Full text: Fuldaer Zeitung (1915)

- Kricgspresscquarticr, 20. Mai 1915. 
Ihr Kriegsberichterstatter ist soeben von einem 
Ausflug an die vorderste Front der Aruiee Mackensen 
zurückgekehrt. Diese Front zu erreichen, war eine 
ziemlich harte Ausgabe, denn die Truppen rückten in 
'-inem Tempo gegen den San vor, daß man mit dem 
Aufwand aller "landesüblichen Beförderungsmittel 
kaum Nachkommen konnte. 
Ich habe Tarnow, Krosno, Lanout und 
andere wiederervberte Städte passiert und überall die 
Spuren der Russenwirtschaft gefunden. Nicht alle Orte 
sind gleich behandelt worden, aber im allgemeinen 
kann man sagen, daß in Galizien Ortschaften meist 
nur im Kc/ipf verbrannt oder zerstört wurden, daß 
aber in jeder Stadt mehr oder weniger geplündert 
worden ist, und daß die Juden überall schwer gelitten 
haben. Dennoch war die zweite Rusieuzeit Mittel¬ 
galiziens milder als die erste. 
Es ist eigentlich erstaunlich, wie rasch sich eine 
eben noch hart umkämpfte galizische Stadt wieder be¬ 
lebt und erholt. Ich habe das vor allem in I a r o s - 
lau bwbachtet, denn ich durfte die vor den Toren 
dieser Sradt geschlagene Schlacht mittnachen und zu¬ 
gleich mit den Lagern einziehen. Dies geschah Sonn¬ 
tag, den 16. Mai, morgens. Am Samstag sah ich vom 
Posten des Artilleriebeobachters aus den Kampf um 
den Rftierhof und das Schloß. Hier am nördlichsten 
Flügel kämpfte Garde. Ich sah dann das frische 
Schlachtfeld und leider auch Leichen braver Gaedcsol- 
daten, vor allem der wackeren Elisabether. Die Rus¬ 
sen hatten sich in den am Ortsrande liegenden Gebäu¬ 
den stark befesttgt und alle Metallgeräte, Herdplatten 
»nd Balken des Schlosses in ihre fast uneinnehmbarui 
Deckungen eingebaut. Die Garde mußte ihre Angriffe 
wiederholen und ihrem Heldenmut war der Sieg erst 
bcschicden, als die deutsche und österreichisch-ungarische 
schwere Arttllerie von den westlichen Höhen aus die 
Russen mit unglaublicher Treffsicherheit beschossen 
hatte, indessen die russische Arttllerie wieder durch 
argen Munitionsmangel behindert war. Während auf 
dem linken Flügel die Garde gegen das Schloß vor- 
ging, kämpfte das österreichisch-ungarische Korps ini 
Südwesten Jaroslaus, und die braven polnischen und 
ungarischen Regimenter dieses Korps st ü r m t c n 
schließlich inderunvergeßlichen Nacht vom 
16. Mai die das San-User überragende 
H ö h e 2 8 4, den Schlüssel der ganzen russischen Stel¬ 
lung. 
Jetzt nmßten die Russen eiligst überden San 
zurück. Während die Artillerie den Feinden mör¬ 
derische Salven nachjagtc, zogen unsere braven Trup¬ 
pen singend in die Stadt ein, von der Bevölkerung mit 
lachender und weinender Jubel empfangen. Bald 
steckte im Gewehrlauf eines jeden braven Musketters 
ein Blumenstrauß. 
Ich kam mit der Infanterie der österreichisch¬ 
ungarischen Division Kestraneck über das frische 
Schlachtfeld nach.Jaroslau. Die umkämpften Ge¬ 
bäude am Westrand der Stadt sahen über jede Be- 
schveibung gräßlich aus und alle kleineren Ortschaften 
am Sanuser brannten lichterloh. Aber im Inneren 
der Stadt sah man wohl genug geplünderte Läden, 
dagegen wenig zerschossene Gebäude. 
Ich durfte sofort durch die Stadt zur zerstörten 
Sanbrücke gehen und kam noch vor denPionieren 
dorchin. 
Die Russen schickten jetzt Schrapnells herüber, und 
man befürchtete eine erste Beschießung der Stadt. Wer 
unsere unvergleichliche Arttllerie konnte eine in ge¬ 
fährlicher Nähe aufgefahrene Battette mit Hilfe der 
Flieger sehr rasch finden und unschädlich machen, wäh¬ 
rend deuffche Mörser und die Haubitzen der Verbün¬ 
deten das östliche Ufer beschossen, um den Feind rasch 
gegen die dahinter liegenden Sümpfe zu drängen. — 
Unsere Gruppe von Kriegsberichterstattern fuhr nun 
zurück. Von der Landstraße aus sahen wir den Hori¬ 
zont voll Flammen und Sprengwolken. An diesem 
und am nächsten Tage fuhren wir an kilometer- 
langen Kolonnen gefangener Russen 
vorbei: ich konnte bis Ezeszow aus dieser einen Straße 
etwa 8000 Gefangene zählen. Unsere mehr male¬ 
rischen als repräsentäblen Leiterwagen begegneten 
plötzlich einer Gruppe von Autos, in deren vorderstem 
KaiserWilhelm saß. Er fuhr zu seiner Garde. 
Er wird die Truppen in bester Stimmung und über¬ 
glücklich ob des glänzeirden Sieges gefunden haben, 
an d:m die Garde in gleichem Maße Anteil hat wie 
die tapferen Oesterreickser und Ungarn des 6. Korps. 
Alle G a r d e s o l d a t e n, die ich sprach, sahen 
frisch und fröhlich aus. Sie hatten ihren Berliner 
Humor glücklich durchgebracht, rechneten fest auf wei¬ 
tere Siege und hatten für die Gefahr eines 
italienischenAngrifsesnureinAchsel- 
zucken. 
'Mit solchen Soldaten und solchen Verbündeten 
ist Deutschland unbesiegbar, (ctr. bln.) 
Dr. Arnold Höllriegel, Kriegsberichterstatter. 
Revolutionärer Anschlag ans eine Peters¬ 
burger Sprengstoffavrik. 
wtb. Köln, 21. Mai 1915. Die ,Kölnische Ztg.' 
meldet aus Stockholm: .Stockholms Dagblad' zufolge 
handelt es sich bei der seinerzeit gemeldeten Explosion 
in einer Sprengstoff-Fabrik in der Umgebung 
von Petersburg 'nicht um eine Feuersbrunst, 
sondern um einen wohlüberlegten Anschlag der 
revolutionären Partei, in deren Dienst ein 
Oberst an dem Anschlag beteiligt war. 20 Ver¬ 
haftungen wurden vorgenommen. Der Schaden 
ist ungeheuer. 1500 Arbeiter sind verun¬ 
glückt. 
M See- anfl veberMries. 
Seegefecht im Finnischen Meerbusen? 
DDP. Stockholm, 20. Mai 1915. Die .Stockholmer 
Tidningen' melden: Reisende, die am Mittwoch aus 
Südsinnland nach Haparanda kamen, erzählten, daß 
im finnischen Meerbusen soheftigesBombarde- 
ment gehört wurde, daß der Erdboden und die 
Häuser in Helsingfors zitterten. Ferner wird erzählt, 
daß ein russisches Kriegsschiff in sehr bc- 
s ch ä d i g t e m Z ust a n d nach Helsingfors gekommen ist. 
Aus Südafrika. 
wtb Berlin, 21. Mai 1915. Das „Berliner Tage¬ 
blatt" meldet aus Rotterdam: Aus einem Drahtbe- 
richt, den ein besonderer Korrespondent des Reuter- 
schen Bureaus bei der Armee B o t h a geschickt hat, 
geht hervor, daß die Deutschen, als sie Windhuk 
verließen, Kanonen der transvaalschen Artillerie mit¬ 
führten, die sie anfangs des Krieges bei Sandfon- 
teinerobert hatten. Der Zustand in Windhuk ist 
ziemlich normal. 
Der TarKenKrleg. 
Die Verbündeten bei Ari Burnu zurück¬ 
geworfen. 
wtb Konstantinopel, 21. Mm 1915. Das Große 
Hauptquartier berichtet von der Dardauelleu-Front: 
Am 19. Mai wurden die befestigten SteIluu- 
sendes^eindesbei^ri^ur^u^^ngegr^f- 
s e n. Dank der wunderbaren Tapferkeit untexer Tttttp 
pur u-urde das Vorgesetzte Ziel erreicht. Aus dem rech¬ 
ten und linken Flügel wurde der F e i n d aus sei¬ 
nen vorgeschobenen Stellungen ver¬ 
jagt. Im Zentrum näherten wir uns bis zu den 
Berschanzungen des Feindes und nahmen z w e l M a- 
s^chi n c n ge w e h r c. Am Nachmittag versuchte der 
,zeind einen Gegenangriff unter dem Schutz sei¬ 
ner Schifft gegen unseren rechten Flügel. Er wurde 
aber mit schr sta r k e nBerlustenzurückg:- 
schlagen. Die feindlichen Schiffe vor dem Ein¬ 
gang zur Meerenge tauschten gewohnheitsmäßig 
Schüsse mit unseren vorgeschobenen Batterien. Der 
Panzer „Charlemagne" wurde von 
einer Granate getroffen. Die feindlichen 
Artilleriestellungen und die Lager des Feindes bei 
Seddül Bahr werden von unseren Küstenbatterien 
wirksam beschossen, sodaß der Feind gezwungen war, 
seine Artilleriestellung zu ändern. Bon den übrigen 
Kriegsschauplätzen ist nichts Wichüges zu melden. 
Englisches Eingeständnis der Mißerfolge. 
wtb London, 20. Mai 1915. Der engl. Kriegsbe¬ 
richterstatter Bartlestt beuchtet über die 
die Gefechte auf G a l l i p o l i vom 6. bis 8. Mai: 
Mchts ist bemerkenswerter, als die Att, wie es die 
Türken verstanden haben, ihre Stellungen zu ver¬ 
bergen. Die türkische Infanterie wurde durch unser 
furchtbares Geschützfeuer nicht erschüttert. Unsere Ge¬ 
schütze konnten nur geringen Schaden an ihren gut 
angelegten Schützengräben anrichten. Da die Türken 
am 6. Mai ihr Feuer einstellten, glaubten wir, daß 
sic zurückgingen oder keine Munition mehr hätten, 
Aber als am 7. Mai die Brigaden 87 und 88 gegen 
K r i t h i a vorgingcn, eröffnetcn die Türken ein 
furchtbares Feuer aus verborgenen Gräben, deren 
Lage nicht ermittelt werden konnte und deren Dasein 
nicht vermutet worden war. Eines unserer Regimen¬ 
ter mußte sich unter den: schrecklichen Hagel der Ge¬ 
wehr- und Maschinengewehrkugeln zurückziehen. Auf 
dem rechten Flügel überschütteten die Türken die 
Franzosen mit einem gewaltigen Feuer. Die Linie 
w a nk t e, brach und kam flüchtend den Abhang 
herunter. Ein Teil der Flüchtlinge brach dirctt durch 
die Linie der Naval Division. Das türkische 
Feuer war unerträglich und es war nicht möglich, 
ihre Batterien zu erntttteln. All: Berichte von der 
Front erwiesen die außerordentliche Schwierig¬ 
keit, die feindlichen Stellungen festzustellen nnd 
anzugreifen. Tie Schützengraben und Maschinen¬ 
gewehre, die in dichtem Gestrüpp in Schluchten ver¬ 
borgen waren, konnten auch durch schwerstes Ge¬ 
schütz nicht beschädigt werden. Jedermann mußte 
einzeln durch unsere Infanterie angegriffen wer¬ 
den. Es war deutlich, daß die Moral des Feindes 
durch unser Geschützfeuer, so heftig es auch war, 
nicht erschüttert werden konnte. Die Türken 
fochten mit äußer st er Tapferkeit und Ent¬ 
schlossenheit. Ihre Artillerie arbeitete m ei¬ 
st e r h a f t. Sj^ schoß nur, wenn es unbedingt nö¬ 
tig war, um das weitere Vorrücken der Franzosen 
auf unserem rechten Flügel oder unser eigenes Vor¬ 
gehen zu hindern. Entweder hatten sie nicht viel 
Munition, iwer sie fürchteten, ihre Stellung un¬ 
seren Schiffsgeschutzen zu verraten. Am 8. Mai 
wollten unsere Truppen, obwohl sie durch die An¬ 
strengungen ermattet waren, die Entscheidung her¬ 
beiführen. Der Kampf begann mtt einem unerhör¬ 
ten Feuer aus den Schiffsgeschutzen, dann 
griff die Infanterie cm, aber der Feind war bereit. 
Sobald unsere Soldaten ihre Deckung verließen, er¬ 
hob sich ein wahrer Sturm von Gewehr- und Ma- 
schinengewehrfener aus den Gräben, dem Gestrüpp 
und den Schluchten. Die Artillerie versuchte ver¬ 
gebens, dieses Feuer niederzühalten. Die Truppen 
schmolzen unter dem schrecklichen Kugelregen weg. 
Es wurde ein beträchtliches Vorgehen gegen K r i - 
thia erreicht, aber schließlich war man an einem 
Punkte angelangt, wo es unmöglich war, vorwärts 
zu kommen. Die Hoffnung mußte aufgegeben wer¬ 
den, Krithia unmittelbar zu erstürmen. Die Fran¬ 
zosen hatten die gleiche Erfahrung gemacht. Schlie߬ 
lich setzte die Dunkelheit dem Kampise ein Ende. 
Wir hatten überall ein wenig Boden gewonnen, 
aber das Ziel des Kampfes war nicht er¬ 
reicht. 
Der Mißerfolg der russische» Angrisfe auf den 
Bosporus. 
Die Petersburger Zeitung „Rjeffch" verweist 
auf die großen Schwierigkeiten eines Angriffs 
gegen den Bosporus. Die russische Flotte müsse 
fernab von ihrer Basis operieren und sich zersplit¬ 
tern, um auch den rückwärtigen Dienst zu ver¬ 
sehen. Ein baldiger Vorstoß der Russen auf 
Konstantinopel sei nicht zu erwarten. Je¬ 
denfalls werde man sich auf große O P f e r ge¬ 
faßt machen müssen. Falls man von schweren 
Verlusten bei diesen Unternehmungen erfahre, 
dürfe man nicht verzagen. 
Die Rnsien müssen sich halt mit den Englän¬ 
dern und Franzosen trösten, denen es an den Dar¬ 
danellen auch nicht bester geht. 
Ein russischer Panzer torpediert! 
DDP Bukarest, 21. Mai 1915. Einer Meldung, 
des Bukarcster Tageblattes zufolge ist der russische 
Panzer „P a n t e l e i m o n" auf der Höh: von M i - 
dia im Schwarzen Meere mit 1400 Mann 
untergegangen. Das Schiff, das einen Trup¬ 
pentransport an Bord hatte, ist einem Torpedo 
zum Opfer gefallen. Es soll niemand gerettet sein. 
Der „Panteleimon" hatte 12 800 Tonnen und war 
mit vier 30,5-Zentimter- und sechzehn 15-Zentimeter- 
Geschützen ausgerüstet. 
Wien m dem Kriege. 
Auf der Suche nach einen Kriegsgrund. 
Noch bevor der diplomatische Verkehr abgebrochen 
ist, meldet sich m Italien mitten im Kricgssi-ber der 
Katzenjammer. Dieser stellt sich in dem Wunsche dar, 
die beiden Zentralmächte Möchten den Krieg an Ita¬ 
lien erklären. Es soll wenigstens der Schein gerettet 
werden, einen Verteidigungskrieg gegen d'ie ehema¬ 
ligen Bundesgenossen zu führen. Nach den weitgehen¬ 
den Angeboten Oesterreich-Ungarns fehlt aber 
jeder vernünftige Grund, den Krieg selber 
zu erklären. Daß Oesterreich-Ungarn die Neutrali¬ 
tät, zu der Italien nach dem Bündnisvertrag ver¬ 
pflichtet war, nicht hoch genug bezahlen wollte, 
ist nur ein schwacher Notbehelf, um das böse Gewissen 
zu beruhigen. Wenn die gegenwärtigen Machthaber 
aus Angst vor dem Kriegsfieber der Freimaurer, Jr- 
redentisteu und Republikaner den Mut hatten, den 
Bündnisvertrag zu brechen, so sollen sie auch die 
Mühe haben, einen besseren Vorwand für die Kriegs¬ 
erklärung zu finden, als es ein Bekenntnis zu den 
maßlosen Begehrlichkeiten der Straßenpolittker wäre. 
Sie brauchen auch keine falsche Scham mehr zu zeigen, 
nachdem der König noch unmtttelbar vor dem Zusam¬ 
mentritt der Kanoner dem wllsten KriegShcher d'An- 
die Ehre einer langen Audiem ertmefen hat. 
.. Auch mit der „Kündigung" des Dreibundvertrags 
ist nicht viel ziir Wahrung des Scheines der Loyalität 
anzufangen. Tatsächlich ist die sog. Kündigung am 
4. Mai in Wien, nicht auch in Bwlin, erfolgt mitten 
in den Verhandlungen über die Kompensationen, die 
stauen unter Berufung auf Artikel 7 des Vertrags 
verlangte und die auch Oesterreich-Ungarn nach sehr 
wohlwollender Auslegung dieses Artikels zu bieten 
bcrmt war. Begründet war die Kündigung mit der 
Behauptung, daß die Donaumonarchie durch ihr Vor¬ 
gehen gegen Serbien den Vertrag gebrochen habe. 
Das sst nicht wahr, denn Österreich wollte, wie es 
feierlich erklärt hat, keinen Eroberungskrieg in Ser¬ 
bien, sein Vorgehen gegen Serbien ging also Italien 
gar nichts an. Aber, wenn auch, warum ist dann 
Italien nicht schon im Juli vorigen Jahres 
vom Vertrage zurückgetreten? Wie konnte^s, wenn 
der Vertrag wirklich durch einen Eroberungszng gegen 
Serbien verletzt gewesen wäre, noch dreivier¬ 
te l j a h r l a n a sich auf ibn berufen, um einen mög¬ 
lichst hohen Preis für die Bewahrung der Neutralität 
herauszuschlagen? Einer Neutralität, zu der es ver¬ 
tragsmäßig verpflichtet war, wenn nicht zu mehr. 
Wenn es wahr wäre, was Herr Salandra behauptet, 
daß durch Oesterreichs Vorgehen zu Italiens Nach¬ 
teil „das empfindliche System terriwrialer Besitz¬ 
ungen und Einflußsphären, das sich auf der Balkan- 
Halbinsel hcrausgebildet hatte", so gründlich gestört 
wurde, daß sogar der gan,ze Geist des Dreibundvcr- 
trages — immer zum Nachteil Italiens — verletzt 
worden ist, warum hat dann die italienische Volks¬ 
seele erst nach neun DLonaten zu kochen begonnen? 
Warum ließ man in Rom noch Ende August vorigen 
Jahres erklären, daß es durchaus unwahr sei, daß 
Italien irgendwelche unfreundlichen Absichten gegen 
di: Zentralmächte im Schilde führe? Im August 
keinerlei unfreundlichen Absichten — und im Früh¬ 
jahr darauf Krieg! 
Es Hilst nichts: Italien hat sich infolge der 
Schwäche seiner Regierung durch französisches und 
englisches Geld und wohl auch durch englische Droh¬ 
ungen in den Krieg heben lassen, nach den Mün¬ 
chen der Angehetzten ein Eroberungskrieg gegen alte 
Bundesgenossen, ini Sinne der Treiber aber ein Söld¬ 
nerkrieg zum eigenen Vorteil sein wird. 
Wie Franzosen über den Treubruch der Italiener 
denken, zeigt das Wort des früheren Botschafters in 
Berlin, Jules C a m b o n, der in den kritischen Juli¬ 
tagen auf eine Frage, ob Frankreich mit Rußland 
gehen werde, zur Antworl gab: Mais oui-nouis 
macherons quisque nous ne sommes pas des Italiens 
(aber gewiß werden wir marschieren, wir sind doch 
keine Italiener.) Der kluge Diplomat hat zu jener 
Zeit schwerlich geglaubt, daß sich die Italiener wäh¬ 
rend des Krieges sogar noch auf die Seite der 
Gegner ihrer bisherigen Bundesgenossen scklagen 
würden. Sie sind im Begriff es zu tun uno nur 
verlegen darum, wie es ohne die schwerste Einbuße 
au moralischem Ansehen geschehen könnte. 
Die letzten Vorbereitungen. 
Nachdem die italienische Regierung für den Fall 
eines Krieges außerordentliche Befugnisse erhalten 
hat, erhebt sich natürlich die Frage, wann und 
auf welche Weise Italien nun den Kriegszu¬ 
stand mtt Oesterreich-Ungarn nnd Deutschland Her¬ 
stellen wird. Darüber kann man nur Ver¬ 
mutungen hegen. Was den Zeitpunkt des Ein¬ 
tritts des Kriegszustandes betrifft, so fit, wie der 
„Köln. Ztg." aus Berlin berichtet wird, die Mut¬ 
maßung vielleicht gerechtserttgt, daß darüber noch 
ein oder mehrere Tage vergehen werden. 
Auf Form und Begründung der Kriegserklä¬ 
rung kann man einigermaßen? gespannt sein, na¬ 
mentlich, sowett es sich um Deutschland han¬ 
delt. Es ist, so meldet der Berliner Mttarbetter 
der „Franst. Ztg.", nicht unsere Absicht, ihnen diese 
vielleicht etwas unbequeme Ausgabe zu ersparen 
oder durch irgend einen Zwischenfall zu erleichtern. 
Ueber die aus dem Auslände kommenden Nachrich¬ 
ten über die Verpflichtungen Italiens, 
so und so viel hunderttausend Mann nach der 
Champagne zu schicken, und so und so viel 
gegen die Dardanellen, denkt man in politi¬ 
schen Kreisen etwas skeptisch und in militärischen 
mit großer Ruhe. Es wird, wie das bei uns üblich 
ist, von unseren militärischen Absichten und Vor¬ 
bereitungen kein Wort gesprochen. Davon erfährt 
man erst, wenn Taten vorliegen. 
Je mehr man in Deutschland weiß, daß das 
Kriegsseüer in Italien von oft genannten Staats¬ 
männern und einer seit langen Jahren planmäßig 
in frenidem Solde arbeitenden Presse 
mid bezahlten Agitatoren geschürt wird, 
nnd daß die große 'Mehrheit des arbeitenden talieni- 
schen Volkes vom Kriege eigentlich nichts wissen 
will, desto weniger ist von einem Haß gegen das 
italienische Volk in seiner Gesamtheit etwas zu spü¬ 
ren. Der Haß, oder sagen wir, die zur Vergeltung 
drängende Sttmmung und ein Mt Stück Verach¬ 
tung regt sich nur gegen die verantwortliche Regie¬ 
rung und die, die den Krieg bewußt herbeigesührt 
und'das Volk hineingehetzt haben. So kommt es, 
daß Blätter aller Parteirichtungen die Mahnwig 
aussprechen, den noch unter uns lebenden Italie¬ 
nern nicht unfreundlich zu begegnen, 
sie nicht zu beleidigen oder zu verletzen. Es wird 
richtig sein, was eines der Blätter hervorhebt, daß 
die große Mehchett der seit Jahren unter uns le¬ 
benden Italiener Freunde Deutschlands sind, und 
es ist vor allen Dingen auch richtig, daß der zurzett 
noch in Berlin wettende Botschafter Bo l l a t i 
Ter/schland nicht nur gut kennt, sondern es auch 
schätzt, gute Beziehungen zu der Berliner Gesell¬ 
schaft immer unterhalten hat, und daß es nicht nur 
töricht, sondern auch ungerecht wäre, ihn irgendwie 
den Gang, den die Politik Italiens genommen hat, 
entgetten lassen zu wollen. Jede Ausschreitung 
gegen einen Italiener wäre ein Anrecht und eine 
Torheit, (ctr. bln.) 
* Rom, 21. Mai 1915. Heute morgen begab sich 
der österreichische Botschaftssekretär auf 
die Consulta. Später empsing S o n n i n o den Kriegs¬ 
minister Zupelli. 
wtb. Gens, 21. Mai 1915. ,Journal de Geneve' 
meldet aus Rom: Nach der heutigen Senatssitzung 
findet ein Mini st er rat statt, um die Ln tscheidung 
über die Kriegserklärung zu treffen. 
OOP. Wien, 21. Mai 1915. Die diplomatischen 
Beziehungen zu Italien sind noch nicht abgebrochen, 
das kann aber stündlich erfolgen. Die Gesandten 
beim Vatikan werden abberufen, doch die Wiener 
Nunttatur nicht. 
Allgemeine Mobilmachung in Italien. 
OOP. Genf, 21. Mai 1915. Die ,Havas Agentur' 
veröffentlicht eine römische Drahtnachricht, der zu¬ 
folge die allgemeine Mobilisierung des ita¬ 
lienisches Heeres befohlen sei. Das italienische Kon¬ 
sulat gibt bekannt, die Regierung habe den Krieg s¬ 
zustand in Italien erklärt.. 
Der italienische Senat. 
wtb K»m, 21. Mai ISIS. Die Zugänge -um Senat 
sind auch heute pon TrMpeu besetzt. Der Lmttttt ist 
nur den Senatoren und Inhabern von Eintrittskarten' 
gestattet. Ter Saal und die Tribünen sind überfüllt 
Salandra brachte den von der Kammer bereits ange, 
nommenen Gesetzentwurf betreffend außerordentliche 
Vollmachten für die Regierung ein und verlangte Dring¬ 
lichkett für ihn. Die Dringlichkeit wurde einstimmig-, 
angenommen. ,, Beifallsbezeugungen.) Hierauf trat die 
Kommission zur Beratung des Gesetzentwurfs zufam-' 
men, während der Senat für eine Stunde vertagt 
wurde. Bei der Wiederaufnahme der S tzung erklärt! 
Fürst Colonna, der Bürgermeister von Rom, daß mar 
ihn als Berichterstatter der Kommisiion gewählt Habs 
um im Senat den Widerhall der Stimme Roms zu 
hören, der großen Mutter des strahlenden Zielpunktes 
der nationalen Epopoe Italiens, des Denkmals der 
Größe und des Ruhmes, des Ansporns und heiligen Hel- 
dentumes und größter Kühnheit. (Lebhafter, langaichal- 
tender Beifall.) Auf Rom zielt alle patriottsche Glut m 
Italien, von Rom stammt das Licht, das Jahrhunderte 
hindurch die Welt erleuchtet. Derselbe Schrei des 
Schmerzes, der im Jahre 1859 aus ganz Italien zu dem 
großen Herzen Viktor Emanuels aufflieg, wendet sich 
jetzt an die Herzen des Königs und des Volkes nnd ruft 
das Gedächtnis des Parlaments jener Zeiten auf, das 
bereits damals darin einig war, das italienische Vater¬ 
land vollständig wiederherzustellen. (Sehr lebhafter Bei¬ 
fall.) König, Parlament und Volk hören eines Sinnes 
und voll Vertrauens diesen Schrei und übergeben heute 
von dem unsterblichen Rom aus in einem gerechten 
Krieg das Schicksal des Vaterlandes, der Armee und 
der Marine. (Sehr lebhafter Beifall. Rufe: Hoch die 
Armee! Hoch die Marine! Es lebe Italien!) Der Se¬ 
nat hat folgende Tagesordnung in namentlicher Ab¬ 
stimmung mit sämtlichen Stimmen der 281 anwesen¬ 
den Senatoren unter großer Begeisterung angenommen: 
.Der Senat hat die Erklärungen der Regierüng gehört, 
die so deutlich den Willen der Nation aussprechen und 
geht zur Abstimmung über den Gesetzentwurf über. 
Die Abstimmung über die Regierungsvorlage 
selbst ist also im Senat noch nicht erfolgt. Erst 
nach dieser ist die Regierung von jeder Parlaments¬ 
kontrolle für die Kriegserllärung frei. 
Der Wortlaut des Diktatur-Gesetzes. 
Wie der.Franks. Ztg.' gemeldet wird, besteht das 
Gesetz betr. die Uebertragung der absoluten Getvalt 
an die Regierung aus einem Arttkel und lautet: 
„Die König!. Regierung ist im Kriegsfälle und wäh¬ 
rend des Krieges berechtigt, Verfügungen mit Ge¬ 
setzeskraft zu erlassen, die von der Verteidigung des 
Staates zum Schutze der öffentlichen Ordnung und 
der dringenden, sowie außerordentlichen Bedürfnisse 
der Volkswirtschaft gefordert werden. Die Regierung 
ist berechtigt, die entsprechenden Ausgaben zu machen 
und mit außerordentlichen Mitteln den Bedarf des 
Schatzes zu decken. Die Regierung ist weiter ermäch¬ 
tigt, die Verwaltung des Gebahrungsjahres 1915/16 
ohne angenommenes Budget zu führen, sowie die 
außerordentlichen Mittel aufzubringen, die durch die 
wachsenden Ausgaben und die Ausfälle in den Ein¬ 
nahmen nötig sind. (Ctr. fft.) 
Eine falsche Behauptung Salandra». 
Das Auswärtige Amt in Wien erklärt, die Be. 
hauptung Salandras, das österreichische Ultimatun 
an Serbien sei Italien nicht mitgeteilt worden, sin 
falsch. Das Ultimatum wurde notifiziert, allerdings 
erst dann, als Italien nicht mehr Einwendungen 
bekannter Art erheben konnte, (ctt. bln.) 
Bon diplomatischer Seite jwird laut ,Boss. Ztg.' 
erklärt: 
Nach Wort und Sinn des Vertrags war Oesterreich- 
Ungarn nicht verpflichtet, der italienischen Re¬ 
gierung von dem Ultimatum an Serbien Mitteilung 
zu machen. Trotzdem ist eine solche Mitteilung vor¬ 
sichtsweise zu einer Zeit, die Italien kaum passen 
konnte, erfolgt, da es früher gefährlich gewesen wäre. 
In der Regel haben italienische Staatsmänner solche 
Mitteilungen vertraulicher Art mißbraucht, indem sie 
sie an feindliche Stellen Weitergaben, oder sie dazu 
benutzt, unS in den Arm zu fallen. 
Hinzugefügt wird von derselben Seite: Von 
seinen Absichten auf Tripolis und von der Kriegs¬ 
erklärung an die Türkei hatte Italien die 
Wiener Regierung nicht vorher verständigt. 
(Obgleich die Kriegserklärung an die Türkei sicher¬ 
lich geeignet war, nach Salandras Worten „das 
empfindliche Shsteni territorialer Besitzungen und 
Einflußsphären zu stören, das sich aus der Balkan- 
Halbinsel herausgebildet hatte". Die Red.) Uebri- 
aens steht Italien bezüglich seines Eingreifens in 
den Krieg bis zum 25. Mai - (dem Dienstag nach 
Pfingsten) der Entente im Wort, da sonst sein Ueber- 
einkommen mit ihr automatifch gelöst wäre. (ctr. bl.) 
Nach englischem Vorbild. 
Die „Agencia Stefani" meldet nach der „V. Z." 
aus Neapel: Die italienische« Zollbehör¬ 
den haben zwei Tonnen Reis, die an Bord eines 
griechischen Dampfers mit der Besttmmung nach 
Deutschland emgetroffen waren, in Beschlag ge¬ 
nommen. (ctt. bln.) 
Künstlicher Kriegsrausch in Italien. 
wtb Rom, 20. Mai 1915. (Bersp. eingetr.) Obwohl 
die interventionisttsche Presse spaltenlange Bericht« 
über angebliche Kriegsdegeisterung in der Provinz 
veröffentlicht, sttmmen alle glaubwürdigen Nach¬ 
richten darin überein, daß im Grunde weder I n- 
dustrie und Handel in Norditalien noch der 
Weinbauer im Süden von dem Kriege 
etwas wissen wollen- Auch in der Haupt¬ 
stadt ist die Stimmung gedrückt. Die 
meisten Pöbelexzesse der letzten Tage haben natürlich 
ihre Wirkung nicht verfehlt. G i o l i t t i, dem Hun¬ 
derte von Brieftn mit Todesdrohungen zngegangen 
sind und ohne Lebensgefahr das Haus nicht mehr 
verlassen konnte, fft nach seinem piemontesischen Hei¬ 
maisort Cavour zurückgekehrt. Andere Friedens¬ 
freunde unter den Deputierten und Senatoren, 
die an öffentlichen Orten beschimpft und misi¬ 
tz a n d e l t wurden, können, sich kaum noch auf die 
Sttaße wagen. Die Kriegspresft richtet fortgesetzt 
die wüstesten Angriffe gegen diejenigen Personen in 
der Umgebenb des Königs, die für Gegner des Krie¬ 
ges gelten, und verlangt ihren Rücktritt. Dagegen 
wird der König überall, wo er sich zeigt, von den¬ 
selben Elementen mit Evviva la güerra, Evviva U 
Re begrüßt, die jeden Abend vor den englische«», 
französischen imd russffchen Botschaft dcmonsttiereN 
und ganz überwiegend der radikalen und r e - 
pluranischen Richtung angehören. Ein öffent¬ 
liches Geheunnis fft es, daß vor nicht langer 
Zeit die Präsekten des Königreiches 
nach der Stimmung ihrer Departe¬ 
ments befragt, mit Ausnahme der Präfekten 
von Mattand, Mantua Ravenna und Ancona übe r- 
ein stimmend erklärten, die Bevölke¬ 
rung wünsche den Frieden. Jeder weiß auch, 
daß ungefähr der ganze Senat und die ganz über¬ 
wiegende Mehrheit der Kammer gegen den Krieg 
sind. Es ist aber vorauszufthen, daß, wenn das 
Ministerium heute vor das Parlament tritt, die ein¬ 
geschüchterten Friedensft-euude schweigen oder aus 
Furcht, für uupatriottsch zu gelten, in das Kviegs- 
geschrei mtt einstttmnen werden. (So ist es in der 
Tat gekommen.) Wie so oft in romanischen Ländern, 
terrorisiert die Minderheit die Mehr¬ 
heit. Die von der englffchen und ftanzösischen Bot¬ 
schaft inspirierten Blätter lassen sich aus Berlin tele¬ 
graphieren, in Deutschland herrsche namenlose Wut 
^geaeu Italien Ueberall HM? xs: Gott strafe Ftalieo.
	        
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