Full text: Fuldaer Zeitung (1915)

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ratzur«-. bin (7. Juki lyfS. 
Ful-aer Zeitung 
2. Blatt. 
SrvS »er Znldaer Actiendruckerei in Kulda. 
Ei« Rückblick and Ausblick. 
Fast ein Jahr dauert nun der Krieg, und leider 
hört man hie und da Stimmen, die, des Pessimismus 
voll, nicht zufrieden sind mit den Erfolgen, die wir 
bis jetzt gehabt haben. Da erscheint es angebracht, 
zunächst einmal rückschaund uns zu vergegenwärti¬ 
ge«, was wir bisher schon gewonnen haben. 
Auf dem Kriegsschauplatz im W e st e n haben wir 
außer Belgien einen großen Teil von Nordfrankreich 
besetzt und in einer ehernen Schlachtlinie stehen un¬ 
sere Truppen, an der alle Angriffe unserer Feinde zer¬ 
schellten; blutige Niederlagen und zahlreiche Verluste 
an Gefangenen und Kriegsmaterial waren stets deren 
einziger Erfolg. Unser schönes Reichsland ist vom 
Feinde fast völlig befreit. In unserem lieben Ost¬ 
preußen, das beim Ausbruch des .Krieges durch 
vre Invasion der russischen Horden unsäglich zu lei¬ 
de« hatte, ist es den deutschen Waffen gelungen, 
nicht nur einen viel zahlreicheren Feind aufs Haupt 
zu schlagen und aus dem Lande zu werfen, sondern so 
zu schlagen, wie die Weltgeschichte solche Siege seit 
dem Tag von Cannä nicht gesehen hat, und in ihren 
Annalen wird der Name Hindenburg unvergänglich 
sein. Welche herrlichen Erfolge haben wir vereint 
mit unseren Bundesgenossen, den Oesterreichern, in 
Pole« und Galizien zu verzeichnen. Es genügt 
da, die Namen Lodz, Przemtzsl und Lemberg zu nen¬ 
nen! Und welche reiche Siegesbeute haben uns die 
letzten Kümpfe in Polen und Galizien allem in den 
Monaten Mai und Juni gebracht! Sie beträgt über 
eine halbe Million an Gefangenen, dazu 370 Geschütze 
und 1080 Maschinengewehre. Und unsere 
Flotte, wenn sie weiter nichts getan hätte, darf 
den glänzendem Triumph sich zumessen, die größte 
Flotte der Welt, die „Beherrscherin der Meere", 
rn respektabler Entfernung von den deutschen Küsten 
zu halten. Wäre unsere Flott! weniger bedeutend 
und weniger zu fürchten, wie anders wäre es gekom¬ 
men! Im übrigen seien nur die Namen U. 9 und 
N 29 genannt, deren Ruhm die ganze Welt erfüllt. 
Nun gibt es Leute, die unsere letzten, gemein¬ 
sam mit unseren Verbündeten erkämpften großarti¬ 
gen Erfolge gern zugeben, aber doch der Ansicht sind, 
daß es unmöglich sei, R u ß l a n d v ö l l i g nieder¬ 
zuringen, weil es über ein schier unerschöpfliches 
Menschenmaterial verfüg: und immer wieder neue 
Truppen ins Feld schicken könne. Dabei zieht man 
aber nicht in Betracht, daß Menschen aliciit 
noch kein Heer ausmachen. Sie müssen bewaffnet 
und zu richtigen Soldaten gemacht werden, und 
dazu gehört nicht bloß Zeit, sondern vor allem müssen 
geeignete Ofiziere und Unteroffiziere vorhanden sein, 
welche diese Menschen zu Soldaten ausbilden kön¬ 
nen. Und daran fehlt es eben in Rußland. Tie 
Verluste, die das russische Heer in den letzten Mona- 
ten erlitten hat, sind so groß, daß es zunächst gar 
nicht möglich ist, genügend ausgebildete Mannschaften 
aufzubringen, welch: die entstehenden Lücken wieder 
ausfüllen können. Schon in der letzten Zeit sind in 
Rußland nach übereinstimmenden Berichten Rekruten 
mit nur vierwöchiger Dienstzeit eingestellt worden, 
die kaum einmal scharf geschossen hatten. Was das 
für Soldaten sind und welchen Wert ste im Kampfe 
haben, kann man sich leicht vorstellcn. 
Aber auch das Bcwaffnungs- und Kriegsmaterial 
fehlt je länger sc mehr in Rußland. Abgesehen von 
den Millionen von Gewehren, die das russische Heer 
in den Händen der Sieger lassen mußte, darf ohne 
Uebertreibuug gesagt werden, daß mit den Geschütz:«, 
die von österreichisch-ungarischen Truppen allein er¬ 
beutet wurden, der größte Teil des russischen G e- 
schütz- und Maschinengewohrmaterials 
im Lause des Krieges verloren gegangen ist. Und 
ein Ersatz ist ungemein schwer. Die russischen Werke 
sind dazu nicht imstande, und das fehlende Artillerie- 
material aus dem Auslande, wobei nur die Bereinig¬ 
ten Staaten von Amerika in Betracht kommen, zu er- 
ggnzm, ist ebenso wenig möglich, da Amerika, das ja 
mtffj noch für England und Frankreich zu sorgen hal, 
in kurzer Zeit so viel gar nicht liefern kann. 
Wir haben daher gar keinen Grund, ängstlich zu 
fein, daß es nicht gelingen werde, den russischen Koloß 
völlig niederzuringen, im Gegenteil dürfen wir mit 
der Gewißheit in die Zukunft blicken, daß die Wider- 
Unpolltische ZettlSuse. 
N. Berlin, 15. Juli 1915. 
(Nachdruck verboten. 
$5 lebe die Unwissenheit! 
Ich meine das so: Bor zwölf Monaten haben 
wir nicht gewußt, daß wir ein ganzes Jahr hin¬ 
durch einen so gewaltigen Krieg durchzumachen hät¬ 
ten und daß er nach Ablauf des Jahres noch weiter 
gehen würde. Biele glaubten im Juli 1914 noch, 
daß die Sache ohne blutigen Zusammenstoß ver¬ 
kaufen werde, wie so manche frühere Krisis. Als 
nun doch das Unwetter losbrach, hofften die meisten 
aus eine schnelle Erledigung. We.r mit einem hal¬ 
ben Jahre rechnete, galt schon als ein Borsichts- 
kommissarius. Wir haben uns verrechnet, wir wa¬ 
ren schlechte Propheten. Aber hat dieser Mangel an 
Weisheit und Wissenschaft uns geschadet? Ich sage 
«ein! Im Gegenteil hat uns die Unwissenheit 
stark gemacht. Wenn uns vor zwölf Monaten vor 
den Kopf gesagt worden wäre: Ihr müßt den Krieg 
gegen Rußland, England und Frankreich und ver¬ 
schiedene andere Staaten länger als ein Jahr durch¬ 
halten! — dann wäre manches tapfere Her; in die 
Hosen gerutscht. Einen Sommer hindurch, einen 
Winter hindurch und dann noch einen Sommer hin¬ 
durch, — ack, wie sollen wir das bestehen gegen eine 
solche Uebermacht? Werden da unsere wchrähigen 
Leute ausreichen? Werden wir nicht von Arbeits¬ 
losigkeit, Teuerung, Hungersnot und Seuchen heim¬ 
gesucht werden, wenigstens im harten Winter und 
tm stürmischen Frühjahr? Welch' eine Masse von 
Jammer, Elend und Not kann sich im Laufe von 12 
Monaten anhäusen! So hätten die»Aengstlichen ge¬ 
dacht und geklagt. Wäre die Dauer des Krieges 
bekannt gewesen, so hätte die Einbildungskraft die¬ 
sen Zeitraum mit den dunkelsten Vorstellungen 
ausgefüllt. Ten frischen, frohen Mut aufrechtzuer¬ 
halten, wäre viel schwerer geworden. In unserer 
glücklichen Unwissenheit aber gingen wir mit erho¬ 
benem Haupte und gewölbter Brust in das Unter¬ 
nehmen hinein, indem wir uns sagten: Wenn wir 
uns mit aller Kraft in das Zeug legen so wird die 
Geschichte bald zu einem glücklichen Ende kommen! 
Was man nicht weiß, das macht euren ruchl heiß. 
Erfährt man so nach und nach die ernste raahrheit» 
gleichsam in kleinen Portionen, so verdaut man sie 
leichter. Jetzt haben wir uns schon daran gewohnt, 
immer noch einen weiteren Kriegsmonat zu den 
früheren zu legen. Es geht auch so. haben wrr durch 
die Erfahrung gelernt, und so ist letzt die Aussicht 
standskrast des russischen Heeres immer mehr ins 
Wanken kommen wird. 
Eie Zukunft unserer Kslsuien- 
' Vorläufig, aber nur vorläufig ist nun auch 
unsere älteste Kolonie, Südwestafrika, in 
englische Hände übergegangen. Im deutschen 
Stammlande hat man die Nachricht von der lieber- 
gäbe mit voller Ruhe ausgenommen und sich einfach 
gesagt: Wiedersehen macht Freude! Auf 
denl europäischen Kriegsschauplatz, wo die 
Entscheidung fällt, wenDen wir sicherlich siegen, nnd 
dann stellen wir die Friedensbedingungen, in denen 
auch die Zukunft der Kolonien geregelt werden wird. 
Ob inzwischen die Kolonien vom Feinde besetzt 
worden sind, wird gar nicht ins Gewicht fallen. Als 
„Faustpfand" kommt nur das in Betracht, was wir 
in Europa au den Stammländern der Feinde besetzt 
haben werden: Belgien, recht viel Frankreich, viel¬ 
leicht auch ein schönes Stück von England und dazu 
weite Teile vom russischen Reich. So groß und so 
wertvoll die Kolonien in ihrer Art sein mögen, sie 
bleiben doch bei den Friedensverhandlnngen min¬ 
derwertig gegenüber den mutterländischeu Bezirken, 
in denen die Lebenskraft des betreffenden Staates 
wurzelt. 
Diese Ansicht haben wir uns nicht erst jetzt zu¬ 
rechtgelegt, gleichsam als Trostpflaster, sondern schon 
vor dem Kriege waren wir uns darüber klar, daß 
unser Kolonialbesitz in Europa verteidigt werden 
müsse. Das lehrt ja schon ein Blick auf die eng¬ 
lische Uebermacht zur See. Schisse mit Soldaten, 
Munition und Proviant konnten wir in unser: Ko¬ 
lonien nur so lange schicken, als England mit uns 
in Frieden lebte. Sobald England den Kriegspsad 
beschritt, war die Nabelschnur zwischen Deutschland 
und seinen Kolonien zerrissen. Wir mußten die 
Kolonien vorläufig ihrem Schicksal überlassen, — 
bis die feindliche Seemacht durch unsere einheimi¬ 
schen Kriegsmittel bezwungen werden. 
Da die Entscheidung ausschließlich in Europa 
fällt, hätten sich unsere Feinde die vermeintliche 
„Eroberung" unserer Kolonien sparen können. Sie 
hätten das sogar tun müssen, wenn sie wirklich 
für Menschheit und Kultur so begeistert wären, wie 
sie in großen Phrasen zu verkünden pflegen. Es ist 
in den Kolonialkämpfen viel Blut vergossen, viel 
No t und Dual über unschuldige Leute gebracht, 
eine Masse von gemeinnützigen Anlagen vernichtet, 
das Missionswerk entsetzlich geschädigt, das 
Ansehen der Weißen erschüttert, der Ueber- 
mut der rohen Eingeborenen neu belebt, 
überhaupt eine Zerstörung von Kulturgütern 
(materiellen und moralischen) im weitesten Umfang 
in Gang gebracht worden, und das alles für nichts 
und wieder nichts, — nur um einen trügerischen 
Schein von „Erfolgen" nach Europa berichten zu 
können. Deutschland rrnd Oesterreich führen den 
Krieg so konzentriert als möglich; sie setzen ihre 
ganze Kraft an den entscheidenden Stellen 
ein, aber sie tragen nicht die unvermeidlichen Zer¬ 
störungen und Strecken dorthin, wo sie der eigent¬ 
liche Kriegszweck'nicht erfordert. Unsere Feinde da¬ 
gegen haben stets die Ausdehnung der Kampf¬ 
gebiete angestrebt und dadurch eine Ausdehnung 
der Lasten "und Leiden üb« das gebotene Maß her- 
beigesührt. 
Unsere wackeren Landsleute in den Kolonien, die 
abgeschnitten vom Mutterlandc auf ihre eigene 
schwache Kraft angewiesen waren, haben die Ehre 
vollauf gerettet. Mehr konnten sie nicht retten an¬ 
gesichts der erdrückenden Uebermacht. Den Besitz 
selbst zu retten, ist unseren sieggewohnten Land¬ 
truppen, den kühnen Unterseebooten und wahr¬ 
scheinlich in letzter Reihe auch unserer kampfbegieri¬ 
gen Panzerflotte Vorbehalten. 
Unsere Kolonien waren nicht vorbereitet 
auf einen Kampf gegen weiße Feinde. Die Be¬ 
hauptung der englischen Presse, daß Deutschland den 
Krieg von langer Hand geplant und herbeigesührt 
hätte, wird schon durch die Tatsache widerlegt, daß 
die Kolonien vollständig unausgerüstet geblieben 
waren. Hätten wir hinterlistige Kriegspolitik ge¬ 
trieben, dann wäre es uns ja ein leichtes gewesen, 
zur rechten Zeit die Kolonien mit einer gehörigen 
Zahl von Kanonen, Munition und Truppen zu ver- 
prgcn, und dann wären die Ueberfälle den Feinden 
iwch viel schwerer geworden, als jetzt; zum Teil wä¬ 
ren sie vermutlich sogar gescheitert trotz aller Ueber¬ 
macht. Wir brauchen aber nicht zu schelten oder zu 
klagen über die Schwäche der deutschen Wehrkräfte 
in "den Kolonien, da wir die Gewißheit haben, daß 
bei dem entscheidenden Siege in Europa alles wie¬ 
der in Ordnung gebracht wird, was durch die Ueber¬ 
fälle vorläufig verdorben zu sein scheint. 
Auf unserer Seite ist die Ehre und die sichere 
Aussicht auf Wieder gewinn. Auf der Gegen- 
seitc aber lastet zunächst die Schande der kultur¬ 
feindlichen, unmenschlichen und unvernünftigen 
Kolonialkämpfe, und der Schaden wird schon 
beim FriedenSschlutz hinzukomvten. ' s v ■ 
Lokales. 
Fulda, 17. Juli 1915. 
# Befördert wurde der Vizewachtmeister Hans 
Heerdt in der 1. Batterie des Feldartillerie-Regi¬ 
ments 47 zum etatsmäßigen Wachtmeister. 
—* Eine zeitgemäße Mahnung-richten die amt¬ 
lichen Vertretungen der Landwirtschaft an ihre Be¬ 
rufsgenossenschaften. Sie bezieht sich auf den 
Schutz der Ernte gegen Brandstiftun¬ 
gen. Angesichts der fortgesetzten Aushungerungs¬ 
bestrebungen unserer Feinde ist doppelte Vorsicht ge¬ 
boten, daß die Getrerdeschober nicht in Brand ge¬ 
steckt werden. Alles umherstreifende Gesindel muß 
scharf beobachtet werden. 
Mit der Ernte der Frühkartoffel» sollte man 
nicht eher beginnen, bis das Laub welk und 
trocken wird, sonst erhält man nur kleine, unreife 
und auch ungesunde Knollen, die aber nach drei 
Wochen sich so entwickelt hätten, daß sie das Dop¬ 
pelte und Dreifache an Ertrag geben würden. Biele 
Gartenbesitzer ernten ihre Kartoffeln zu ihrem eige¬ 
nen Schaden viel zu früh. 
;; Obstreste und Kirschkerne gehören nicht auf 
die Straße! Wie oft ist es schon gesagt worden 
und wie oft ist schon auf die Gefahr des Verstoßes 
gegen die Verordnung hingewiesen worden — dies 
hindert aber nicht, daß man zurzeit kaum ein paar 
Schritte zu gehen braucht, um auf Kirschkerne zu 
treten! Bietet solch ein achtlos hingeworfener Stein 
schon eine Gefahr für einen gesunden Menschen, 
wieviel mehr für einen in der Bewegung gehemm¬ 
ten auf Stock und Krücke angewiesenen Verwun¬ 
deten ! Also die Straße von Kirschkernen und Obst¬ 
resten freihalten! 
Al. 21 unltttt JMtittttn Weltwii" 
bringt auf der Titelseite ein äußerst malerisch wir 
kendes, feines Stimmungsbild: Deutsche Pa¬ 
trouille beim Durchmarsch durch ein Torf der 
Bukowina. Eine Reihe ausgezeichneter Bilder führt 
uns auf den türkischen Kriegsschauplatz und zeigt 
u, a., welch große Begeisterung in Konstantinopel 
für die gemeinsame Sache des neuen Dreibundes 
herrscht. Mehrere wohlgelungen: Aufnahmen ver¬ 
anschaulichen die verheerenden Wirkungen des 
Krieges. Aus den eroberten Gebieten Russisch- 
Polens werden interessante Aufnahmen aus L o - 
wicz zur Veröffentlichung gebracht. Besondere 
Aufmerksamkeit aber verdient die Reproduktion einer 
Zeichnung der bekannten und weit verbreiteten ame¬ 
rikanischen Zettschrift „Life", die, offenbart, wie sich 
unsere „Freunde" die Karte Europas nach 
dem Kriege vorstellen. Deutschland ist nämlich 
aus dieser, von fanatischer Feindseligkeit zeugenden 
Landkarte völlig vom Erdboden verschwunden. Eine 
Reliefiarte von dem Gelände der Lorettoschlacht mit 
den heiß umstrittenen Kampforten Souchez, Neu¬ 
ville usw. dürfte ebenfalls großem Interesse be¬ 
gegnen. 
auf einen Dauerkrieg längst nicht so erschreckend 
mebr, als vor einem Jahre. 
Die Zukunft ist verschleiert. Einige Löcher 
und*gelegentliche Spältchen sind schon in^ diesem 
Schlcierzcug, so daß man hier und da ein Stückchen 
Zukunft ahnen kann. Aber ein ganzes und gewisses 
Bild gibt cs nicht; der Mensch bleibt unwissend. Das 
verdrießt manchen. Er will durchaus hinter die 
Geheimnisse der Zukunft kommen und wird zum 
Dichter. In stillen Stunden des Tages und der 
Nackt brütet er über vermeintlichen Zukunstseier». 
Er sucht sich auszudenken, was Wohl kommen könnte. 
Der eine baut sich dabei herrliche Lustschlösser, der 
andere legt sich ein Bergwerk von Lasten, Gefahren 
und Leiden an. Die gänzlich Schwachen im Geiste 
laufen sogar zu einer Wahrsagerin, um für einige 
Groschen "ihrer Phantasie aufhelsen zu lassen. Die 
Wahrsager wissen glücklicherweise auch nichts von 
der Zukunft; sonst "würden sie noch mehr Schaden 
anrichten, als sie jetzt schon gelegentlich durch ihr 
dummes Gerede tun. Der liebe Gott hat aus guten 
Gründen uns die gefährliche Kenntnis dev> Zu¬ 
kunft entzogen, damit uns die stärkende und tröst¬ 
liche Hoffnung erhalten bleibe. 
Wenn der Arzt einen Kranken untersucht und 
findet, daß der arme Mensch einem jahrelangen 
Siecktum oder gar dem sicheren Tode verfallen ist, 
so hütet er sich wohl, dem Leidenden diese bittere 
Wahrheit an den Kopf zu werfen. Er sagt ihm nur 
so viel, als nötig ist, um ihn zu einer zweckmäßigen 
Kur und vernünftigen Lebensweise zu veranlassen. 
Denn der Zweck des Arztes ist. dem Kranken zu 
helfen und das kann er nur, wenn er den Rest des 
Lebensmutes sorgfältig schont und womöglich von 
neuem ansacht. Wenn uns eine .Krankheit befällt, 
so suhlen wir ja selbst, daß die beste Medizin die 
Hoffnung ist: „O, es wird schon bald Vorubergehen, 
ich werde den Anfall schon überwinden." Und 
dauert es dann doch länger und wird das Leiden 
schwerer, als man gedacht hatte, nun, so legt man 
Tag für Taa ein neues Holzscheit in das Hoffnungs¬ 
feuer und hält es in Glut. Man hofft sich so durch. 
„Was soll aus diesem Kinde werden?" ftagen 
die Eltern an der Wiege des Neugeborenen. Der 
Vater begrüßt mit stolzer Freude den Sprößlmg. 
und die Mutter lächelt matt, aber glückselig auf den 
Zuwachs an ihrer Seite. Die Eltern hoffen das 
beste. Die Kindtaufe fft ein Jubelfest. Wie oft 
würde ein Jammertag darausf werden. wenn die 
Eltern voraus wüßten, welches^Elend dieses Kind 
durch körperliche Krankheiten - oder durch spätere 
sittliche Verirrungen über sie- u"d die ganze Familie 
bringen werde. Ach, der Gram und die Tränen kom¬ 
men noch stüh genug. Mögen die Eltern sich doch 
erst in freudiger Hoffnung stärken zu chrer schweren 
Aufgabe. Wenn sie die schlimme Zukunft schon vor¬ 
her "wüßten, so würde ihr Leid verdoppelt, aber nicht 
abgewendet werden. Denn die krampfhaften Be¬ 
mühungen, ein Verhängnis abznwenden, würden 
doch nicht zum Ziele führen, sondern eher noch das 
Unheil beschleunigen und erweitern. Es geht wie 
beim Nachtwandeln: der Anruf löst den Fall aus. 
Der Zukunftsschleier ist besonders gut für die 
Erhaltung des Friedens unter den Menschen. 
Du lebst mit deinen Anverwandten in schönster Har 
nkonie und hast viele gute Freunde. Aber die Ver¬ 
schiedenheit der Charaktere, der Widerstreit der In¬ 
teressen oder gehässige Einwirkungen von dritter 
Seite führen häufig eine Störung der Eintracht her¬ 
bei. Reibungen, Mißverständnisse, Streitigkeiten 
gehören zu dem unvermeidlichen Ballast der Erden. 
Pilgerfahrt. Wenn wir nun schon im voraus wüß 
ten, was dieser nnd jener künftig einmal gegen uns 
sagen und tun wird, so wäre die Freundschaft schon 
inr ersten Keime erstickt. Es gäbe kaum noch eine 
Ruhepause in den irdischen Aergernffsen. Die Un¬ 
wissenheit ist die Pflegemutter der Liebe, und da 
die Liebe glücklich macht, so ist die Unwissenheit die 
Quelle der Glückseligkeit. 
Die Legende erzählt, daß einmal ein vorwitziger 
Mann den Himmel belästigt habe mft feiner fort¬ 
währenden Witzbegierde. Um ihn zu kurieren, habe 
der liebe Gott ihm einmal die Fähigkeit gegeben, 
durch alle Wände und Dächer hindurchzuschauen, 
die Schicksale aller Familien und aller Einzelmcn 
scheu zu beobachten. Aber — heißt es weiter — schon 
am nächsten Tage sank der Mann auf die Knie und 
bat verzweifelt, "daß die Hellseherei wieder von ihm 
genommen werde, da er den Anblick von all diesem 
Wirrwar, Unfug und Elend nicht ertrager^könne. 
So ging xs dem Mann, der die Gegenwart 
vollständig kennen lernen wollte. Es würde uns 
ähnlich ergehen, wenn wir über die Zukunft all¬ 
wissend sein wollten. 
Leben heißt streben. Unsere Strebsamkett 
würde zusammenklappen wie ein angeswchener 
Luftballon, wenn wir unser Geschick im voraus 
wüßten. Der eine würde aus Verzweiflung die 
Hände in den Schoß legen, der andere sich in Er. 
Wartung des großen Loses der Liederlichkeit erge¬ 
ben. Der Mensch soll seines Glückes Schmied sein; 
aber wird er am Amboß schwitzen wollen, wenn 
ihn, schon das Gelingen oder Mißlingen des Glücks- 
. vorher angekündigt worden ist? 
Kur dem Nachbargebiel. 
* Brückenau, 15. Juli 1915. Bei Erntearbeiten 
geriet der Fabrikarbeiter Kraus aus Bernrich^ nach 
einem Wortwechsel mit seiner Ehefrau in Streit, 
in dessen Verlauf er sie durch einen Messerstich in 
die Herzgegend tötete. Nachdem der Vater dort 
seinen drei Kindern Abschied genommen hatte, stellte 
er sich der Gendarmerie. 
* Bad Wildungen, 16. Juli 1915. Bei der Spie¬ 
lerei mit einer geladenen Schußwaffe war ein 
Schulknabe imAlter von 9 Jahren in Reiichardshau- 
sen schwer verletzt worden. Im Krankenhause ist der 
Knabe seinen Verletzungen erlegen. 
-t- Kassel, 16. Juli 1915. Während der Tauer 
der Ausstellung für Verwund eten- 
und Krankenfürsorge finden abends 7 Uhr 
im Hörsaale des Landesmuseums folgende Vor- 
träge statt: Montag, 19. Juli: Dr. A. Michel: 
„Tie sanitäre Kriegsbereitschaft Deutschlands"; 
Dienstag, 20. Juli: Oberstabsarzt Tr. Möhring 1: 
„Die Bekämpfung des Ungeziefers im Felde"; 
Mittwoch. 21. Juli: Fräulein Mohe: „Die Arbeit 
des Vaterländischen Frauenvereins Kassel in der 
Kriegszett"; Donnerstag. 22..Juli: Kreisarzt Geh. 
Medizinalrat Dr. Heinemann: „Bekämpfung der 
Kriegsseuchen": Freitag, 23. Juli: Zahnarzt Scheele- 
„Die zahnärztliche Fürsorge im Felde"; Montag, 
26. Juli: Geh. Regierungsrat Landesrat Dr. 
Schroeder. M. d. A.: „Die Aufgaben. der Laiidcs- 
Versicherungsanstalt im Kriege und die wirtschaft¬ 
lichen Fragen der Kriegsbeschädigtenfürsorge": 
Menstag, 27. Juli: Tr. med. Jansen: „Krieg und 
Nerven"; Mittwoch, 28. Juli: Frau Oberkrwgsge- 
richtsrat Platz: „Die Kasseler Helferinnen in der 
Kriegszeit"; Donnerstag, 29. Juli: Stabsarzt Sani- 
tätsrat Dr. Meder: „Schutzimpfungen gegen Kriegs: 
krankheiten"; Freitag, 30. Juli: Regierungs- und 
Baurat van Heys: „Beförderung von Kranken und 
Verwundeten, im besonderen in Lazarettzügen"; 
Montag, 2. August: Stabsarzt Dr. Alsbtrg. „Wie 
machen wir unsere Kriegsbeschädigten wieder er¬ 
werbsfähig?"; Dienstag. 3. August: Rektor Henck: 
„Der Sanitätshund. Seine Geschichte und Ver¬ 
wendung im Felde". ' 
* Eisenach, 14. Juli 1915. Am Montag durch¬ 
fuhr ein langer Eisenbahnzug die Station Eisenach, 
der viele gefangene französische Soldaten 
ihrem neuen Bestimmungsort zuführte. Während 
sonst die gefangenen Franzosen in Personen- oder 
bequem eingerichteten Güterwagen unter Bewa¬ 
chung fuhren, wurden sie diesmal nur in geschlos¬ 
senen Güterwagen befördert: die sic begleitenden 
deutschen Soldaten fuhren in Personenwagen mit. 
Diese Beförderungsart dürfte als Vergettungsmaß- 
rcgel für die vielfach grausame Behandlung gefan¬ 
gener Deutscher in Frankreich anzusehen sein. — 
Aus Süddeutschland kommend, passierten ctnv Frei- 
ton in einem Eisenbahnzug vierzehn höhere franzö¬ 
sische Offiziere, darunter eimge Generale, die 
Strecke Lichtenfels—Probstzella. um einer schärferen 
Gefangenschaft in der Festung Küstrin an der 
Oder überwiesen zu werden als Vergeltung für die 
unseren deutschen Gefangenen in Französischasrna 
zuteil gewordene Behandlung. 
* Aus Thüringen, l6. Juli 1915. In Watters¬ 
dorf bei Weißensee in Thüringen brach in der Dutz- 
ronschcn Polenkaserne Feuer aus, das sich bei dein 
herrschenden Sturm schnell ausbreitete, so daß m 
kurzer Zeit acht Wohnhäuser mit sämtlichen 
Scheunen und Ställen völlig eingeäschert wur¬ 
den. Einige Schweine sind mitverbrannt. Die 
ganze Klee- und Heuernte ist vernichtet. Der Ge- 
samtschaden beträgt rund 100 000 Mark. Es herrschte 
Wassermangel. . „ „ 
* Vom Untcreichsfelde, 14. Juli 1915. Tre Preise 
für F e rk e l sind in den letzten Tagen fast um die 
Hälfte zurückgegangen. Noch vor wenigen Wochen 
kosteten sie überall 30—35 Mark. Im Hinblick aus 
die im Herbst zu erwartende gute Kartoffelernte ist 
jetzt im Schweinehandel eine allgemeine Stockung 
eingetreten. 
* Aus Mittelsranken. 15. Juli 1915. Aus nicht 
aufgeklärte Weise brach gestern abend in Burgbern 
Tie Hofftiung fft kein leerer Wahn, auch nicht 
einmal in dem Falle, daß sie schließlich scheitert. 
Tenn sie gibt uns Mut und Kraft zur Arbeit, und 
dieses Ringen und Streben ist das beste, was uns 
auf Erden beschieden werden kann. Arbeit macht 
das Leben süß, dieser Zucker des Daseins »nächst aus 
dem Acker der Unwissenheit über die Zukunft. 
Der Christ sieht über die Erdenwelt hinaus und 
8 Ist 
fragt auch nach der Zukunft im I e n s e i t s. 
die auch entschleiert oder dunkel? Zn und nem. 
Wir wissen nicht, ob wir das Ziel der ewigen Glück¬ 
seligkeit erreichen werden, aber wir haben die Ver¬ 
heißung, daß den redlich Strebenden die nötige 
Gnade gegeben wird. Und eines wissen wir ganz 
sicher: wenn wir treu ausharren und uns eine wlige 
Sterbestunde beschert wird, dann erreichen wtt im 
Jenseits das volle Glück, den unvergänglichen Fne- 
den, den Ausgleich für alle irdischen Lasten und Lei¬ 
den- In dieser Hoffnung sollte sogar der Tod seine 
Schrecken und das Grab' seine Finsternis verlieren 
Der Körper bleibt freilich immer schwach und hat 
Furcht vor der Krankheit und der Auflösung, die 
ihm bevorsteht. Daher ist es eine besondere Wohl 
tat, daß uns die Stunde des Todes unbekannt 
bleibt, bis sie schlägt. Wir hoffen bis zum äußer¬ 
sten auf eine Verschiebung dieses letzten Termins 
und das bewahrt uns vor der langsichttgen Todes 
angst, die sonst unsere Nerven zerrütten wurde. Ein 
leichtfertiger Mensch denkt vielleicht: Wie schön war' 
es doch, wenn ich ganz sicher wüßte, daß ich erst ir 
zwanzig, dreißig, vierzig und noch mehr Zähren 
sterben würde! Diese Art von Lebensverstcherunc 
würde aber nur auserwählten Heldennaturen zu¬ 
träglich sein. Wir gewöhnlichen Sterblichen wür¬ 
den dadurch aus dem richtigen Gleise gebracht, zv 
Ausschreitungen und Maßlosigkeiten, zu Raubbau 
an der Gesundheit verleitet werden. So würde de, 
späte Tod mit langem Siechtum und schwerer Ge- 
Wissensbelastung erkauft werden. Biel heilsamer ist 
es wenn wir stets auf den Tod, wie ein Tieb m 
der Nacht, gefaßt seien und deshalb uns vorbereitet 
hatten müssen. r ,. 
Die Zukunft ist für unsere schwachen Augen 
dunkel, aber das soll uns gerade anspornen, sie nach 
besten .Kräften hell und glücklich zu m ach e it. Nicht 
das Wissen, sondern das Können 'st der beste 
Teil. Zeigen wir,- was wir können, sowoh m ver 
rahen Krieaszeit für das Vaterland, als auch trt §er 
Schmiede des Familienglückes und des e'genep 
Seils! ‘ r '
	        
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