Vertagungsanttag des Grafen Spee.
« k-«,e(8tr) zur Geschäftsordnung: Ich beantrage
di'ter drei Vortagen biS nach Friedenöichluy
sie Seratti o Allgemeine Überraschung, grobe Bewegung.)
z« *frtn#8 bln Antrag durchaus auf eigene Faust, aber in
Zcb l^üe Reichskanzler o. Betbmann Hollweg bat
Abgeordnetenhause erklärt, dab die Wablreform
dem Krieg erfolgen könne. Auch die Osterbotschaft
«» " auf diesen Standpunkt. Wenn das Haus in
sjxllle Ick suchen alle Parteien zunächst gemein-
VTStiZZ "£»“»• (3««t linfi: S>-I5,<dm mttOU
aber streiten uns über neue Einrichtungen des brennenden
k'- .es ede wir den Frieden baden. Wir müssen alles per-
I-.den' was auch nur den Anschein erwecken konnte, als ob
auch die Front im Innern einig und gelchlosien wäre.
L?. Garantien sind dafür gegeben, dah die Verfassung ab-
^Snüert werden wird. Der jetzige Zeitpunkt des ungeheuren
Srtftenzkampfeö ist der denkbar ungeeigneteste für diese
Lldemng Wollen Sie unsere Helden ausschlieben. die an
der Front sieben? Die Annahme meines Antrages würde an
der Front wie eine Erlösung wirken. (Lebh. Beifall rechts.
Selächter links und im Zentr.» An der Front begreift man
»je verdammte Friedcnsrcsolutton des Reichstages nicht, lün-
lLe links und im Zentr.) Der Kampf im Innern stärkt die
Widerstandskraft unterer Feinde, er vernrehrt das unnütze
Blutvergießen. Vermeiden wir alles, was uns trennt. (Zu¬
rufe links: Zur Geschäftsordnung.)
Präsident Graf Schwerin-Läwitz: In einem früheren
ähnlichen Fall ist die Begründung eines solchen Antrags zuge-
lassen worden.
Die Regierung gegen den Antrag Spce.
Vizepräsident des Staatsmiuisteriums Dr. Friedberg: Der
Antrag bat alle Welt überrascht. Er mag aus patriotilcher
Eennnung hervorgehen, aber seine Annahme würde nicht den
erwaneten Erfolg haben. (Sehr richtig! links und im Zentrum.)
Eine Vorlage, die feierlich angekündigt worden ist und in
deren Beratung wir mitten drin stehen, auf eine ganz un-
Mmmte. unabsehbare Zeit zurückzustellen, würde den
inneren Frieden unseres Volkes aufs tiefste ge¬
fährden. _ . .
Auf der linken Seite des Sauses und im Zentrum wird
während dieser Ausführungen des Ministers stürmische Zu¬
stimmung laut, bei der Rechten zeigt sich starke Unruhe. Zu¬
stimmung links und Widerspruch rechts steigern sich zum all¬
gemeinen Lärm, als der Minister sortführt:
Die Regierung könnte für eine solche Wirkung die Ver¬
antwortung nicht übernehmen und würde die Annahme des
Antrages Spee mir de» äußersten verfassungsmäßigen Fol¬
gerungen beantworten.
Nachdem sich die durch die Rede Dr. Friedbergs ent¬
standene Aufregung einigermaßen gelegt hat, nimmt das Wort
Abg. Dr. Porsch (Ztr.): Graf Svce hat seinen Antrag in
unserer Fraktion angeküudigt, ist aber einmütig gebeten
worden, ihn zurückzustellen. (Hört! Hört!) Man kann gewiß
verschiedener Meinung darüber sein, ob es zweckmäßig war.
im Kriege diese Vorlagen einzubringen. (Hört! Hört! reMs).
aber nachdem das geschehen ist und von einem großen Teil
des Volkes die Erledigung dieser Vorlage gewünscht wird,
erscheint es mir unmöglich, diesen Antrag anzunebmen. Wir
lehnen ihn ab. (Lebh. Beifall links.)
Abg. Dr. Pachnicke (Vv.j: Ich kann das Befremden nicht
unterdrücken, daß der Präsident dir Grenzen der Begründung
kes Antrags so weit gezogen und den Antragsteller von der
.verdammten Friedensentschlietzung" hat sprechen lassen.
(Zurufe links: Unerhört! — Sehr richtig! rechts.) Der Antrag
ist ein Hohn auf die Krone, ein Hohn auf das Staats¬
ministerium und ein Hohn auf das Land. (Stürm. Beifall
links, erregter Widerspruch rechts.)
Präsident Gras Lchwerin: Ich bitte, meine Handhabung
der Geschäfte nicht einer solchen Kritik unterziehen zu wollen.
(Zurufe links: Sehr berechtigt!) Der Antragsteller hat sich
durchaus im Rahmen der Begründung für seinen Geschäfts¬
ordnungsantrag gehalten. (Widerspruch links.)
Drei Ordnungsrufe für den Abg. A. Hoffmann.
Abg. A. Hoffmann (U. Soz.): Wenn Graf Svee an der
Front eine führende Stellung haben sollte, würde ich das nach
seinem Auftreten hier für sehr bedenklich halten. (Pfuirufe
rechts.) Wie eine Erlösung soll der Antrag angeblich an der
Front wirken. Welche Front meint Graf Svee? Während
jener Rede machte es den Eindruck, als ob er ohne Nacht-
nik direkt aus dem Offizierskasino gekommen wäre. (Grober
Wrm und Pfui-Rufe rechts. — Ordnungsruf des Präsidenten.)
Kan sollte den Grafen Spee einem Psychiater zur Unter-
dchung übergeben. (Neuer Lärm und Piui-Rufe rechts. —
Zweiter Ordnungsruf des Präsidenten.) Wird der Antrag
angenommen, so würde ich die Kämpfer an der Front
auffordern, bis zur Einführung des gleichen Wahl¬
rechts den Kampf einzustellen. (Gr. Lärm und Pfui-
Rufe. — Zurufe rechts: Raus! Zuchthaus! Hochverräter!
s1 Landesverräter!)
Präsident Graf Schwerin: Wegen dieser, die Gefühle des
Haukes und des ganzen Landes tief verletzenden Äußerungen
rufe ich Sie zum dritten Male zur Ordnung. (Beifall.) Ich
bitte, die Verhandlungen über eine so ernste und bedeutungs¬
volle Frage in einem Tone zu führen, der der Bedeutung der
Cache entspricht (Zurufe links: Verdammte Friedensresolution!).
Ich hohe überhört, dab Gras Spee von einer verdammten
Reichstagsresolution gesprochen hat. Ich muß diesen Ausdruck
als verletzend für einen Teil der Reichstagsabgeordneten
rügen. Im übrigen kann ich mitteilen. dab auch ich von dem
Anträge des Grafen Spee überrascht worden bin. (Zuruf
üaks: Unangenehm?) m ,
Abg. Hirsch-Berlin (Soz.): In kemem Parlament der Welt
wäre es möglich, daß kurz vor der Entscheidung über eine so
wichtige politische Frage ein derartiger Antrag gestellt würde,
ber eine Herausforderung des ganzen Volkes bedeutet. (Sehr
richtig! links.) Der Antrag würde an der Front nicht wie
«ne Erlösung empfunden werden, er würde den Siegeswillen
lähmen. (Sehr richtig! links — Unruhe rechts.)
Abg. Dr. Lohmann (natl.): Wir werden geschlossen gegen
denIAntrag Gras Svee stimmen. (Beifall.) Gewiß können
Bedenken darüber bestehen, ob es richtig war. dab wir mit
diesen Vorlagen jetzt befaßt worden sind. Aber nachdem sie
ringebracht sind, kann sich die Regierung einen solchen Antrag
Sicht gefallen lassen. (Sehr richtig! links u. i. Ztr.)
Für eine Stunde vertagt.
Abg. v. Heydebrand (kons.): Bei uns herrscht überein-
mmmendes Bedauern darüber, daß wir mitten im Kriege uns
diesen Vorlagen befassen müssen. Gleichwohl waren wir
Alle bereit und sind es heute noch, in eine Beratung des
Gegenstandes einzutreten. Der Antrag Graf Spee hat uns
überrascht. Vieles von dem, was er gesagt hat. deckt sich mit
Unserer Auffasiung. Jndesien sind die Gegengründe nicht
unser acht zu lasten und daher beantragen wir. die Sitzung
auf eine Stunde zu vertagen.
v, Abg. Brütt (stk.) spricht für. Ab«. Dr. Vachnicke gegen
Kk Vertagung. Nachdem aber auch der Zentrumsabg.
«r. Porsch den Antrag Heydebrand unterstützt hat. wird die
Vertagung mit den Stimmen der Konservativen, der Frei-
konservativen und des grüßten Teils des Zentrums ange¬
nommen. m
Fortsetzung der Verhandlungen.
Nachdem die einstündige Pause verstrichen ist. wird Re
Sitzung wieder eröffnet und die Geschaftsordnungsaussprache
über den Antrag Svee fortgesetzt. . . „
Abg. Lüdicke (ff.): Die bisherigen Verhandlungen howen
bewiesen, eine wie grobe Schuld die Regierung milder An¬
bringung dieser Vorlagen auf sich geladen Hatz (Sturm. Zu¬
stimmung rechts, große Unruhe links und im Zentrum.) De
Antrag des Grafen Svee war eine Tat. Nach der Verband
lung der Kommission wüsten wir ihn aber ablehnen. .
Vizepräsident des Staatsmimstermms Dr. Friedberg.
Ich muß Verwahrung dagegen einlegen. wenn der Abg. Luöme
den Mut gehabt hat (Stürm. Zurufe rechts von einer Schuld
der Königlichen Staatsregierung zu sprechen. (Andauernder
Lärm rechts, so daß der Redner nicht zu Worte kommen kann.)
Es handelt sich um eine vom ganzen Volke gewumcdte Rewrrn.
(Lebh. Widerspruch rechts. Beifall links und im Zentr.)
Abg. v. Heydebrand (kons.): Ich kann dem Abg. Ludicke
nicht Unrecht geben. (Hört, hört!) In dreier schweren ^-elt
sollten innere Zwiespältigkeiten vermieden werden. Wir weilen
die Art zurück, in der man den Antrag Spee behandelt bat.
Deshalb wird ein Teil meiner Freunde für den Antrag
stimmen, die Mehrheit aber ivird den Antrag aus der Emsichi
beraus, daß wir die Folgerungen aus der bisherigen Beratung
der Vorlage tragen müssen, ablehnen. ^
Vizepräsident des Staatsmimstermms Dr. ,,-r.edbcrq.
Abg. v. Heydebrand hat sich den Vorwurf des Abg. 8umue
zu eigen gemacht. Dieser Vorwurf nimmt sich sehr eigenium-
lich aus im Mund eines Abgeordneten, der die schwere Schuld
auf sich geladen hat. daß jahrelang rede Wahlreform m diesem
Hause verhindert worden ist. (Stürm. Entrustungsrufe rechts,
stürm. Zustimmung links und im Zentr.) „
9lad) weiterer teilweise erregter Zwischensprame. an der
sich die Äbgg. A. Hoffmann, Graf Spee. Dr. Pachnicke.
v. Heydebrand und Porsch beteiligen, wird namentliche
Abstimmung beantragt und genehmigt.
Ablehnung des Antrags Spee.
In namentlicher Abstimmung wird nun der Antrag
Spee auf Vertagung der Wahlvorlage bis nach dem
FriedenSschlusic mit 333 gegen 60 Stimmen bet einer
Stimmenthaltung abgclehnt.
Nunmehr tritt das Haus in die Generalaussprache über
die Vorlage ein und zwar stehen zunächst die Paragrapben 1
bis 3 des Wahlrechtsgesetzentwurfs zur Beratung.
Ministerpräsident Graf Hertling:
Die Vorgänge der heutigen Sitzung könnten ja gewisse
Zweifel erregen, ob wir noch zu einer Verständigung gelangten.
Aber diese Vorgänge und die sich daran knüpfende Erregung
haben doch gezeigt, wie stark innerhalb dieses hohen Hauses aut
allen Seilen das Gefühl der Verantwortlichkeit ist. mit dem
Sie der heutigen Entscheidung entgegentreten. Dieses Gemm
der Verantwortung gibt mir die Hoffnung, dab es doch noch
möglich sein wird, zu einer Verständigung zu gelangen.
(Beifall links und in der Mitte), einen Weg zu finden. der die
jetzt so weit ausetnanderliegenden Meinungsverschiedenheiten
zu einer Einheit zusammenfaßt.
Daß der Artikel 3 in der Fassung, wie Ihre Kom-
Mission sie ihm gegeben hat, für die Staatsregiernng nicht
annehmbar ist. das werden Sie sich zweifellos nach den
roicderholt abgegebenen Erklärungen selbst gesagt haben.
Und auch der gewiß gut gemeinte Antrag des Herrn Abg.
Lohmann, der aus dem Kommisstonsantragc verschiedene
Schärfen beseitigt, auch dieser Antrag kann nicht zum Ziele
führen, denn auch dieser Antrag nimmt dem Gesetze nicht
den plutokratischen Charakter, den wir schlechterdings ver¬
meiden wollen.
Ein plutokratisches Wahlrecht, das die politischen Rechte
abmißt nach dem Maß von Vermögen und Einkommen, sei
dies nun direkt oder indirekt, ist heute in unserem Volke nickt
mehr möglich. Auf ein solches Wahlrecht kann sich die Regie¬
rung nicht einlasten.
ES kann sich also nur handeln um das allgemeine
gleiche Wahlrecht
in vernünftigen Grenzen, wie sie bereits durch die Vorlage
selbst angedeutet sind. Meine Herren, das gleiche Wahlrecht
muh grundsätzlich festgehalten werden. (Beifall links.) Die
Zusage ist gegeben, die Zusage muß eingelöst werden, und ich
bitte doch, zu beachten, daß in allen modernen Staaten das
politische und soziale Leben auf dieses Ziel eingestellt ist. Es
ist auf die Dauer nicht möglich, daß sich Preußen dieser tief¬
gehenden Bewegung entzieht, dab in Preußen allein dieser
gleiche Wahlrecht dauernd ausgeschlosten sein soll. (Sehr
richtig! links.) Es ist ja auch möglich.
gewisse Sicherungen
vorzunehmen. die befürchteten, allzu weitgehenden radikalen
Folgen, die aus dem allgemeinen gleichen Wahlrecht sich er¬
geben könnten. ,u beseitigen. In der Vorlage selbst smd ja
bereits derartige Sicherungen enthalten. Andere sind an an¬
deren Stellen wobl noch möglich. Es sind, wie ich höre.
Anträge in Vorbereitung, die weitere Sicherungen ein«
führen wollen. (Hört, hört! links.) Die Regierung
wird diese Anregungen mit allem Ernst und allenc
Wohlwollen prüfen, und dafür sorgen, daß die ge¬
fürchteten schädlichen Wirkungen möglichst verhütet werde,i.
Es ist ja doch überaus wünschenswert, daß wir jetzt, und daß
wir bald zu einer Entscheidung kommen. Ich kann nur sagen,
daß ich mich bemüht babe. bis in die letzte Zeit hinein mög¬
lichst Fühlung zu nehmen, um mir die Stimmung der ver¬
schiedenen Volkskreise zur Kenntnis zu bringen. Da ist mir
immer wieder entgegengetreten: die Frage des gleichen Wahl¬
rechts muß zur Entscheidung gebracht werden. (Lebhafter Bei¬
fall.) Es ist schon beut wiederholt darauf hingewiesen worden,
wie notwendig e8 ist.
in unserem Volke die Einmütigkeit zu erhalten.
Unser Volk ist geradezu bewundernswert in seiner einmütigen
Haltung. Ich glaube, e« wird ein weiterer Schritt »ur Stärkung
und Steigerung dieser Einmütigkeit sein, wenn Sie von allzu
weitgehenden Gegensätzen in dieser Frage jetzt zurücktreten wollen.
Jetzt liegt die Sache so. jetzt sind wir noch in der Lage,
die Zusage. die gegeben worden ist und eingelöst
werden muß. einzulösen ohne schwere Erschüttemngen be¬
fürchten zu müsien. Jetzt kann die Zusage noch eingelöst
werben, indem zu gleicher Zeit diejenigen Sicherungen ge¬
geben werden, die im Interesse eines ruhigen, stettgen Fort¬
schreitend des Staatslebens notwendig sind. Das, was wir
jetzt geben können, das wüsten wir vielleicht, wenn es heute
abgelehnt wird, in einiger Zeit unter schweren Erschütterungen
des Volkslebens, deren Gefahren wst gar nicht übersehen
können, uns abringen lasten. (Hört. hört, links.)
Das gleiche Wahlrecht kommt.
ES kommt, wenn nicht beute, so doch tn absehbarer Zeit.
(Sehr wahr!) ES kommt entweder ohne schwere Erschütte¬
rungen. oder es kommt nach schweren inneren Kämpfen.
Wollen Sie jetzt die Hand zu einer Verständigung reichen,
oder wollen St« dt« Verantwortung auf sich nehmen, diese
Ichweren Erschütterungen berbekzufübren durch eine Ablehnung,
die doch das von Ihnen gewünschte Ziel nicht haben kann»
(Lebhafter Beifall links und im Zentr.) _ , ,
Abg. Dr. v. Heydebrand (koni.): Den Wunsch nach einer
Verständigung teilen wir. Aber wenn noch nicht einmal der
neuerdings von den Nattonalliberalen gestellte Anttag aus¬
reicht. um die Zustimmung der Regiemng zu finden, so bleibt
kein anderer Weg, als einfach die Regierungsvorlage anzu¬
nehmen. (Sehr richttg! rechts.) Wir sind durchaus davon
überzeugt, daß das gegenwärtige Wahlrecht reformbedürftig
ist und haben das immer gesagt. Inkonsequenzen und Un»
gerechttgkeiten enthalten aber alle Wahlsysteme, auch daS
Reichstagswahlrecht. Die schlechte Seite unseres gegenwärtigen
Wahlrechts liegt dann, daß die Abstufung ausschließlich an
die Steuerleistung geknüpft ist. Die Folge davon ist aber ia
Wirklichkeit.
daß der Mittelstand zu entscheiden hat.
Das ist die Signatur des gegenwäinen Wahlrechts. (Wider¬
spruch links.) Das gleiche Wahlrecht aber gibt den Ausschlag
der unterschiedslosen Masse, den Arbeitern. Redner wirft einen
Blick aus die Wahlverhältnisie in den anderen Bundesstaaten
und fährt fort: Führen wir in Preußen das Reichstagswahl¬
recht ein, dann ist es in den übrigen Bundesstaaten nicht
mehr auszubalten. Eine solche Gleichmacherei können wir >m
Jntereste des bundesstaatlichen Verhältnistes im Reiche nicht
mitmachen. Nun wird gesagt, der Krieg fordere die Ein¬
führung des gleichen Wahlrechts. Da wäre das Nächstliegende
gewesen, abzuwarten, wie die Kriegsteilnehmer selbst sich dazu
stellen. (Stürmische Zustimmung rechts.) Der Redner ver¬
breitet sich des weiteren über die Folgen des gleichen Wahl¬
rechts. um den Beweis zu erbringen, dab es
per konservativen Fraktion unmöglich ist, für daS
gleiche Wahlrecht zu stimmen.
Unter lebhaftem Beifall der Rechten schließt der Redner:
Während draußen eine Schlacht tobt, bei der unser ganzes
Denken und Sorgen ist, sind wir verurteilt, die schwere Sacke
zu machen. Uns ist es gleich, ob dieser oder jener Minister
fällt oder ob das Haus aufgelöst wird. In einer solchen
Periode der Geschichte Preußens gibt es für uns nichts
anderes, als unsere Überzeugung.
Staatsminister Dr. Friedbcrg: Die Regierung hat stets
erklärt, daß sie unbedingt an der Forderung des gleichen Wahl¬
rechts festhält. Sie glaubt aber, daß vielleicht auf anderem
Wege eine Verständigung möglich sein wird.^ Auch der
Altvreuße soll sich nicht erhaben dünken über die süddeutschen
Staaten, die mit dem gleichen Wahlrecht gute Erfahrungen
gemacht haben, . .
Abg. Dr. Porsch (Zentr.): Bei der ersten Lesung haben
wir erklärt, daß ein Teil von uns für das gleiche Wahl¬
recht stimmen, ein anderer Teil seine endgültige Stellung¬
nahme von den Ausschußoerhandlungen und ihrem Ergebnis
abhängig machen wird. Die Verhandlungen im Ausschuß
haben zu dem erwarteten endgültigen Ergebnis nicht geführt.
Erst in der dritten Lesung werden wir unseren Stano-
vnnkt eingehend begründen.
Hierauf wird die Weiterberatung aui morgen vertagt.
Vermischtes.
Tie Heldinnen der Gefallsucht Ern Mitarbetter
des Pariser „Journal' schreibt: Ich finde in einem Waren-
hauskatalog nachstehende Anzeige: „Sirene — elegantes
Hauskleid aus weichem Flanell, mit passendem Sammet¬
besatz und seidener Kordel. Sehr praktisch bei plötzlichem
Alarm. In allen Farben 79,95 Frank."
Diese „Kellerrobe" must wirklich sehr praktisch sein. Mit
den, Unlerschlupfsuchen ist nicht alles getan, man muß auch
dafür sorgen, daß man nicht in einem lächerlichen Kostüm
in den Keller steigt. „Beeil dich doch!" sagt der Gatte,
der immer wieder betont, daß er nicht im geringsten Furcht
habe. „Eine Minute noch, ich kann mich doch den Leuten
nicht in diesem Zustand zeigen." Am liebsten möchte
Madame noch Rot auflegen. Erst wenn sie fick ordentlich
im Spiegel „besehen" hat, steigt sie hinunter. Es ist nicht aus¬
zudenken, was geschähe, wenn Madame im Nachtrock und
in Pantoffeln in den Keller dinunterklettern sollte. Lieber
blecbt man wirklich schon im fünften Stock. Und sie
würden, bei Gott, dort bleiben! Denn auch die Gefall¬
sucht hat ihre Heldinnen.
Japanisch-europäische Gegensätze. In einer Studie
über Japan, das jetzt ja wieder im Mittelpunkte des
Interesses steht, schreibt ein Japankenner in einem Amster¬
damer Blatte: Japan ist das Land, dessen Sitten die
auffallendsten Gegensätze zu unseren europäischen Sitten
und Gewohnheiten bilden. Europäische Damen kleiden
sich nach Maßgabe ihres Vermögens: je reicher, desto
kostbarer: reiche Japanerinnen kleiden sich so einfach wie
möglich, während die Japanischen Frauen aus den niedern
Klassen sich putzen und schmücken. Alle japanischen
Kleidungsstücke sitzen lose: die westeuropäischen Kleider
sind zugeknöpft oder zugehakt. Unsere Ofen stehen unver¬
rückbar fest an einer bestimmten Stelle des Zimmers:
der Japaner dagegen zündet in seiner Wohnung das
Feuer an, wo es ihm am besten angebracht zu sein dünkt.
Sein Ofen ist tragbar, und er stellt ihn bald hier, bald
dort auf. Bei unfern Mahlzeiten brauchen wir Schüsseln,
um das Essen aus der Küche in das Eßzimmer zu bringen;
hier wird das Essen auf die Teller gelegt. Der Japaner
ist weniger umständlich und ißt von der Schale oder
Schüssel. In unfern Badestuben strömt das Wasser warm
in die Wanne , die japanischen Badewannen werden von
unten erwärmt, während das Wasser kalt hineinläuft.
Japaner gehen stets links; beinahe ganz Europa und die
übrige Welt gehen und fahren rechts. Bei einem Festessen
essen wir gewöhnlich wenig': der Japaner ißt ebenfalls
mäßig, nimmt aber, um den Gastgeber nicht zu beleidigen,
von den ihm Vorgesetzten Speisen so viel als möglich mit
nach Hause.
Der größte Feldherr. Eine brasilianische Zeiinng
legte vor kurzem ihren Lesern die Frage vor: „Wer ist der
größte Feldherr des gegenwärtigen Krieges?" Es kamen
Zuschriften über Zuschriften, die Stimmen wurden ge¬
sammelt und gezählt, und siehe da — wer erhielt die
meisten? Mit 767 Stimmen siegte General Tamagnini!
Wer ist Tamagnini? Entschuldigen Sie, das ist der
Befehlshaber der portugiesischen Truppen an der West¬
front. Zweiter wurde mit 680 Stimmen der General
Cadorna. Dritter mit 597 Marschall Joffre. Jene Bra»,
silianer gehen eben der Sache auf den Grund und lassen
sich nicht etwa, wie oberflächliche Beurteiler leicht tun.
durch den Erfolg blenden. Nach Joffre kam eine ganze
Weile gar nichts, und darauf als Vierter, mit 65 Stimmen.
Hindenburg — der Ärmste! Dann fylgt heillose Stimmen-
z-rsplitterung. Die letzten bedeutendsten Feldherren der
Gegenwart waren bei dieser Abstimmung die Herren
de Castro und Machado, die gewiß auch ihre Verdienste
haben, die aber bis jetzt noch kein Mensch kennt.
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