s. Z. berichtet, der französische Bot¬
schafter in London Paul Cambon habe das scharfe
Wort gesprochen: Italien werde eines schönen Tages
tapfer dem Sieger zu Hilfe eilen. Run sehen wir
aber, daß ein rühriger und lauter Teil des italie¬
nischen Volkes durchaus denjenigen Mächten zu
Hilfe »len will, die in Gefahr sind zu unterliegen.
Das Ministerium Salandra-Sonnino war nahe "da¬
ran, das Schicksal Italiens mit dem Schicksal der
offensichtlich schwächeren Kriegspartei solidarisch
zu machen.
Wie erklärt sich das? Aus reiner Nächstenliebe
gewiß nicht. Auch der Hinblick auf die rastlose,
kostspielige und umfassende Agitation durch die
Presse, die Freimaurerei, die Diplomatie rc. gibt
keine ratlose Lösting des Rätsels. Denn cs bleibt
immer noch die Frage: Warum haben diese Treibereien
nicht schon danials zur Krisis geführt, als die
Aussichten der Feinde Deutschlands noch besser
erschienen?
ES komnit darauf an, den geheimnisvollen Seelen-
rciz aufzuspüren, den gerade die ungünstigen
Erlebnisse des Dreiverbandes auf einen Teil des
italienischen Volkes ausgcüht haben. Und da kommt
uns folgender Gedankengang wahrscheinlich vor:
England, Frankreich und Rußland können aus
eigener Kraft nicht zum Ziele kommen. Aber wenn
wir Italiener zu ihren Gunsten eingreifen, dann
ist die Sache entschieden. Also auf zur Tat! Jetzt
ist der Augenblick gegeben, in deni Italien sich zur
Zunge an der Weltwage machen kann. Wir erringen
eine weltgeschichtliche Ehren- und Machtstellung, wie
sic nicht großartiger gedacht werden kann. Wir
sind die Retter der drei ringenden Großmächte und
die Ordner der Dinge auf Erden!
Dieser Erklärungsversuch ist keine Beleidigung
für die italienische .Kriegspartei. Int Gegenteil:
Wenn die Herren aus einem so bochgesteigencn
Telbstbewußtsein handeln, so ist das immerhin noch
eher zu entschuldigen,, als eine Selbstauf¬
opferung aus blinder Vorliebe für Frankreich
oder aus erblicher Furcht vor England. Wir ivol-
lett auch den heißblütigen Italienern keilte Vor¬
würfe machen, wenn sic den „heiligen Egoisnnts",
den Salandra verkündet hatte, auf di? angedcutcte
Höhe treiben. Wir wollen nur bemerken, daß nach
unserer Ueberzeugung die Rechnung irrig ist.
Es stecken zwei fatsche Voraussetzungen darin.
Erstens ist es nicht richtig, daß Italien durch
sein Eingreifen die Niederlage Deutschlauds und
Oesterreichs tzerbeizuführcn vermag. Es kann uns
Schwierigkeiten utachen, cs kann eine
Verlanger nng des Krieges tutd seiner Lei¬
den hcrbei'führen, "aber es kann die sturmerprobte
Wehrmacht der Zentralmächte u i cf) t brech n.
Der zweite Irrtum ist die Erwartung, das Eng¬
land, Frankreich und Rußland, wenn sie mit Hfffe
Itallens gesiegt haben sollten, sich dankbar erweisen
wurden. Ein klemes Trinkgeld lvürde ibohl absal-
len. Aber daß diese Mächte in ihrem gehobenen
Selbskbewußtsein den Italienern die eigenen
Interessen zum Opfer bringen und ihnen die er¬
träumte Bormari,tstelluug int Mittelmeer. auf dent
Balkan und in Kleinasien einräumen würden, das
fft völlig ausgeschlossen.
Die italienischen Politiker stehen jetzt vor der
nicht mehr ungewöhnlichen Wahl zwischen dem sog.
Sperling in der Hand und Taube auf dem Dach.
Der von Oesterreich augebotene „Sperling" ist schätz
bar und sicher. Der Vogel auf dent Dache bleibt
verzweifelt unsicher, auch wenn die südländische Phan¬
tasie aus dem Täubchen einen Adler macht. Der Rück¬
weg aus den Gedankengängen ist freilich nicht ft
leicht zu finden.
Kündigung des Dreibunds*
Zürich, 15. Mai 1915. Wie der „Boss. Ztg." aus
Rom gemeldet wird, wird wahrscheinlich noch vor
der Eröffnung der Kammer ein Grünbuch ausge¬
geben werden. Aus diesem seien besonders zwei Tat¬
sachen wichttg:
1. Das Kabinett Salandra habe am 4. Mai den
Dreibundvertrag gekündigt.
2. Am 6. Mai habe das Kabinett mit dein D r c i-.
verband ein Abkommen getroffen, welches die Be¬
deutung eines Bundesvertrags besitze, (ctr. b.)
Lugano, 15. Mai 1915. Me Anhänger Giolittis
weisen die Behauptung, daß der Dreibund bereits
gekündigt sei und bindende Abmachungen mit dem
Dreiverband vorlägen, entschieden zurück. Tic „Tri¬
buns" erklärt, vermutlich von Giolitti ermächtigt,
daß diesem nichts von solchen unabänderlichen Ab¬
machungen bekannt ist. Unntöglich könne das Kabi¬
nett ohne Befragung des Parlaments soweit ge¬
gangen fein, was auch aus der Begründung des
Rücktritts mit mangelnder Einmütigkeit der Ber-
fassungspatteien hervorgehe. Wahrscheinlich liegen
tatsächlich verpflichtende Abreden Salan-
dvas und Sonninos mit den Diplomaten des Drei¬
verbandes vor, aber bisher ohne die Unter»
fchrift des Königs, (ctr. bln.)
Die Kriegshetze der Dreiverbandsfreundc.
Die Demonsttaüonen der Kriegstreiber dauern
noch an. Trotz großer Truppenaufgebote ist es den
Demonstranten in Rom da und dort gelungen, neu¬
tralistische Polttiker anzufallen oder Sachschaden zu
süften, so an der Redaktton des „Popolo Romano^
und mt der deutschen Buchhandlung Löscher. Die
Republikaner, die ja als die schlimmsten Treibund-
gegner und Oesterreichhasier von jeher bekannt waren
und in der letzten Zeit alle Hebel für einen kttcgc-
rffchen Konflikt mit Oesterreich in Bewegung gesetzt
hatten, machen aus ihrer Gesinnung kein Hehl und
agitteren für. die Einführung der Republik. Me
Hetze gegen Gftlittt nimmt groteske Formen an. So
schließt „Jdea Nazional" einen Artikel mit der
Frage, welche Summe er für feinen Verrat wohl
von Oesterreich und Deutschland erhalten habe? —
„Jdea Nationale" fordert die italienische Jugend auf,
nach Rom zu strönten, um den Krieg zu erzwingen.
wtb Rom, 16. Mai 1915. Gestern erneuerten
sich die Demonstrationen in Rom in verschärftem
Maße, sie nahmen teilweise revolutionären
Charakter an und richteten sich unter Schmäh¬
rufen auf Deuffchland gegen Giolitti, der als cm
Deutschland verkauft bezeichnet wurde. Auch gegen
den Fürsten. B ü l o w wurde mit Pereatrufen 'de-
monstriert. Er unternahm indessen auch heute feine
gewohnten Ausfahrten. Schwere Ausschreitungen
gegen Anhänger der Neutrolitätsidee waren an ver¬
schiedenen Stellen der Stadt zu verzeichnen. In den
späteren Abendstunden kam es anläßlich eines Vor¬
trages van d'A n n u n z i o int! Theatro Constanzi zu
ernsten Unruhen in der Umgebung des Theaters.
Me Demonstranten zerschlugen die Straßenlaternen,
sodaß die ganze Via Biminale in Dunkel getaucht
lvar. Barrikaden wurden gebaut und die 'Aufrührer
zogen ihre Revolver. Einen besonderen Druck hatten
die Demonstranten dadurch! auf die Geschäftsinhaber
ausgeübt, daß sie das Schließen aller Geschäfte ver¬
langten. Auch von Theatern, wie zunt Beispiel von
dem Theatro Quirino, wurde der Abbruch der Vor¬
stellungen verlangt. Aus zahlreichen Städten, wie
Mailand, Florenz, Venedig, werden eben¬
falls heftige Demonstrattonen gemelkt. Am ärgsten
scheint es in Mailand zugegangen zu sein.
Die Haftung des Vatikans.
wtb. Rom, 16. Mai 1915. ,Osservatore Romano'
schreibt: Bon verschiedenen Seiten ist behauptet wor¬
den, daß der He i li g e S tuh l der Geistlichkeit, beson¬
ders der Pfarrgefftlichkeit, Instruktionen betreffend
den Krieg und Italien in dem einen oder dem an¬
deren Sinne gegeben hätte. Wir sind ermächtigt,
diese Gerüchte als vollständig aus der Luft gegriffen
uz bezeichnen.
Erzberger im Steinhagel.
wtb Köln, 15. Mai 1915. Me „Kölnische Bvlks-
zettung" meldet aus Lugano: Bei dem Tumult am
gestrigen Abend wurde Her in Rom wütende
deutsche R ei ch sta g sabgeo r tjtfe re Erzberger im Auto¬
mobil mit Steinen beworfen. Der Gou¬
verneur von Eritrea hat fein Amt uiedergelegt und
ist nach Italien zurückgekehrt.
Die Freimaurer als Kriegshetzer.
Rom, 10. Mai 1915. Der Avanti geht heute
scharf ins Gericht mit der Freimaurerdemokratic als
den Hauptschuldigen an der Kriegshetze. Sic suche
entgegen dent wahren Willen des Volks und durch
Täuschung mittels ihrer Presse eine kriegerische Stim-
tnung künsllich zu schaffen und die wahre öffentliche
Meinung zum Schweigen zu bringen. Tie englischen
und französischen Logen übten auf die italienischen
Schwesterlogen einen ungeheuren Truck ans, damit
diese ihrerseits dazu beitragen, Italien an der Seite
des Dreiverbandes zunt Kriege ztt drängen. Bon den
Logen aus gehen kategorische Befehle und Verweise
an die Männer, die öffentliche Aemtcr bekleiden, oder
die auf Organisationen und Partien zu wirken für
einflußreich gehalten werden. Von der Loge gehen
die Fäden aus, und von ihr werden die vielen „unab¬
hängigen" Blätter beeinflußt.. So kommt cs dann,
daß "während man sich im Namen Italiens, feiner
Größe und feines Glückes ereifert, man in Wirklich¬
keit zum 'Nutzen und für das Interesse fremder Natio
neu arbeitet. Der Regierung wirft das sozialistische
Blatt vor, daß sie Italien gewissermaßen meistbietend
versteigere und den Zuschlag an d:n Dreiverband
übereilt habe, während sie doch durch ihre Verhand¬
lungen mit deit Zentralmächten die Nützlichkeit der
Erhaltung des alten Bündnisses anerkannt habe.
Aufstand in Portugal.
In Portugal scheint die Anarchie den Höhepunkt
erretcht zu haben. Wieder spielt, wie beim Sturze
der Dhnastte, die Marine dabei eine große Rolle.
Ter Präsident der Republik, Arriaga, ist bereits
geflohen, und cs scheint mehr als fraglich, ob General
Pimonto da Castro, der vor einigen Monaten dje
sÄMchljche. Rkgiertmg Machadv gestürzt und als