Full text: Hünfelder Kreisblatt (1918)

Vertagungsanttag des Grafen Spee. 
« k-«,e(8tr) zur Geschäftsordnung: Ich beantrage 
di'ter drei Vortagen biS nach Friedenöichluy 
sie Seratti o Allgemeine Überraschung, grobe Bewegung.) 
z« *frtn#8 bln Antrag durchaus auf eigene Faust, aber in 
Zcb l^üe Reichskanzler o. Betbmann Hollweg bat 
Abgeordnetenhause erklärt, dab die Wablreform 
dem Krieg erfolgen könne. Auch die Osterbotschaft 
«» " auf diesen Standpunkt. Wenn das Haus in 
sjxllle Ick suchen alle Parteien zunächst gemein- 
VTStiZZ "£»“»• (3««t linfi: S>-I5,<dm mttOU 
aber streiten uns über neue Einrichtungen des brennenden 
k'- .es ede wir den Frieden baden. Wir müssen alles per- 
I-.den' was auch nur den Anschein erwecken konnte, als ob 
auch die Front im Innern einig und gelchlosien wäre. 
L?. Garantien sind dafür gegeben, dah die Verfassung ab- 
^Snüert werden wird. Der jetzige Zeitpunkt des ungeheuren 
Srtftenzkampfeö ist der denkbar ungeeigneteste für diese 
Lldemng Wollen Sie unsere Helden ausschlieben. die an 
der Front sieben? Die Annahme meines Antrages würde an 
der Front wie eine Erlösung wirken. (Lebh. Beifall rechts. 
Selächter links und im Zentr.» An der Front begreift man 
»je verdammte Friedcnsrcsolutton des Reichstages nicht, lün- 
lLe links und im Zentr.) Der Kampf im Innern stärkt die 
Widerstandskraft unterer Feinde, er vernrehrt das unnütze 
Blutvergießen. Vermeiden wir alles, was uns trennt. (Zu¬ 
rufe links: Zur Geschäftsordnung.) 
Präsident Graf Schwerin-Läwitz: In einem früheren 
ähnlichen Fall ist die Begründung eines solchen Antrags zuge- 
lassen worden. 
Die Regierung gegen den Antrag Spce. 
Vizepräsident des Staatsmiuisteriums Dr. Friedberg: Der 
Antrag bat alle Welt überrascht. Er mag aus patriotilcher 
Eennnung hervorgehen, aber seine Annahme würde nicht den 
erwaneten Erfolg haben. (Sehr richtig! links und im Zentrum.) 
Eine Vorlage, die feierlich angekündigt worden ist und in 
deren Beratung wir mitten drin stehen, auf eine ganz un- 
Mmmte. unabsehbare Zeit zurückzustellen, würde den 
inneren Frieden unseres Volkes aufs tiefste ge¬ 
fährden. _ . . 
Auf der linken Seite des Sauses und im Zentrum wird 
während dieser Ausführungen des Ministers stürmische Zu¬ 
stimmung laut, bei der Rechten zeigt sich starke Unruhe. Zu¬ 
stimmung links und Widerspruch rechts steigern sich zum all¬ 
gemeinen Lärm, als der Minister sortführt: 
Die Regierung könnte für eine solche Wirkung die Ver¬ 
antwortung nicht übernehmen und würde die Annahme des 
Antrages Spee mir de» äußersten verfassungsmäßigen Fol¬ 
gerungen beantworten. 
Nachdem sich die durch die Rede Dr. Friedbergs ent¬ 
standene Aufregung einigermaßen gelegt hat, nimmt das Wort 
Abg. Dr. Porsch (Ztr.): Graf Svce hat seinen Antrag in 
unserer Fraktion angeküudigt, ist aber einmütig gebeten 
worden, ihn zurückzustellen. (Hört! Hört!) Man kann gewiß 
verschiedener Meinung darüber sein, ob es zweckmäßig war. 
im Kriege diese Vorlagen einzubringen. (Hört! Hört! reMs). 
aber nachdem das geschehen ist und von einem großen Teil 
des Volkes die Erledigung dieser Vorlage gewünscht wird, 
erscheint es mir unmöglich, diesen Antrag anzunebmen. Wir 
lehnen ihn ab. (Lebh. Beifall links.) 
Abg. Dr. Pachnicke (Vv.j: Ich kann das Befremden nicht 
unterdrücken, daß der Präsident dir Grenzen der Begründung 
kes Antrags so weit gezogen und den Antragsteller von der 
.verdammten Friedensentschlietzung" hat sprechen lassen. 
(Zurufe links: Unerhört! — Sehr richtig! rechts.) Der Antrag 
ist ein Hohn auf die Krone, ein Hohn auf das Staats¬ 
ministerium und ein Hohn auf das Land. (Stürm. Beifall 
links, erregter Widerspruch rechts.) 
Präsident Gras Lchwerin: Ich bitte, meine Handhabung 
der Geschäfte nicht einer solchen Kritik unterziehen zu wollen. 
(Zurufe links: Sehr berechtigt!) Der Antragsteller hat sich 
durchaus im Rahmen der Begründung für seinen Geschäfts¬ 
ordnungsantrag gehalten. (Widerspruch links.) 
Drei Ordnungsrufe für den Abg. A. Hoffmann. 
Abg. A. Hoffmann (U. Soz.): Wenn Graf Svee an der 
Front eine führende Stellung haben sollte, würde ich das nach 
seinem Auftreten hier für sehr bedenklich halten. (Pfuirufe 
rechts.) Wie eine Erlösung soll der Antrag angeblich an der 
Front wirken. Welche Front meint Graf Svee? Während 
jener Rede machte es den Eindruck, als ob er ohne Nacht- 
nik direkt aus dem Offizierskasino gekommen wäre. (Grober 
Wrm und Pfui-Rufe rechts. — Ordnungsruf des Präsidenten.) 
Kan sollte den Grafen Spee einem Psychiater zur Unter- 
dchung übergeben. (Neuer Lärm und Piui-Rufe rechts. — 
Zweiter Ordnungsruf des Präsidenten.) Wird der Antrag 
angenommen, so würde ich die Kämpfer an der Front 
auffordern, bis zur Einführung des gleichen Wahl¬ 
rechts den Kampf einzustellen. (Gr. Lärm und Pfui- 
Rufe. — Zurufe rechts: Raus! Zuchthaus! Hochverräter! 
s1 Landesverräter!) 
Präsident Graf Schwerin: Wegen dieser, die Gefühle des 
Haukes und des ganzen Landes tief verletzenden Äußerungen 
rufe ich Sie zum dritten Male zur Ordnung. (Beifall.) Ich 
bitte, die Verhandlungen über eine so ernste und bedeutungs¬ 
volle Frage in einem Tone zu führen, der der Bedeutung der 
Cache entspricht (Zurufe links: Verdammte Friedensresolution!). 
Ich hohe überhört, dab Gras Spee von einer verdammten 
Reichstagsresolution gesprochen hat. Ich muß diesen Ausdruck 
als verletzend für einen Teil der Reichstagsabgeordneten 
rügen. Im übrigen kann ich mitteilen. dab auch ich von dem 
Anträge des Grafen Spee überrascht worden bin. (Zuruf 
üaks: Unangenehm?) m , 
Abg. Hirsch-Berlin (Soz.): In kemem Parlament der Welt 
wäre es möglich, daß kurz vor der Entscheidung über eine so 
wichtige politische Frage ein derartiger Antrag gestellt würde, 
ber eine Herausforderung des ganzen Volkes bedeutet. (Sehr 
richtig! links.) Der Antrag würde an der Front nicht wie 
«ne Erlösung empfunden werden, er würde den Siegeswillen 
lähmen. (Sehr richtig! links — Unruhe rechts.) 
Abg. Dr. Lohmann (natl.): Wir werden geschlossen gegen 
denIAntrag Gras Svee stimmen. (Beifall.) Gewiß können 
Bedenken darüber bestehen, ob es richtig war. dab wir mit 
diesen Vorlagen jetzt befaßt worden sind. Aber nachdem sie 
ringebracht sind, kann sich die Regierung einen solchen Antrag 
Sicht gefallen lassen. (Sehr richtig! links u. i. Ztr.) 
Für eine Stunde vertagt. 
Abg. v. Heydebrand (kons.): Bei uns herrscht überein- 
mmmendes Bedauern darüber, daß wir mitten im Kriege uns 
diesen Vorlagen befassen müssen. Gleichwohl waren wir 
Alle bereit und sind es heute noch, in eine Beratung des 
Gegenstandes einzutreten. Der Antrag Graf Spee hat uns 
überrascht. Vieles von dem, was er gesagt hat. deckt sich mit 
Unserer Auffasiung. Jndesien sind die Gegengründe nicht 
unser acht zu lasten und daher beantragen wir. die Sitzung 
auf eine Stunde zu vertagen. 
v, Abg. Brütt (stk.) spricht für. Ab«. Dr. Vachnicke gegen 
Kk Vertagung. Nachdem aber auch der Zentrumsabg. 
«r. Porsch den Antrag Heydebrand unterstützt hat. wird die 
Vertagung mit den Stimmen der Konservativen, der Frei- 
konservativen und des grüßten Teils des Zentrums ange¬ 
nommen. m 
Fortsetzung der Verhandlungen. 
Nachdem die einstündige Pause verstrichen ist. wird Re 
Sitzung wieder eröffnet und die Geschaftsordnungsaussprache 
über den Antrag Svee fortgesetzt. . . „ 
Abg. Lüdicke (ff.): Die bisherigen Verhandlungen howen 
bewiesen, eine wie grobe Schuld die Regierung milder An¬ 
bringung dieser Vorlagen auf sich geladen Hatz (Sturm. Zu¬ 
stimmung rechts, große Unruhe links und im Zentrum.) De 
Antrag des Grafen Svee war eine Tat. Nach der Verband 
lung der Kommission wüsten wir ihn aber ablehnen. . 
Vizepräsident des Staatsmimstermms Dr. Friedberg. 
Ich muß Verwahrung dagegen einlegen. wenn der Abg. Luöme 
den Mut gehabt hat (Stürm. Zurufe rechts von einer Schuld 
der Königlichen Staatsregierung zu sprechen. (Andauernder 
Lärm rechts, so daß der Redner nicht zu Worte kommen kann.) 
Es handelt sich um eine vom ganzen Volke gewumcdte Rewrrn. 
(Lebh. Widerspruch rechts. Beifall links und im Zentr.) 
Abg. v. Heydebrand (kons.): Ich kann dem Abg. Ludicke 
nicht Unrecht geben. (Hört, hört!) In dreier schweren ^-elt 
sollten innere Zwiespältigkeiten vermieden werden. Wir weilen 
die Art zurück, in der man den Antrag Spee behandelt bat. 
Deshalb wird ein Teil meiner Freunde für den Antrag 
stimmen, die Mehrheit aber ivird den Antrag aus der Emsichi 
beraus, daß wir die Folgerungen aus der bisherigen Beratung 
der Vorlage tragen müssen, ablehnen. ^ 
Vizepräsident des Staatsmimstermms Dr. ,,-r.edbcrq. 
Abg. v. Heydebrand hat sich den Vorwurf des Abg. 8umue 
zu eigen gemacht. Dieser Vorwurf nimmt sich sehr eigenium- 
lich aus im Mund eines Abgeordneten, der die schwere Schuld 
auf sich geladen hat. daß jahrelang rede Wahlreform m diesem 
Hause verhindert worden ist. (Stürm. Entrustungsrufe rechts, 
stürm. Zustimmung links und im Zentr.) „ 
9lad) weiterer teilweise erregter Zwischensprame. an der 
sich die Äbgg. A. Hoffmann, Graf Spee. Dr. Pachnicke. 
v. Heydebrand und Porsch beteiligen, wird namentliche 
Abstimmung beantragt und genehmigt. 
Ablehnung des Antrags Spee. 
In namentlicher Abstimmung wird nun der Antrag 
Spee auf Vertagung der Wahlvorlage bis nach dem 
FriedenSschlusic mit 333 gegen 60 Stimmen bet einer 
Stimmenthaltung abgclehnt. 
Nunmehr tritt das Haus in die Generalaussprache über 
die Vorlage ein und zwar stehen zunächst die Paragrapben 1 
bis 3 des Wahlrechtsgesetzentwurfs zur Beratung. 
Ministerpräsident Graf Hertling: 
Die Vorgänge der heutigen Sitzung könnten ja gewisse 
Zweifel erregen, ob wir noch zu einer Verständigung gelangten. 
Aber diese Vorgänge und die sich daran knüpfende Erregung 
haben doch gezeigt, wie stark innerhalb dieses hohen Hauses aut 
allen Seilen das Gefühl der Verantwortlichkeit ist. mit dem 
Sie der heutigen Entscheidung entgegentreten. Dieses Gemm 
der Verantwortung gibt mir die Hoffnung, dab es doch noch 
möglich sein wird, zu einer Verständigung zu gelangen. 
(Beifall links und in der Mitte), einen Weg zu finden. der die 
jetzt so weit ausetnanderliegenden Meinungsverschiedenheiten 
zu einer Einheit zusammenfaßt. 
Daß der Artikel 3 in der Fassung, wie Ihre Kom- 
Mission sie ihm gegeben hat, für die Staatsregiernng nicht 
annehmbar ist. das werden Sie sich zweifellos nach den 
roicderholt abgegebenen Erklärungen selbst gesagt haben. 
Und auch der gewiß gut gemeinte Antrag des Herrn Abg. 
Lohmann, der aus dem Kommisstonsantragc verschiedene 
Schärfen beseitigt, auch dieser Antrag kann nicht zum Ziele 
führen, denn auch dieser Antrag nimmt dem Gesetze nicht 
den plutokratischen Charakter, den wir schlechterdings ver¬ 
meiden wollen. 
Ein plutokratisches Wahlrecht, das die politischen Rechte 
abmißt nach dem Maß von Vermögen und Einkommen, sei 
dies nun direkt oder indirekt, ist heute in unserem Volke nickt 
mehr möglich. Auf ein solches Wahlrecht kann sich die Regie¬ 
rung nicht einlasten. 
ES kann sich also nur handeln um das allgemeine 
gleiche Wahlrecht 
in vernünftigen Grenzen, wie sie bereits durch die Vorlage 
selbst angedeutet sind. Meine Herren, das gleiche Wahlrecht 
muh grundsätzlich festgehalten werden. (Beifall links.) Die 
Zusage ist gegeben, die Zusage muß eingelöst werden, und ich 
bitte doch, zu beachten, daß in allen modernen Staaten das 
politische und soziale Leben auf dieses Ziel eingestellt ist. Es 
ist auf die Dauer nicht möglich, daß sich Preußen dieser tief¬ 
gehenden Bewegung entzieht, dab in Preußen allein dieser 
gleiche Wahlrecht dauernd ausgeschlosten sein soll. (Sehr 
richtig! links.) Es ist ja auch möglich. 
gewisse Sicherungen 
vorzunehmen. die befürchteten, allzu weitgehenden radikalen 
Folgen, die aus dem allgemeinen gleichen Wahlrecht sich er¬ 
geben könnten. ,u beseitigen. In der Vorlage selbst smd ja 
bereits derartige Sicherungen enthalten. Andere sind an an¬ 
deren Stellen wobl noch möglich. Es sind, wie ich höre. 
Anträge in Vorbereitung, die weitere Sicherungen ein« 
führen wollen. (Hört, hört! links.) Die Regierung 
wird diese Anregungen mit allem Ernst und allenc 
Wohlwollen prüfen, und dafür sorgen, daß die ge¬ 
fürchteten schädlichen Wirkungen möglichst verhütet werde,i. 
Es ist ja doch überaus wünschenswert, daß wir jetzt, und daß 
wir bald zu einer Entscheidung kommen. Ich kann nur sagen, 
daß ich mich bemüht babe. bis in die letzte Zeit hinein mög¬ 
lichst Fühlung zu nehmen, um mir die Stimmung der ver¬ 
schiedenen Volkskreise zur Kenntnis zu bringen. Da ist mir 
immer wieder entgegengetreten: die Frage des gleichen Wahl¬ 
rechts muß zur Entscheidung gebracht werden. (Lebhafter Bei¬ 
fall.) Es ist schon beut wiederholt darauf hingewiesen worden, 
wie notwendig e8 ist. 
in unserem Volke die Einmütigkeit zu erhalten. 
Unser Volk ist geradezu bewundernswert in seiner einmütigen 
Haltung. Ich glaube, e« wird ein weiterer Schritt »ur Stärkung 
und Steigerung dieser Einmütigkeit sein, wenn Sie von allzu 
weitgehenden Gegensätzen in dieser Frage jetzt zurücktreten wollen. 
Jetzt liegt die Sache so. jetzt sind wir noch in der Lage, 
die Zusage. die gegeben worden ist und eingelöst 
werden muß. einzulösen ohne schwere Erschüttemngen be¬ 
fürchten zu müsien. Jetzt kann die Zusage noch eingelöst 
werben, indem zu gleicher Zeit diejenigen Sicherungen ge¬ 
geben werden, die im Interesse eines ruhigen, stettgen Fort¬ 
schreitend des Staatslebens notwendig sind. Das, was wir 
jetzt geben können, das wüsten wir vielleicht, wenn es heute 
abgelehnt wird, in einiger Zeit unter schweren Erschütterungen 
des Volkslebens, deren Gefahren wst gar nicht übersehen 
können, uns abringen lasten. (Hört. hört, links.) 
Das gleiche Wahlrecht kommt. 
ES kommt, wenn nicht beute, so doch tn absehbarer Zeit. 
(Sehr wahr!) ES kommt entweder ohne schwere Erschütte¬ 
rungen. oder es kommt nach schweren inneren Kämpfen. 
Wollen Sie jetzt die Hand zu einer Verständigung reichen, 
oder wollen St« dt« Verantwortung auf sich nehmen, diese 
Ichweren Erschütterungen berbekzufübren durch eine Ablehnung, 
die doch das von Ihnen gewünschte Ziel nicht haben kann» 
(Lebhafter Beifall links und im Zentr.) _ , , 
Abg. Dr. v. Heydebrand (koni.): Den Wunsch nach einer 
Verständigung teilen wir. Aber wenn noch nicht einmal der 
neuerdings von den Nattonalliberalen gestellte Anttag aus¬ 
reicht. um die Zustimmung der Regiemng zu finden, so bleibt 
kein anderer Weg, als einfach die Regierungsvorlage anzu¬ 
nehmen. (Sehr richttg! rechts.) Wir sind durchaus davon 
überzeugt, daß das gegenwärtige Wahlrecht reformbedürftig 
ist und haben das immer gesagt. Inkonsequenzen und Un» 
gerechttgkeiten enthalten aber alle Wahlsysteme, auch daS 
Reichstagswahlrecht. Die schlechte Seite unseres gegenwärtigen 
Wahlrechts liegt dann, daß die Abstufung ausschließlich an 
die Steuerleistung geknüpft ist. Die Folge davon ist aber ia 
Wirklichkeit. 
daß der Mittelstand zu entscheiden hat. 
Das ist die Signatur des gegenwäinen Wahlrechts. (Wider¬ 
spruch links.) Das gleiche Wahlrecht aber gibt den Ausschlag 
der unterschiedslosen Masse, den Arbeitern. Redner wirft einen 
Blick aus die Wahlverhältnisie in den anderen Bundesstaaten 
und fährt fort: Führen wir in Preußen das Reichstagswahl¬ 
recht ein, dann ist es in den übrigen Bundesstaaten nicht 
mehr auszubalten. Eine solche Gleichmacherei können wir >m 
Jntereste des bundesstaatlichen Verhältnistes im Reiche nicht 
mitmachen. Nun wird gesagt, der Krieg fordere die Ein¬ 
führung des gleichen Wahlrechts. Da wäre das Nächstliegende 
gewesen, abzuwarten, wie die Kriegsteilnehmer selbst sich dazu 
stellen. (Stürmische Zustimmung rechts.) Der Redner ver¬ 
breitet sich des weiteren über die Folgen des gleichen Wahl¬ 
rechts. um den Beweis zu erbringen, dab es 
per konservativen Fraktion unmöglich ist, für daS 
gleiche Wahlrecht zu stimmen. 
Unter lebhaftem Beifall der Rechten schließt der Redner: 
Während draußen eine Schlacht tobt, bei der unser ganzes 
Denken und Sorgen ist, sind wir verurteilt, die schwere Sacke 
zu machen. Uns ist es gleich, ob dieser oder jener Minister 
fällt oder ob das Haus aufgelöst wird. In einer solchen 
Periode der Geschichte Preußens gibt es für uns nichts 
anderes, als unsere Überzeugung. 
Staatsminister Dr. Friedbcrg: Die Regierung hat stets 
erklärt, daß sie unbedingt an der Forderung des gleichen Wahl¬ 
rechts festhält. Sie glaubt aber, daß vielleicht auf anderem 
Wege eine Verständigung möglich sein wird.^ Auch der 
Altvreuße soll sich nicht erhaben dünken über die süddeutschen 
Staaten, die mit dem gleichen Wahlrecht gute Erfahrungen 
gemacht haben, . . 
Abg. Dr. Porsch (Zentr.): Bei der ersten Lesung haben 
wir erklärt, daß ein Teil von uns für das gleiche Wahl¬ 
recht stimmen, ein anderer Teil seine endgültige Stellung¬ 
nahme von den Ausschußoerhandlungen und ihrem Ergebnis 
abhängig machen wird. Die Verhandlungen im Ausschuß 
haben zu dem erwarteten endgültigen Ergebnis nicht geführt. 
Erst in der dritten Lesung werden wir unseren Stano- 
vnnkt eingehend begründen. 
Hierauf wird die Weiterberatung aui morgen vertagt. 
Vermischtes. 
Tie Heldinnen der Gefallsucht Ern Mitarbetter 
des Pariser „Journal' schreibt: Ich finde in einem Waren- 
hauskatalog nachstehende Anzeige: „Sirene — elegantes 
Hauskleid aus weichem Flanell, mit passendem Sammet¬ 
besatz und seidener Kordel. Sehr praktisch bei plötzlichem 
Alarm. In allen Farben 79,95 Frank." 
Diese „Kellerrobe" must wirklich sehr praktisch sein. Mit 
den, Unlerschlupfsuchen ist nicht alles getan, man muß auch 
dafür sorgen, daß man nicht in einem lächerlichen Kostüm 
in den Keller steigt. „Beeil dich doch!" sagt der Gatte, 
der immer wieder betont, daß er nicht im geringsten Furcht 
habe. „Eine Minute noch, ich kann mich doch den Leuten 
nicht in diesem Zustand zeigen." Am liebsten möchte 
Madame noch Rot auflegen. Erst wenn sie fick ordentlich 
im Spiegel „besehen" hat, steigt sie hinunter. Es ist nicht aus¬ 
zudenken, was geschähe, wenn Madame im Nachtrock und 
in Pantoffeln in den Keller dinunterklettern sollte. Lieber 
blecbt man wirklich schon im fünften Stock. Und sie 
würden, bei Gott, dort bleiben! Denn auch die Gefall¬ 
sucht hat ihre Heldinnen. 
Japanisch-europäische Gegensätze. In einer Studie 
über Japan, das jetzt ja wieder im Mittelpunkte des 
Interesses steht, schreibt ein Japankenner in einem Amster¬ 
damer Blatte: Japan ist das Land, dessen Sitten die 
auffallendsten Gegensätze zu unseren europäischen Sitten 
und Gewohnheiten bilden. Europäische Damen kleiden 
sich nach Maßgabe ihres Vermögens: je reicher, desto 
kostbarer: reiche Japanerinnen kleiden sich so einfach wie 
möglich, während die Japanischen Frauen aus den niedern 
Klassen sich putzen und schmücken. Alle japanischen 
Kleidungsstücke sitzen lose: die westeuropäischen Kleider 
sind zugeknöpft oder zugehakt. Unsere Ofen stehen unver¬ 
rückbar fest an einer bestimmten Stelle des Zimmers: 
der Japaner dagegen zündet in seiner Wohnung das 
Feuer an, wo es ihm am besten angebracht zu sein dünkt. 
Sein Ofen ist tragbar, und er stellt ihn bald hier, bald 
dort auf. Bei unfern Mahlzeiten brauchen wir Schüsseln, 
um das Essen aus der Küche in das Eßzimmer zu bringen; 
hier wird das Essen auf die Teller gelegt. Der Japaner 
ist weniger umständlich und ißt von der Schale oder 
Schüssel. In unfern Badestuben strömt das Wasser warm 
in die Wanne , die japanischen Badewannen werden von 
unten erwärmt, während das Wasser kalt hineinläuft. 
Japaner gehen stets links; beinahe ganz Europa und die 
übrige Welt gehen und fahren rechts. Bei einem Festessen 
essen wir gewöhnlich wenig': der Japaner ißt ebenfalls 
mäßig, nimmt aber, um den Gastgeber nicht zu beleidigen, 
von den ihm Vorgesetzten Speisen so viel als möglich mit 
nach Hause. 
Der größte Feldherr. Eine brasilianische Zeiinng 
legte vor kurzem ihren Lesern die Frage vor: „Wer ist der 
größte Feldherr des gegenwärtigen Krieges?" Es kamen 
Zuschriften über Zuschriften, die Stimmen wurden ge¬ 
sammelt und gezählt, und siehe da — wer erhielt die 
meisten? Mit 767 Stimmen siegte General Tamagnini! 
Wer ist Tamagnini? Entschuldigen Sie, das ist der 
Befehlshaber der portugiesischen Truppen an der West¬ 
front. Zweiter wurde mit 680 Stimmen der General 
Cadorna. Dritter mit 597 Marschall Joffre. Jene Bra», 
silianer gehen eben der Sache auf den Grund und lassen 
sich nicht etwa, wie oberflächliche Beurteiler leicht tun. 
durch den Erfolg blenden. Nach Joffre kam eine ganze 
Weile gar nichts, und darauf als Vierter, mit 65 Stimmen. 
Hindenburg — der Ärmste! Dann fylgt heillose Stimmen- 
z-rsplitterung. Die letzten bedeutendsten Feldherren der 
Gegenwart waren bei dieser Abstimmung die Herren 
de Castro und Machado, die gewiß auch ihre Verdienste 
haben, die aber bis jetzt noch kein Mensch kennt. 
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