Auldaer Zeitung Jlt. 250
Samsfag/Sonnfag, den 29./30. Oktober 1938
Die $eteo£eiim£ampe
.Aus. dem Arsenal dec alten, vergessenen, kleinen Dinge
So mußte ich dich wiederfinden: Droben auf der
Rumpelkammer des elterlichen Hauses im hintersten
Winkel auf dem alten, wurmstichigen Kleiderschrank.
Du trugst eine Mütze von verstaubtem, braun gewor¬
denem Zeitungspapier auf deiner Milchglasglocke, und
oben in deine Zylinderöffnung war ein Papierpfropfen
hineingesteckt, um den Staub aus deinem Inneren fern»
zuhalten. So standest du da zwischen allerhand Ge¬
rümpel, lädierten Gipsfiguren, gesprungenen Vasen und
vom Alter geschwärzten Goldrahmen, und blinktest mich
mit den gelben Messinglichtern deines Schraubverschlusses
vertraulich an. Etwas Lebendiges lag in diesem
freundlichen Lampenblick, etwas von einer schüchternen
Frage: „Kennst du mich denn nicht mehr?" Und ich
muß gestehen, plötzlich verspürte ich etwas wie Heim¬
weh, wie echtes schmerzliches Heimweh in der Brust.
Aber Heimweh wonach?
Ich holte die alte Lampe aus ihrer Ecke herunter
und streifte ihr die Papiermütze ab. hell schimmernd
und makellos kam ihr gläsernes Haupt zum Vorschein;
nur am unteren Rande war eine kleine Ecke ausge-
stoßen, und ein winziger, haarfeiner Sprung saß dort
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in dem Glase. Aber nun entsann ich mich: Diese kleine
Kerbe und den haarfeinen Sprung hatte die Glocke
fchon damals gehabt. Damals, ja wie lange ist das nun
eigentlich her? Ich entfaltete die Haube aus altem Zei»
tungspapier, und da stand es groß und deutlich zu lesen:
Oktober 1914. Vierundzwanzig Jahre lang also stand
meine alte Lampe schon in ihrer Papierhaube und war¬
tet, wartete vergeblich.
Oktober 1914, da war ich schon draußen im Krieg.
Da begann man mein Dachstübchen aufzuräumen und
alles in Sicherheit zu bringen, was verstauben oder
beschädigt werden konnte. Denn man ahnte es damals
schon, daß wir so bald nicht zurückkehren würden. Und
als ich nach langen Jahren endlich heim kam, da hatte
ich ein neues, großes Zimmer mit einer blendend hellen,
elektrischen Lampe darin bekommen. Mein Dachstübchen
war zu einer Rumpelkammer gemacht worden, und
meine alte Petroleumlampe, die in das neue große
Zimmer nicht hineinpaßte und überflüssig geworden
war, wurde in der Rumpelkammer hinten in die dunkle
Ecke auf den Kleiderschrank gestellt.
Da hatte ich dich nun wiedergefunden, nachdem ich
dich gänzlich vergessen hatte. Und während ich dich liebe¬
voll und in allen Einzelheiten betrachtete, deinen stäm¬
migen, schwarzblinkenden Fuß, darauf der lauchgrüne,
gläserne Bauch ruht, der in seiner Höhlung das kost¬
bare, schillernde Del, die Nahrung der Flamme, birgt;
das blinkende Messinghaupt mit der Zackenkrone; die
zierlich geschwungenen Arme, aus denen der goldfarbene
Reifen schwebt; und über allem das schimmernde Wun¬
der der Glocke, ein winziges Firmament, das die kleine
Nacht meiner Dachkammer erhellte; während ich dich so
voller Liebe betrachtete, wußte ich plötzlich, wonach ich
Heimweh im Herzen trug. Heimweh nach dir, du gute,
alte Lampe, Heimweh nach meiner kleinen Dachstube,
die du mit deinem milden Schein erfülltest, Heimweh
nach meinen Knaben- und Jünglingsjahren, deren
Abende und Nächte du mir erleuchtet hast. Wie ein gu¬
ter Mond gingst du allabendlich in der Dämmerung
meiner Dachkammer auf, standest oft da bis tief in die
Nacht als „schöner, stiller Gefährt" und „Gedanken-
freund", wie ich es in deinem Lichte aus Klopstocks un¬
sterblicher Ode las.
Und du warst mir mehr, als ein guter Mond. Du
warst mir eine milde Sonne, unter deren wärmendem
Strahl aus dem Felde meiner jungen Sele die ersten
schüchternen Keime, die ersten, scheu verschwiegenen und
ach so überschwenglichen Verse hervorzusprossen began¬
nen. Und mefji/ noch als das: Dein gütiges Licht
schloß zum erstenmal die grenzenlose Welt der Schön¬
heit, Weisheit und Wahrheit vor meinen jungen Augen
aus. In deinem Scheine sah ich die von Siebe und
Trauer wunderbar verklärte Landschaft Stifters vor
meinem Blick aufdämmern; in deinem sanften Strahl
begannen Lessings scharfe Geisteswafsen zu funkeln und
zu blitzen; dein Licht, es war das gleiche, das in des
Doktor Faust Studierstube brannte, wenn du mir spät
in der Nacht über Goethes großem Schauspiel leuchte¬
test; im Geflacker deiner Flamme sah ich Schillers stür¬
mische Hymnen wie feurige Türme gen Himmel wehen;
dein frommes Licht war eine Fackel, die mich in die
dunklen Gedankenkatakomben von Rilkes Stundenbuch
führte. Ja, du gute, alte Lampe, viel Licht hast du mei¬
nen jungen Jahren geschenkt.
Als ich meine Mutter bat, dich, alte Lampe, mit mir
nehmen zu dürfen, da hat sie nicht gelacht und auch nichts
gefragt. Ich weiß, meine Mutter hat mich verstanden.
Ich habe dich mit mir genommen, und mein Töchterchen
hat dich geputzt, mit Andacht hat sie es getan, so, wie
man es mit alten und ehrwürdigen Dingen tut. Nun
strahlt dein Messing wie pures Gold, und das sanfte
Firmament deiner Glocke legt monbenen Schein über
meinen Arbeitstisch. Und mein Heimweh ist wunderbar
gestillt.
Ja, es ist gut und tröstlich für des Menschen Seele,
zugleich auch eine Prüfung des Gewissens, wenn er in
reifen Jahren in den Lichtkreis heimkehren darf, in dem
er in jungen Jahren reich und glücklich war.
Karl Schorn.
Vecttiitlende Jechnik
Ein Eingeborener Mexikos, der in feinem Leben noch
nie aus der Enge feines Dorfes hinausgekommen war,
gelangte vor kurzem nach Mexiko-City und bestaunte
die Wunder dieser Großstadt. Verwirrend war für ihn
bas Vorhandensein von fliehendem warmem und kaltem
Wasser, in den Hotels, die Wunder der elektrischen Be¬
leuchtung und die Fahrstühle, aber ganz unfaßbar stand
er vor dem Telephon.
„Glauben Sie, ich kann alles erhalten, wenn ich in
diese Deffnung hineinspreche? Kann ich mir dadurch
auch ein Paar Schuhe bestellen?" fragte er erstaunt.
Als der Telephonboy ihm dies bejahte, hob er den
Hörer ab. Kaum aber hatte er den ersten Worten, die
daraus an fein Ohr klangen, gelauscht, da warf er voller
Schrecken den Hörer hin: „Dios miol" schrie er, „Be¬
vor ich sagen konnte, daß ich eine Paar Schuhe wünsche,
fragte er fchon „Que Numero? — Welche Nummer?"
Aus -em Ful-aee Gerichtssaal
Wegen Vvleiöigung und übler Rachre-e
stand am Freitag der 42jährige K. H. in Hattenhof vor
dem Schöffengericht Fulda. In zwei Schriftsätzen an
den Bürgermeister hatte er diesem u. a. auch vorge¬
worfen, daß er (der jetzt noch im Amte befindliche Bür¬
germeister S.) ein .Ludenknecht", „politisch unzuver¬
lässig" und ,,kommunistisch" eingestellt sei. Sowohl vom
Bürgermeister als auch vom Landrat in Fulda waren
Strafanträge wegen dieser Verleumdung gestellt wor-
den. Zu der gestrigen Verhandlung, die bis mittags
dauerte, waren 10 Zeugen gelabert, die auch alle ver-
nommen wurden. War den Vorwurf, der Bürgermei¬
ster sei ein Judenknecht betraf, ergab sich burch Zeugen¬
aussagen, bag ber Bürgermeister nicht nur noch im
November 1937. sondern vermutlich auch noch 1938 Ge¬
schäfte mit Juben in feiner Behausung tätigte. Erwie¬
sen wurde, daß im November 1937 ein Fuldaer Han¬
delsjude mit einem Handkoffer, in dem sich Waren be¬
fanden, in der Küche des Bürgermeisters Seng er-
schien, um ein „Geschäftchen" zu machen. S. duldete
es. daß der Jude seine Waren in der Küche vor ber
Bürgermeisterssrau ausbreitete und entfernte sich bann
aus ber Küche Dem Kreisleiter in Fulda gegenüber
erklärte S. gelegentlich einer Unterredung, er mache
nnt Juden keine Geschäfte. Diese Aussage entfprad'
nicht den Tar'achen.
Was die Vorwürfe, S. sei politisch unzuverlässig und
kommunistisch eingestellt betraf, so ergab die Beweis¬
aufnahme, daß S. vor ber Machtübernahme wiederholt
die kommunistische Fahne auf seiner Scheune gehißt
Aw 4MMMS
Eine Nacht im Mai
i 3m Union-Theater
Was soll schon in einer Nacht im Mai geschehen,
zumal wenn diese Nacht im Mai aus Leinwand auf-
gezogen ist? ,Ln einer Nacht im Mai / Da kann so viel
passieren / Man kann sein Herz verlieren, / Und das
geht eins, zwei drei!" Eins, zwei, drei, flott und
schmissig geht überhaupt alles bei Marika Rökk, dem
Star ober Stein, der diese Mainacht erhellt.
Zuerst geht es sogar zu flott, nicht für das Pubii-
tum, aber für die Polizei; Marika stört sich an kein
Haltesignal, wenn sie in ihrem Wagen sitzt. Sie ist
csfensichtlich eine Verkehrssünderin, der eine Stunde
Verkehrserziehung nicht schaden kann. Doch Marika ist
auch auf die'e Weise nicht zu bessern, sie ist verkehrs¬
politisch sozusagen ein hoffnungsloser Fall. Nein, doch
nicht! Nachdem die Nacht im Mai mit dem filmübli-
che i Lerlobuogskuß in Zeitlupe geendet hat, dürfen wir
für einen Augenblick ein Jahr weiter in die Zukunft
blicken und sehen Marika mit einem Wagen, ber durch
Frauei:hond geschoben zu werben pflegt, und an b e m
Tempo wird auch bie Polizei nichts mehr auszusetzen
haben.
Die Nacht spielt hauptsächlich an einem See nahe
Berlin, sie wird nach Altberliner Art gefeiert. In ihr
passiert es Zweien, daß sie ihr Herz verlieren. Zwi¬
schendurch nehmen sie ein nächtliches Bad im See, über
das die Regie ein plötzliches Feuerwerk losbrechen läßt
— damit die Kamera auch etwas davon hat. Im übri¬
gen ist Mari la Rökk vielseitig beschäftigt, sie singt,
steppt und schlägt tolle Salti. Ihrem kapriziösen Spiel
ist Viktor S i a a l fröhlich und frech Partner. Mit
probaten Mitteln ist die Mainacht in Szene gesetzt und
witzig beendet worden. W. Dillinger.
hatte, auch einige Brüder des S. waren kommunistisch
«^gestellt. In der Küche des Bürgermeisters sollen
mehrere Einwohner aus Hattenhof, bie ebenfalls kom-
munistisch eingestellt waren, zu Besprechungen zusam-
mengetornmen fein. Nicht festzustellen mar in der ge¬
strigen Verhandlung, ob sich auch in dem Hause des S.
früher ein Büro der „Roten Hilfe" befunden habe.
Da der von dem Angeklagten angestrengte Wahrheits¬
beweis in den meisten Fällen als geglückt zu bezeichnen
war. erfolgte die Freisprechung des Angeklagten.
Die Kostkn hat die Staatskasse zu tragen.
Anbegrün-ete Beschuldigungen
Ferner wurde dem Schöffengericht der seit 14. No¬
vember 1937 in Untersuchungshast sitzende 22jährige
L. R. ran Burghaun vorgeführt. Ihm wurde zur Last
gelegt, einen von anderer Seite geplanten Raubüber-
iall nicht sofort dem zuständigen (Benbarmeriebeamten
gemeldet zu haben Außerdem wurde ihm Hehlerei von
gestohlener Frucht zur Last gelegt, die er verkauft hatte.
I i der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht er¬
gab sich, daß R. den geplanten Raubüberfall auf Ber-
arfcflung verschiedener Zeugen sofort am gleichen Tage
den zuständigen ®enbarmeriebeamiten melden wollte.
Der betreffende Beamte war aber dienstlich unterwegs.
Als R am anderen Vormittag abermals auf dem
Wege zum Gendarmeriebeamten war, erefuhr R., daß
der Bursche, der den Raubüberfall ausführen wollte,
bereits festgenommen sei. Aus diesem Grunde machte
R. keine weitere Meldung. Auch bei der angeblichen
Hehlerei der geürvl)lenen Frucht lag die Sache ganz an¬
ders. Hier handelte es sich um Frucht, bie dem R. für
geleistete Hilfe bei einem anderen Landwirt als Entgelt
überwiesen wurde. R war demnach berechtigt, die
Frucht zu verkaufen und den Erlös für sich zu verwen¬
den. Das Schöstengericht erkannte in beiden Fällen
auf Freisprechung und hob den Haftbefehl so¬
fort auf.
Ginzelrichterfitzung
Ein falscher Sudetendeutscher
Dem Einzelrichter wurde am Freitag aus der Un¬
tersuchungshaft der S4jährige I. B., gebürtig aus Duis-
burg-Meiderich, ohne festen Wohnsitz, vorgeführt. Sein
Vorstrasenregister, das 1901 begann, umfaßt bereits 28
Nummern. Meistens handelt es sich um Strafen wegen
Bettelns und Landstreicherei. Am 1. Oktober tauchte B.
hier in der Frankfurterftraße auf und bettelte. Bei die¬
ser Gelegenheit erzählte er einer Anwohnerin dieser
Straße, er sei sudetendeutscher Flüchtling und suche
in Fulda seine Mutter, die mit demselben Transport
angekommen sei. All dieses war reiner Schwindel und
Betrug. Er wollte durch Ausnutzung dieser gemeinen
Handlungsweise nur Mitleid erwecken. Wegen Be¬
trugs und Bettelns erhielt der Angeklagte 3 Wochen Ge¬
fängnis, die durch die Untersuchungshaft verbüßt sind.
Er bleibt aber weiter in Hast, da das Amtsgericht War¬
stein ersucht hat, ihn wegen einer anderen Straftat nach
dort zu überweisen.
Zweier Diebstähle
hatte sich am 12. Mai der 29jährige, mehrfach vorbe¬
strafte Ä. G., gebürtig aus Elberfeld, der sich z. Zt.
in einem Konzentrationslager befindet, in Lehnerz schul¬
dig gemacht. Er stahl dort ein Fahrrad, 5 Eier und
eine Mark. Mit dem Rade fuhr er nach Kassel, wo er
es „billig" verkaufte. In Abwesenheit erhielt G. 3 Mo¬
nate und 1 Woche Gefängnis.
wegen Uebcrlretung des Selb- und Sorstpolizeigesehes
wurde der W. H. von Romrod zu 20 RM. Geldstrafe
verurteilt. Er hatte eine Schafherde unbefugterweife
auf einem Kartoffelacker weiden lassen, wodurch Scha¬
den entstand.
zu der
Erkenntnis
nur wer
raucht,
raucht gut!
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