Full text: Bonifatiusbote (1918)

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Zu denselben Tagen versammelten sich die Er, 
wählte» des Reiches, die Berater deS Vaterlandes, 
vor ihrem Kaiser. Und in dieser Stunde der grö߬ 
ten Not und Gefahr, die je über Deutschland ge¬ 
kommen, wußte der Kaiser kein besseres Wort, kei¬ 
nen schöneren Feldruf als den: „In Gottes Namen 
— drauf!" 
Und dann lief ein Wort des Wissens durch das 
ganze Vaterland. Es sprang von Mund zu Mund, 
von Herz zu Herz und hieß: „Gott mit uns!" 
Und Gott war mit uns! Was in seinem Namen 
Leaonen wurde, geht auch nach seinem Willen zu 
Ende. 
Denn „in Gottes Namen" will nichts anderes 
besagen, als: nach dem Willen des Herrn aller 
Dinge, dem ich mich und das Meine unterordnen 
will. Es heißt nichts anderes, als sich bei all seinen 
Haicklungen oder Unterlassungen ru ftagen: kann 
ich das in Gottes Namen verantworten? Dürfte 
Gott Zeuge dieser Tat sein? 
Wir dürfen sicher sein, daß alles, was nicht vor 
Gottes Angesicht bestehen kann, auch kür uns wert¬ 
los und verlorene Müh« ist. Es müßte denn sein, 
daß unser irdisches Leben Selbstzweck wäre. . Aber 
des ist so wenig der Fall wie in der Schule, in der 
wir auch nur für das Lel>en lerr-m und gelernt 
haben. Das Leben selbst aber ist nichts anderes als 
eine hohe Schule des Menschen mit vielen und schwe¬ 
ren Prüfungen, in der wir uns aus ein anderes 
Leben vorbereiten. Und die Prüfungen dieses Erden¬ 
lebens tragen wir um so schwerer, ie weniger wir 
ur6 an Gottes Wck'en halten. Diese Erfahrung 
kann jedermann täa'.ih an sich machen. Und diese 
Prüfungen selbst sind in den meisten Fällen schon 
ein: Folge davon, daß wir unser Lebenswerk nicht 
in Gottes Namen durchführen; nach den Grundsätzen 
des Glaubens und der Sittenlehre, nach den For¬ 
derungen der Nächstenliebe, in Uebereinstimmung 
mit unserm ewigen Ziele. Alles, tvas uns das Leben 
verbittert und verleidet, läßt sich auf diesen Urgrund 
zuruckführen: Krankheiten als Folge von Unmäßig¬ 
keit aller Art, Feindschaften aus Mangel an Näch¬ 
stenliebe. Unzufriedenheit, Verdrossenheit, Nervosi¬ 
tät — diese übelste und allgemeinste Zeitkrankbeit 
— als Folge unserer Selbstsucht, die nur in der 
Befriedigung sinnlicher Neigungen Genügen. finden 
will, aber nicht findet und die Gier nur steigert. 
In den letzten Jahre« sind eine Menge Bücher 
über ,Lebenskunst" erschienen, die alle darin gip¬ 
feln, wie man sich den Widerwärtigkeiten des Erden- 
waltens entzicbe-l könne, ohne auf die Genüsse des 
Lebens verzichten zu müssen. Sie betrachten das 
Leben als Selbstzweck und vergessen, daß das Leben 
nichts anderes ist als ein ständiges Ueberwinden sei¬ 
ner Widerwärtigkeiten. Wer ober im Ueberwinden 
Meister ist, dem offenbart sich die Welt und ihr 
Wesen von selbst. Es ergeht ihm wie dem müh¬ 
seligen Bergsteiger, der nach Stunden harten Wan. 
derns die Welt zu feinen Füßen schaut und sich 
sagt: Diese herrliche Schau in Mandersrast ist Krone 
und Selbstlohn meiner Mühe. 
Der Uoberwinder ist der wahre Lebenskünstler. 
Dem gehen die wahren und einzigen Freuden des 
Lebens auf, die der Satte und Müßige nie empfin¬ 
den wird» die Freude des Schaffens, die Süße der 
Rast nach heißer Müh«, ein Labeirunk, ein Men¬ 
schendank für Wvhltnn, ein Feierabend nach hartem 
Tagewerk. Ueberwinden der Sinne befreit die 
sScjoleß Göttliche im Mer/chen gaivinnt die 
Oberhand. Die Ueberwinder sind die Helden, auf 
deren Schilden der Feldruf steht: „In Gottes Na¬ 
men!" 
Wie an der Er!l. das Gesetz der Schwere haftet, 
sa drückt uns das Gesetz der Trägheit, wie die Na¬ 
turwissenschaft sagt, darnieder, die Eigenschaft des 
Rühens und BcharrenS im ■ ( n ahnten Zustand. 
So wie der Stein in die Lust geschleudert, kraft sei¬ 
ner Schwere inuner wieder zu Boden fällt, so sinkt 
auch unsere Natur wieder ins Sinnlich« zurück. Aber 
wir sind nicht lebens- und willenlos wie das Stein- 
tzebild, wir tragen «och ein anderes Gesetz in unS, 
das Wissen «eines Höheren und Uebersinnlichen, dem 
die Sinne nur Werkzeuge zum Zweck, nicht aber 
Selbstzweck sein dürfen. Und daraus ergibt sich 
unsere höhere Bestimmung: Uebertvinlsu, in GotteS 
Namen sein Tag- und Lebenswerk verrichten, da¬ 
mit sich unser Wctcn immer vollkommener nach dem 
Wille» des Höchsten gestalte. Tann reist das Ewige 
in uns der Vollendung entger/n. der ein hoher Lohn 
verheißen ist: „Wer ausharrt bis ans Ende, wird 
selig werden". 
Und wie der Bail rsmann sein Tagtverk, das in 
Gottes Nomen begann, mit einem Gottdank be¬ 
schließt, so iöerden ftrtt auch am End« ür$t«S Le¬ 
benswerkes, wenn es in GotteS Namen gestaltet 
wurde, in einem früedsamen Feierabend der Seele 
den hohen und weisen Willen erkennen, der unS 
führte. Und dankbare» Herzens werden wir lzekun- 
den: „Ihm sei die Ehre!" 
Dar Aren; ayf dem Schlachtfelde. 
AuS der Trümmerfeldes Wildni», 
Wo nur Drahtverhaue schwanken. 
Ragt ein steinern ChristuSbildniS 
In verschlang'»«» dürren Ranken. 
Ringsum bersten die Granaten, 
Haben Busch und Baum entlaubt. 
Doch sie richten keinen Schaden. 
Um de» Heiland- steinern Haupt. 
Und der Heiland streckt die Hände 
Mahnend über Freund und Feind. 
Mahnend, daß das Morden ende. 
Und er neigt sein Haupt und weint, 
Wemt wie einstens, da er ahnend 
Schaute dieses Völkermorden, 
Da er seinen Kreuzweg bahnend 
Leidvoll schritt durch SionS Pforten. 
Weint um jene, die da wimmernd 
Fällt da» mörderische Eisen, 
Und des Kreuze? Arme schirmend 
Trostverkündend jenseits weisen , . . . 
— — Au» de» Trümmerfeldes Wildni», 
Wo nur Drahtverhaue schwanken. 
Ragt ern steinern ChristuSbildniS 
In verschlung'nen dürren Ranken. 
W. Hauck, Arm.-Soldat. 
Km Kögrund. 
Eine wahre Begebenheit. 
Eine stockdunkle Nacht. Ueber den niederen Draht- 
zaun der Villa gleitet lautlos ein Schatten, gleitet 
am Hause entlang zur Eingangstür. Ein leiser 
Ruf berrchigt den Wachthund, der sich schweif¬ 
wedelnd an den Fremden drängt. Jetzt öffnet dieser 
mit einem mitgebrachten Schlüssel mühelos die Tür. 
Er war nicht umsonst einen Monat lang Diener in 
dem Hause gewesen; da hatte er Zeit gehabt, sich 
Nachschlüssel machen zu lassen. Lautlos zieht er tue 
Tür hinter sich zu und befindet sich in der hohen, 
getäfelten Halle. 
Ein absonderliches Gefühl beschleicht ihn. Es.ist 
das erste Verbrechen, welches er begehen will. Bis. 
weilen war er wohl ein Bruder Leichtsinn, ein Ar¬ 
beitsscheuer gewesen, aber nicht gerade ein schlechter 
Ddensch. Aber seit mehreren Wochen schienen ihn 
alle bösen Geister dem Verbrechen in die Arme zu 
ireiben. Die kranke Mutier, die noch etwas Ein¬ 
fluß auf ihn gehabt, war gestorben; er hatte keine 
Seele mehr in der Welt, auf die er Rücksicht neh¬ 
men mußte. Glaub«? Nächstenliebe? — das halte 
er längst überwunden. Aber, waS er nicht über¬ 
winden konnte, das war die Arbeitsscheu, die den 
Hunger, den quälenden Hunger mit sich führte. 
Wie er nun da in der dunklen Halle stand, mit 
angehaltenem Atem, da war es ihm, als rief ihm 
seine tote Mutter zu: „Tu's nicht, kebr' um!" 
Aber gewaltsam schüttelte er die bessere Regung ab 
und lappte langsam weiter zum Treppenaufgang. 
Klopfenden Herzens stieg er hinauf, jedeSmal, wenn 
das Holz knarrte, ängstlich innehaktend. Endlich 
war er oben vor dem Speisezimmer, dessen Silber- 
schätzen sein heutiger Besuch galt. Er kannte den 
Leichtsinn des Hausherrn, wußte, daß er nur eine 
Tür in der Halle verschließen ließ, daß er also hier 
völlig bequem einen Raub ausführen konnte. Seine 
Hand tastete am Türrahmen entlang. Ta — ein 
verwirrender Schrecken erfaßte ihn — er hat eine 
kalte, starre Hand berührt. Kalter Schweiß trat 
aus alle« seinen Poren. — Aber vielleicht war es 
Täuschung seiner wildbewegten Sinne. Nochmals 
streckte er langsam die Hand aus ins Dunkle, — 
wieder zog er sie entsetzt zurück. Diesmal hatte er 
deutlich ein kalte», starres Menschenantlitz gefühlt. 
— Lehnte ein Toter da? Wie tvar das nlöglich? 
Dem Mann« schlotterten die Knie vor Grausen. 
Nach einer geraumen Weile zündete er mit zittern¬ 
den Fingern ein Wachskerzchen und leuchtete vor 
sich hin. Da stand an der Wand angelehnt — das 
große Kreuz mit dem toten Heiland darauf, da? 
sonst in der Halle zu hängen pflegte. Man hatte 
cs abends abgcnommcn, da Handwerker die Halle 
ausbessern sollten, und hatte es einstweilen vor die 
Tür an die Wand gestellt. Dein Sünder war's, 
als ob ein Blitz niederführe vor seinen Augen. Hier, 
an der Schwelle des Verbrechens, trat ihm der Hei¬ 
land entgegen. — Einige Minuten lang starrte der 
Mann da» Kreuz mit großen Augen an; ein dum 
pfe» Stöhnen entrang sich seiner Brust. 
Gleich daraus verlöschte das Licht; ein Schatte» 
glitt langsam die Treppe hinab, zum Tor hmauS, - 
über das niedere Drahtgitter. — \ 
Am nächsten Morgen hielt ein ziemlich herunter» 
gekommener Mann in der Fabrik um Arbeit an. 
Man gab ihm solche, Wohl etwa» mißtrauisch erst, 
aber nach einigen Wochen schon wuchs da» Ber- 
trauen, der Mann schien 'ernst machen zu wollen, 
und bald zählte er zu den gewissenhaftesten und 
tüchtigsten Arbeitern. E. 5c. 
Zu spat. 
Kommt da eine» Morgens ein Rachbar zur 
Nachbarin und grüßt sie: „Ach, guten Morgen, 
Nachbarin, Ihr seid schon früh auf. Ich Hab'ge- 
meint, Ihr seid halber krank!" — „Ja, ja, sagt 
diese, .ich weiß nicht, was in unserem Hause ist, e» 
will halt niemand aufstehen. Wenn ich und der 
Vater nicht zuerst gehen, bleibt alles liegen. Wenn 
man noch kleine Kinder hat, weiß man's; aber mit 
den Großen — sechs», siebenmal kann, man rufen, 
und dann murren sie noch. Es ist jetzt halt nicht 
mehr wie früher." — Vierzehn Taqe spater, an 
einem Sonntag nachmitttag, kam der Nachbar wieder 
zu derselben Nachbarin, grüßt und sagte: „Die Frau 
Nachbarin ist halt doch eine fleißige Frau,.die kan« 
gar nie müßig gehen, muß am Sonntag noch flicken. 
— „Ja, ja," erwiderte sie, „ich muß der ältesten 
Tochter dieStrümpfe ein wenig stopfen, sonst streckt 
sie die Ferse und Fußzehen die zonze Woche hinten 
und vorne heran»; sie macht mit ein Paar Freun¬ 
dinnen vom Verein einen Spaziergang. Ich und 
der Vater hoben unS jetzt aber ander» besonnen; sre 
muß jetzt einmal fort in eine HaushaltungS-Schule, 
daß sie etwa« lernt und etwa» kann, wenn sie e»n- 
mal verheiratet ist." i 
Merk's; „Man muß an den Kindern nicht blind 
sein, solange sie klein find; sonst gehen einem d,e 
Augen zu spät auf." 
Die Waisenhäuser v)n 5t. Ktaneirk-. 
Der kleine Leland Stanford war der Sohn einet 
Senators der BereinigtenStaaten und Gouverneur» 
von Kalifornien. Seine Mutter war die Königin 
der Mode. Sie besaß eine bewunderungswürdige 
Sammlung von Edelsteinen und Schmuckgegenständen. 
Es wäre ihr unmöglich gewesen, einen Ball zu ver¬ 
säumen. Bei keiner Festlichkeit der Gesellschaft durfte 
sie fehlen. Den kleinen Leland, ihr einziges Kind, 
überließ sie beständig der Obhut fremder Personen, 
der Gouvernante und dem Dienstpersonal. Der 
Kleine war fromm und liebte s-ine Mutter zärtlich, 
obgleich er sie nur selten zur Gesicht bekam. — Als 
einmal ein Verwandter des Hauses starb, mußte 
Madame ihre Festlichkeiten unterbrechen. So konnte 
ste nun manchmal mit ihrem kleinen Sohne einen 
Spaziergang machen. Sie besuchte m:t ihm, weil 
das so Modesacke bei den Damen der hohen Gesell- 
schaft war, ein Waisenhaus, und brachte den Kindern 
Spielzeug und Näschereien. An diesem Tage fühlte 
sich der Kleine zum erstenmal glücklich. Frau 
Stanfort betrachtete ihn mit erstaunten Augen. Sie 
kannte ihn gar nicht wieder. Voller Freude und 
mit nassen Auaen sagte er zu seiner Mutter: „Mama, 
dies ist da» Beste, was du bi«her getan hast. — 
Bon nun an wollte er alle Tag« zu den Waisen- 
kindern. Und wenn man ib« nicht hinführte, stand 
er mit traurigem Gesicht umher. Weil seine Gesund- 
heit nicht besonders kräftig war, reist« seine Mutter 
mit ihm nach Rom. Sie hoffte, ihn zugleich zu 
erstaunen und die Waisenhäuser vergessen zu machen. 
Aber das Gegenteil geschah. Der Kleine bekam 
Fieber und phantasierte von „den armen Kindern, 
welch; nun weinen müssen, weil niemand sie lieb 
hat." — 9T 's wieder etwas besser mit ihm ging, 
sagte er zu r Mutter: „Mama, mit Geld kann 
man doch l u Glück und Freude schaffen. Willst 
du mir etwa? erlauben? Ich habe doch erne Summe 
von 5000 Franken auf der Bank. Darf ich die den 
Waisenkindern hinterlassen, wenn ich sterbe? Frau 
Stanford brach bei diesen Worten ihrer Kindes in 
Tränen anS und zog den Knaben heftig in ihre 
Arme. — „Sieh, Mama", fuhr der Kleine fort, 
indem er der Mutter Hände in die seinen nahm, 
„wie traurig ist es, keine Mutter zu haben". Wie 
sehr sind jene Kinder zu beklagen. Füc Geld 
kann man ihnen ja Brot kaufen, — ja, — aber 
eine Mutter, nein, eine Mutter kann man ihnen 
nicht kaufen. Ich weiß nicht genau, lvie es werden^
	        
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