Amtliches Kreisblatt
Fuldaer Zeitung 7tr. 253
Donnerstag, den 3. November 1938
Jxh uechacqe -»een 35uch.ec
Don Herybert Menzel
Zunächst mag der Titel diese» Aufsatzes in Erstaunen
versetzen! Aber was der Verfasser zur ersten Grohdeut-
schen Buchwoche schreibt, wird jeder Leser bejahen.
Es gibt Menschen, die schreiten di« Front ihrer Bü¬
cher ab wie Generale, rücken hier zurecht und da zurecht
und sind erst zufrieden, wenn die bunt Uniformierten ge¬
rade und wohlausgerichtet wie die Soldaten stehen.
Sie sind stolz auf ihre Armee, und ich will sie nicht
boshaft belächeln. Aber ich finde, daß sie ihre Truppen
nicht bloß exerzieren, sondern da, wo es nottut, ein¬
setzen mühten.
Nein, da» tun sie nicht. Sie schicken.ihre Bücher nicht
aus, um die ihnen gemäßen Schlachten zu schlagen.
Aengstlich hüten sie ihre Prachtwerke davor, daß sie in
die geringste Gefahr kommen, verwundet zu werden oder
verlorenzugehen. Schön katalogisiert, darf auch nicht
eines fehlen.
Darauf sind sie sogar besonders stolz. Sie sagen:
ich liebe meine Bücher so sehr, ich kann auch nicht eines
missen.
Und wenn sie mir, dem Schriftsteller, das sagen, tun
sie das so, als überreichten sie mir ein besonders schönes
Geschenk.
Darum find sie auch wirklich entsetzt, wenn ich nun
gar keinen Sinn dafür habe, sondern ihrer Ansicht nach
sehr revolutionäre Meinungen äußere.
Ich sage: ich liebe gewisse Bücher so, daß ich sie im¬
mer wieder verleihe, daß ich sie manchen Menschen ge¬
radezu aufdränge: nehmt sie doch mit nach -aus, ihr
werdet sehr glücklich mit ihnen sein.
Natürlich bekomme ich sie nicht immer wiedr, ja frei¬
lich sehen sie oft recht mitgenommen au», wenn ich sie ost
verlieh, man sieht es ihnen an, daß sie gelesen wurden,
wie man es Soldaten ansieht, daß sie durchs Feuer gin¬
gen.
Aber ich weiß nun auch, wenn ich mit ihnen rede,
3)as Rätsel uoit Reute
Suchbild
Die Wolfsjäger sind von sechs Wölfen umgeben, wer
findet sie schnell heraus?
Ein angenehmer junger Mann
Der reiche Herr Hensche musterte eingehend den jun¬
gen Mann, der vor ihm sah, und sagte schließlich: „Sie
wollen also meine Tochter heiraten? Haben Sie denn
schon den Tag der Hochzeit bestimmt?"
Der junge Mann machte eine abwehrende Bewegung:
„Den zu bestimmen überlasse ich natürlich ganz Ihrer
Tochter!"
„Hm," fragte der wohlwollende Mann weiter, „woll¬
ten Sie denn eine große Hochzeit feiern oder nur eine
Feier im engsten Familienkreise?"
„Das will ich ganz Ihrer Frau Gemahlin über¬
lassen!"
„So, und wie groß sind denn Ihre Einkünfte, jun¬
ger Mann?"
„Das überlasse ich vollkommen Ihnen, Herr Hensche!"
daß sie in vielen, vielen Stunden Menschen meiner
Heimat zum Erlebnis wurden.
Das muh ich nun sagen: ich wohne ja nicht in der
Großstadt, wo man so viel leichter zu guten Büchern
kommt. Meine Heimat ist der deutsche Osten, meine
Heimat ist eine kleine Stadt an der Grenze, und die
Bauern ringsum wohnen anderswo. Es ist schwer bei
uns, zu guten Büchern zu kommen. Darum werden bei
un» solche Bücher auch nicht nur einmal gelesen, sondern
fast jeden Winter neu.
Ich spreche jetzt sehr von mir selbst, denn ich wuchs
ja hier auf, und ich kenne ungestillten Lesehunger aus
meiner Jugend. Mein Vater hüte mir gern öfter ein
Buch gekauft, nicht nur zu Weihnachten und zum Ge¬
burtstag, aber er hatte da, Geld nicht dazu. Ich war
also darauf angewiesen, mir Bücher zu entleihen.
Ich bin heut so dankbar dafür, daß ich die Menschen
sand, die mir ihre Bücher gern zur Verfügung stellten.
Ich bin so dankbar dafür, daß ihr Geschmack ein guter
war. So habe ich früh unsere besten Dichtungen ken¬
nengelernt. Da» bedeutete viel für mich.
Wie also dürfte ich mich jetzt ängstlich vor meine
Schränke stellen?! Nein, ich tue sie weit auf, und ich
lasse sie wie eine Quelle sein für unser Land.
Und gerade auch dem gebe ich Bücher, der sie sich
kaufen könnte, und an der falschen Stelle spart. Denn
ich traue den Büchern, die ich habe, alles zu, mit der
Zeit werden sie auch ihn zum Liebhaber machen.
Es ist ganz falsch, wenn man glaubt, uns Schriftstel¬
lern wäre es nicht recht, wenn man unsere Bücher ver¬
borgt, denn nun würden ja viel weniger gekauft.
• Ich weiß es doch von mir selbst, daß ich manchen
Dichter erst viel später oder vielleicht gar nicht tennen¬
gelernt hätte, wäre mir nicht erst eines seiner Bücher ge¬
liehen worden. Nun aber warte ich schon aus jedes
neue Buch von ihm und bringe es wieder andern Men¬
schen nahe.
Bücher wollen ins Volk, und man soll ihnen, wenn
sie es verdienen, auf jede Weife behilflich sein, du an
deinem Ort und ich an meinem, und zur Woche des
Buches wollen wir uns ein neues Buch kaufen und es
bei uns zum Einsatz bringen.
einzusperren. Dies geschah prompt. Bereits «ine halbe
Stunde später hatte Weber Muße, hinter Schloß und
Riegel über seinen Streich nachzudenken. Pripz Ludwig,
der seinen Hofsekretär dringend benötigte, sorgte freilich
dafür, daß sich der Zorn de» König» bald legte und
Weber sein« Freiheit rasch zurückerhielt. Immerhin war
das Zusammentreffen mit der alten Waschfrau Gret die
Ursache, daß der spätere Komponist des „Freischütz" im
Herbst 1808 etliche Tage im Kittchen zu Ludwigsburg
brummte.
Amerikas Stotz; die ^Badezimmer
„Die Reinlichkeit eines Volkes ist an der Menge der
verbrauchten Seife zu erkennen", heißt ein alte» Wort.
Amerika hat einen anderen Wertmesser der Reinlichkeit
gefunden: die Zahl der Badezimmer. Aber dieser Ma߬
stab kann nicht als absolut gültig betrachtet werden.
Man muß vor allem da» Alter der Wohnkultur in Rech¬
nung stellen. Und weil Amerika eine verhältnismäßig
junge Nation ist, hat es auch eine junge Wohnkultur,
d. h die Errungenschaften der Zivilisation konnten hier
5)et 3tol&ehcetac und die Waschfrau
Eine Qeschicfite um JCacl TJlaria van Wekee von S. J)raste*3Ciilsha(t
Der erste König von Württemberg, Friedrich Wil-
Helm Karl, war so dick, daß Napoleon, von dessen Gna¬
den der Württemberger die Königskrone trug, von ihm
Zu sagen pflegte, er sei immer „oentre-ä-terre" nach Pa¬
ris gekommen. Im Schloß zu Ludwigsburg, wo Fried¬
rich I. residierte, zeigten alle Tische, an denen er speiste
und arbeitete, breite, runde Ausschnitte, da der König
wegen seines Leibesumfanges an gewöhnlichen Tischen
nicht sitzen konnte. Trotz feiner Beleibtheit gehörte
Friedrich jedoch durchaus nicht zu den gutmütigen und
phlegmatischen Menschen. Er hatte vielmehr eine sehr
cholerische Natur, und jedermann in seiner nächsten Um¬
gebung fürchtete sich vor feiner zügellosen Heftigkeit.
Auch Karl Maria von Weber bekam sie gelegentlich
zu spüren, als er in den Jahren 1807—1810 als Hof¬
sekretär des Prinzen Ludwig von Württemberg im
Schwabenlande weilte. Ludwig, ein Bruder des dicken
König», war ein höchst leichtlebiger Herr, der beim
Spiel, bei sonstigen Vergnügungen und mit schönen
Frauen eine Menge Geld vertat. Der königliche Bruder
mußte die Schulden des Prinzen allemal begleichen. Ob-
gleich Friedrich der Dicke selbst nicht gerade zu den spar¬
samen Herrschern zählte, ärgerte ihn die Verschwen¬
dungssucht seines Bruders schwer. Dem Hofsekretär
Weber fiel die unangenehme Aufgabe zu, dem König je¬
weils über den — meist katastrophalen — Kassenzustand
des Prinzen Ludwig Bericht zu erstatten und um neuen
Geldvorschuh zur Bezahlung der immer lawinenartig
anwachsenden Schulden zu ersuchen. Dabei kam es ge¬
wöhnlich zu sehr unerfreulichen Szenen. Der arme Hof¬
sekretär mußte die wilden Donnerwetter über sich er¬
gehen lassen, mit denen der König seinem Zorn über
den Leichtsinn von „Prince Louis" Luft machte.
Eines Tages, als Karl Maria von Weber wieder ein¬
mal im Auftrage seines Herrn bei Friedrich I. einen
Pumpversuch wagte, traf er es besonders schlecht. Die
dicke Majestät befand sich just in außerordentlich übler
Laune. Es gab einen heillosen Krach. Schimpfworts
auf Französisch und In unverfälschtem Schwäbisch pras¬
selten auf das Haupt des unglücklichen Hosfekretörs nie¬
der. Als ober der ergrimmte König auch noch begann,
in feiner Wut die goldene Schnupftabakdose und allerlei
andere Gegenstände, die gerade zur Hand lagen, nach
der Richtung zu schleudern, wo Weber stand, ergriff die¬
ser schleunigst die Flucht. Noch während er den langen
Gang vor den königlichen Gemächern hinabging, tönte
ihm das Wettern Seiner Majestät nach.
Weber blieb ein paar Augenblicke stehen, um zu ver¬
schnaufen. Da trat eine alte Frau auf ihn zu und fragte
schüchtern, ob der Herr Ihr nicht sagen könne, in welchem
Raume hier die königliche Hofwaschfrau zu finden wäre.
„Wie kommt Sie denn überhaupt hier heraus?"
fragte Weber erstaunt zurück.
' Die Alte erklärte treuherzig, daß sie Gret heiße, von
der königlichen Hofwäscherei als Hilfskraft angestellt wor¬
den und noch nie im Leben im Schlöffe gewesen sei. Man
habe sie durch eine Hintertür eingelassen Sie hätte sich
m dem riesigen Gebäude verlaufen; sei durch etliche Dür¬
ren gegangen und, da ihr kein Mensch begegnete, der
ihr Auskunft hätte geben können, schließlich in diesen
Gang geraten.
Der junge Hofsekretär lachte. Unwiderstehlich packte
ihn die Lust, dem grimmigen König einen Bassen zu
spielen.
„Geh' Sie nur durch jene Tür dort, liebe Frau! Da
brinnen wohnt die königliche Waschfrau!" sagte er, und
machte sich rasch aus dem Staube. '
Die alte Gret schritt tapfer auf die ihr bezeichnete
Tür zu, klopfte kurz an und trat ins Zimmer. Ein
wenig kurzsichtig, wie sie war, sah die Gret zunächst nur
an einem Tische eine unförmig dicke Figur in einem lan¬
gen weiten Schlafrock sitzen, die sie nicht sofort deutlich
erkennen konnte.
„Send ’r d' königliche Waschfrau?" erkundigte sie sich
arglos.
Friedrich der Dicke fuhr herum, als ob ihn eine
Wespe gestochen hätte und fauchte die Alte nicht wenig
an. Aber die Gret war auch nicht auf den Mund ge¬
fallen, Sie erklärte sehr laut und energisch, daß sie
nichts dafür könne, ,che Hearre" für die Hofwäfcherin
gehalten ju haben. Erstens sehe sie ohne Brille nicht
gut, und zweitens hätte ihr der feine Kavalier, der eben
draußen vorüber gegangen fei, ausdrücklich gesagt, daß
di« Waschfrau hier hause.
Nun verschlug es dem König die Rede. Er vergaß
auf weiteres Schimpfen und knurrte nur noch: „Da
hört sich doch alles auf! Na warte--!" vor sich hin.
Denn er erriet sofort, daß nur der junge Hofsekretär
Weber die Alte zu ihm hereingefchickt haben konnte. Die
Gret wurde durch eine kurze Handbewegung aus dem
Gemach gescheucht. Dann läutete König Friedrich
Sturm, ließ seinen Adjutanten kommen uijb befahl
streng, den Hofsekretär Weber sofort zu verhaften und
Roichssen-er Frankfurt
6 Uhr Gymnastik. 6.30 Frühkonzert. 7 Nachrichten.
8.05 Wetterbericht. 8.10 Gymnastik. 8.30 Froher Klang
zur Werkpause. 9.40 Mutter turnt und spielt mit dem
Kind: 10 Schulfunk. 10.30 Wir sind das Volk der Flie¬
ger. 11.45 Ruf ins Land. 12 Werkskonzert. 13 Nach¬
richten. 13.15 Mittagskonzert. 14 Nachrichten. 14.10
Dem Opern freund. 15 Kleines Konzert. 16 Nachmittags¬
konzert. 18 Sport der Woche und für den Sonntag.
18.15 Bücher, von denen man spricht. 18.30 Mit Jagd-
gefang und Hörnerschall. 19.15 Tagesspiegel. 19.30 Der
fröhliche Lautsprecher. 20 Nachrichten. 20.15 Der Garn¬
macher Crampton. 20.30 Die Winterreise. 22 Nachrich¬
ten. 22.30 Unterhaltungskonzert. 24—2 Nachtkonzert.
leichter und schneller in Anwendung gebracht werden.
Immerhin ist bi« aus USA kommenbe Statistik sehr in¬
teressant. Danach kommen in ben Bereinigten Staaten
auf 1000 Einwohner 35 Badezimmer. Das ist für die
ganze Welt die höchste Ziffer. An zweiter Stelle steht
England mit 31, an dritter Deutschland mit 26 und an
vierter Stell« Dänemark, Holland und die Scyweiz mit
20 Badezimmern je tausend Einwohner. Dann folgen
Belgien mit 18, Frankreich mit 14, Japan mit 12, die
Tschechoslowakei mit 10, Norwegen mit 8, Italien und
Ungarn mit 6, Spanien, Portugal und Polen mit 4, Ru¬
mänien mit 2 und Jugoslawien mit einem Badezimmer
auf tausend Menschen. In Rußland hat jeder 10 000
Einwohner, wenn man von ben Badestuben absieht,
ein Badezimmer.
3jouschhandei mit Ttennkameten
Auf der Sinai-Insel hat sich zwischen den nomadisie-
renben Arabern und europäisch-amerikanischen Auto¬
agenten ein lebhafter Tauschhandel entwickelt. Die
Araber bekennen sich zur Technik, die schneller ist als
Rennkamele. Sie verkaufen ihre Tiere, jedoch nicht für
Geld, sondern für Autos. Der übliche Handelspreis für
ein Auto beträgt zehn Kamelen. Die Wüstenschiffe
werden bann von den Autoagenten nach Nordafrika ober
an alle Zoologischen Gärten ber Welt verkauft.
„Sportteistanqen" dec fiere
Der Mensch, ber sich bemüht, im Springen und Lau¬
fen Außerordentliches zu leisten, was ihm meist erst
nach langem Training gelingt, blickt mit Bewunderung
und Neid auf die Tiere, die mühelos die erstaunlichsten
Rekordleistungen vollbringen. Da ist zum Beispiel ber
Springfrosch, ber ohne jebe Anstrengung 2 Meter weit
unb 75 Zentimeter hoch springt. Der Ochsenfrosch bringt
es fertig, über eine Hecke von IVi Meter Höhe hinweg-
zuspringen. Der Floh springt 200 mal so weit, wie er
lang ist, bie Heuschrecke 30 mal so weit, bas Känguruh
5 mal und ber Löwe unb Tiger 3 mal so weit. Die
Antilopen Sübafrikas können ohne Anlauf 2 Meter
hoch springen. Als Läufer stehen die Winbhunbe
obenan.
Dvuttchian-ienLvr
6.10 Eine kleine Melodie. 6.30 Frühkonzert. 7 Nach¬
richten. 9.40 Klein« Turnstunde. 10 „Gott zur Ehr', dem
Nächsten zur Wehr". 10.30 Wir sind das Volk ber Flie¬
ger. 11.30 Dreißig bunt« Minuten. 12 Musik zum Mit¬
tag. 13 Glückwünsche. 13.45 Nachrichten. 14 Allerlei
— von Zwei bis Drei! 15.15 Gesundheitsdienst im
BDM-Werk „Glaube und Schönheit". 15.30 „Blumen¬
pflücken während ber Fahrt verboten!" 16 Musik am
Nachmittag. 18 Wir fingen aus bem neuen Liederbuch
ber HI. 18.30 Musik für zwei Violinen und Klavier.
19 Deutschlanbecho. 19.15 Klingende Autogramme 20
Nachrichten. 20.10 Italienische Arien. 20.30 Romeo und
Julia. 22 Nachrichten; anschließend Deutschlanbecho.
22.30 Eine kleine Nachtmusik. 23 Die norbische Brücke.
23.40 Eine kleine Melobie.
Der deutsche Rundfunk [endet:
Freitag, 4. November
Peter Ws berahmte Frau
Ein Roman von Künstlertum und Ehe
4] Von Eist Jung-Lindemann
Urheber»Redit»»diutz: Drei Quellen-Verlag, Königsbrück <Bez. Dresden;
Gina wohnte in einer vornehmen Pension im west¬
lichen Charlottenburg. Das Haus lag in einer stillen,
baumbestandenen Villenstraße und nahm nur wenige
Gäste an. Sie hatte sich gleich wohlgefühlt unb war
Frau Carlson bantbar, bie ihr bieses Heim empfahl.
Es war ein regnerischer Morgen, als Gina erwachte,
und gleich stand wieder der gestrig« Abend vor ihren
Augen, den sie mit Wendt und Dr. Knörr verbracht
hatte.
Eintönig rauschte der Regen in den Bäumen, Trop¬
fen klapperten auf das Blech vor ihren Fenstern, und
das früh^ Licht sickerte grau durch die geschlossenen Vor¬
hänge.
Gina schaute aus die kleine Uhr, die auf ihrem Nacht¬
tisch tickte.
7 Uhr? Sie hätte noch gut zwei Stunden schlafen
können, versuchte es auch, ben verlorenen Schlaf noch
einmal wiederzufinden, aber es gelang nicht. Sie war
hellwach und dachte an Peter Wendt.
Was wollte er von ihr? Sie mitnehmen nach Groß-
Karschin?
Gina träumte mit offenen Augen. Jetzt fiel ihr ein,
daß sie auch während der Nacht von Groß-Karschin ge¬
träumt hatte.
Wiesen hatte sie gesehen und Felder, unb Peter hatte
sie lachend auf ein Pferd gehoben.
Wir retten nach Hamburg, Gina, sagte er.
Nicht nach Hamburg, Peter.
Dann nach Berlin! Du hast doch den Vertrag unter¬
schrieben, Gina.
Noch nicht, Peter. Ich will bei dir bleiben . . . im¬
mer . Da hatte er sich' zu ihr auf da» Pferd ge¬
schwungen, hatte sie in (einen Arm genommen und mit
fester Hand bie Zügel ergriffen.
Das Pferd war angesprungen, sie schrie, aber Peter
lachte Und dann hatten sie einen Ritt gemacht, einen
atemlosen Ritt quer über eine Wiese. Der Wald war
auf sie zugeflogen, Gina sah graue und braune Stämme,
die zurückwichen, sich zur Seite bogen . . .
Das Pferd schnaubte, aber feine Hufe schlugen laut¬
los den weichen Moosboden.
Eine Wand stand vor ihnen, eine Wand aus Bäu¬
men. Sie wich nicht zurück. Gina stöhnt« und stemmte
sich gegen Peter» SB ruft.
Da waren sie hindurch, mitten hindurchgestürmt wie
durch eine Wand grauer Schemen.
Wasser blinkte auf, eine endlose Fläche. Sie rasten
auf sie zu.
Peter, der See! schrie Gina und schloß die Augen.
Seine Angst! Der Mann, der sie in seinem Arm
hielt, jauchzte. E» war ein wilder Schrei, voll von Le¬
ben und Kraft.
Da flogen sie über den See. Unter den Hufen des
Pferdes splitterte Glas . . .
Ein Sparendruck, und der Rappe stieg, hob sich steil
in die blaue Luft, feine Mähne flatterte im seidenwei¬
chen Wind, ohne Laut, ohne Atem glitten sie durch Him¬
mel unb Wolken.
Der Mann hinter ihr ließ bie Zügel fallen, unb Gina
fühlte feine Hände um ihr Gesicht, seinen brennenden
Mund auf ihren Lippen . . . und wehrte sich nicht.
Ein Traum, da» alle». Ein wilder Traum. Und doch
hatte sie in ihm Peter Wendt erlebt, wie er war, wie
er sein könnte, draußen in seinen Wäldern . . .
Ginas Leib bebte, ihr Gesicht glühte, unb wie unter
einer plötzlich aufspringenden Angst wühlte sie den Kopf
in die Kissen.
Noch hörte sie ben jauchzenden Schrei des Mannes.
Er zerriß die Geisterhaftigkeit ihre» Traumes und füllte
das Zimmer an, in dem sie lag, unb das ihr mit einem
Male fremb schien, als gehörte sie nicht hierher.
Sie zwang sich, an bie Aufgaben bes heutigen läge»
zu denken, sah Knörrs ernste Augen hinter den scharfen
Gläsern und sich selbst unter dem prüfenden Blick dieser
Augen auf der Bühne stehen.
Sie formte ein paar Sätze aus ihrer Rolle unb
spürte plötzlich Abwehr.
Noch einmal sprach sie die gleichen Worte unb bachte
mitten hinein: Ich möchte bich einmal so erleben wol¬
len, Peter Wenbt, so wie im Traum ... in Groß-Kar¬
schin.
Do schlug die Glocke des kleinen Reiseweckers an.
8 Uhr!
Gina warf bie Decke zurück, sprang aus bem Bett
unb zog bie Vorhänge beiseite
Es regnete nicht mehr, nur von ben Bäumen tropfte
noch das Wasser.
Eine halbe Stunde später klingelte sie nach bem
Frühstück. Als das Mädchen mit bem Tablett erschien,
lag neben bem Geschirr ein Strauß roter Rosen. Ein
weißer Umschlag steckte barin, unb Gina erkannte Pe¬
ter Wenbts Handschrift.
„Wer brachte die SBlumen, Anna?"
„Herr Wendt selbst, er wartet unten in ber Diele"
Gina verbarg ihre Unruhe. Es war das erstemal
baß Peter Wenbt sie währenb ihres Berliner Aufenthal¬
tes in ihrer Wohnung aufsuchte.
„Führen Sie ben Herrn in bie Bibliothek, ich komme
gleich hinunter", sagte sie dem Mädchen.
Al» sie allein war, riß sie ben Brief auf. Da stand:
„Daß Du mich lieb hast, weiß ich, Gina. Aber wie
Heb ich Dich habe, weißt Du noch nicht. Das will ich
Dir heute sagen. Unterschreibe ben Vertrag nicht unb
komm mit mir nach Groß-Karschin, Gina, nach Hause.
In spätestens drei Wochen können wir heiraten. Willst
Du?
Wenn Du nicht willst, brauchst Du nur zu sagen: ich
bleibe. Dann fahre ich noch heute abend heim, aber
ich werde nach einiger Zeit wiederkommen, so lange, bi»
Du weißt, daß Du zu mir gehörst."
Die Hand, die bas Blatt mifben steilen eigenwilligen
Buchstaben hielt, zitterte.
Da» also wollte er.
Gina schloß die Augen unb zog den Slitern tief ein.
betraten! Mann und Frau fein unb ein schönes Heim
haben, weit, weit von den Städten . . .
Wir reiten, Gina . . . fang es aus ihrem Traum.
Ein Schrei jauchzt auf, voll von Leben und Kraft. Ein
heißer Mund küßte den ihren . . .
Ihre Lippen brannten mit einem Male, wölbten sich,
als sehnten sie sich nach seinem Munde. Sie hatte noch
nichts erlebt, nicht», das sie durchschüttelt hätte mit ber
Blutwärme wirklichen Lebens. Sie hatte alles nur
gespielt, nachgesprochen, nachgeformt.
Meisterhaft nachgeformt, fo sagten bie Besprechun¬
gen, unb sie hatte ihnen geglaubt.
Ste war streng gewesen gegen sich selbst, unachgiebig
gegen bie heißen Wünsche, die nach der Frau begehrt
hatten, die sie doch war und bie niemals richtig gelebt,
noch niemals Wirklichkeit erlebt hatte. Keines Mannes
Arm, keines Mannes Mund.
Hatten sie die Kolleginnen nicht oftmals heimlich ver¬
lacht ober hinter ihrem Rücken getuschelt: Sie tut nur so.
Täuschung, Kinder. Die Gina Holl war so, wie sie sich
gab: unnahbar, sehr tugendsam und trotzdem eine gute
Schauspielerin.
Knörr hatte freilich gesagt: Es fehlt noch etwas, ein
Letztes, Fräulein Holl, mehr Blut, mehr Saft. Ihr fiel
ein, daß das auch Knut Leeks zuweilen gesagt hatte, der
Hamburger Kunstschriftleiter.
Jetzt verstand sie, was die Männer gemeint hatten:
Dir fehlt das große Erlebnis, Gina Holl, die groß«, auf¬
wühlende Leidenschaft. Wie willst du Lieb«, Leidenschaft,
Jubel und Leid, Erfüllung ober Verzicht spielen, wenn
du sie nicht am eigenen Leibe, an eigener Seele erlebt,
gefühlt, burdjlitten hast?
Aber ich habe das doch alles schon gespielt!
Nachgespielt, ja, wohl! Aber nicht genug, nicht bis
in bie letzte Tiefe, die bu selbst bist, Gina. Eine gute
Schauspielerin, die am lebendigen Leben gereifte Frau.
Gina preßt bie Hände vor ihre Augen. Durch ihren
Leib rann eine zitternde Welle warmen Blutes. Zum
ersten Male in ihrem Leben spürte sie diese» süße Wo¬
gen in ihrem Blut.
Ich war nur ein Schemen, dachte sie, weil Ich Furcht
hatte vor allem, was fordernd nach mir griff. Aber Ist
dies nun ber Ausweg? Heiraten, Mann unb Frau fein,
Kinder haben unb auf einem stillen Landgut leben, im¬
mer . . . immer?
Nein, Peter Wendt, du weiht nicht, was es bedeutet,
all«» aufgeben zu müssen, was mir bisher Lebensinhalt,
Lebensziel war. Nicht mehr spielen dürfen, nicht mehr
gestalten können, arbeiten, oorwärtskommen, immer hö¬
her und höher hinauf, vom jubelnden Beifall getragen?
Nicht mehr bas alles?
Gina reckte sich auf Ich kann nicht, Peter Wendt.
Das Frühstück auf dem Tisch stand unberührt, die
Weckuhr auf dem Nachtkästchen zeigte auf neun.
Da erhob sie sich und ging zu bem wartenden Manne
hinunter, mit Schritten, bie noch zögerten.
Peter Wenbt saß in einem Klubsessel der Bibliothek.
So hieß das Arbeitszimmer de» verstorbenen Oberst
Setting. Es diente nun den Gästen feiner Frau als Auf¬
enthalts- oder Empfangsraum.
(Fortsetzung folgt >
1O
MAGGI8
eine delikate Sahnensoße
---ikante Zwiebelsoße
und etwa» Sahne =elL . .w.ci*».«
und eine kl.Zwiebe! = eine 5enf$Oße
und ein Eßlöffel Sen feine Tomatensoße
und einige Tomaten -- eine teme 'v