Amtliches kreisblatt
Fuldaer Zeitung 7lr. 279
ZRontag, den 5. Dezember ift
Sie
darf nicht krächzen, wie ein alter Rabe,
k
I
ren
sind
was bringt uns wiener Modearbeit?
Gediegene Handwerksarbeit und Sicherheit des Geschmacks im Vordergrund
Mein Mädel und zwanzig Tiere
Don all den vielen, reich verteilten Gaben
die man der Tierwelt beispielhaft entlehnt,
kann ungezählte jenes Mädel haben,
nachdem mein Herz sich schon seit langem sehnt.
Unschuldig wie ein Lamm? — Na, meinetwegen.
Frech, wie ein S p a tz? — Bielleicht. Teils ja, teils nein.
Doch zu des Hauses Wohlstand, Glück und Segen
muß sie so fleißig, wie die Biene sein.
Dumm, wie die Kuh, steht völlig außer Frage.
Im Gegenteil: Schlau sei sie, wie ein Luchs,
und wachsam, wie ein Schießhund, alle Tage
und listig wie ein ausgekochter Fuchs.
Schnell, wie das Wiesel oder die Gazelle,
nicht langsam, wie die Schnecke soll sie sein,
und munter, wie im Wasser die Forelle,
und wie ein Reh, so schlank, so scheu und fein.
Manche Frauen können mit beinahe fachmännischer
Sicherheit Stoffe auf ihre Bestandteile beurteilen.
Wolle, Baumwolle, Seide und Kunstseide lassen sich ja
verhältnismäßig leicht erkennen, schwieriger ist es schon
mit den verschiedenen Mischgeweben. Es ist aber ganz
besonders für die Frau wichtig, genau zu wissen, aus
welchen Rohstoffen Stoffe bestehen, um sie dementspre¬
chend sachgemäß zu behandeln, was ganz be onders bei
der Wäsche wichtig ist.
Es gibt nun zwei Hilfsmittel, die für die Beurteilung
von Geweben und Gewirken außerordentlich wertvoll
sind, die Brennprobe und die Drehprobe. Zur Vor¬
nahme von Brennproben zündet man herausgezogene
Fäden mit einem Streichholz an. Bei der Drehprobe
werden die Fäden aufgedreht und in Fäserchen zerlegt.
Es empfiehlt sich, bei gewebten Stoffen Fäden aus
Kette und Schuß getrennt zu prüfen.
Tracht, des Dirndls, zur städitschen Kleidung ein ab¬
solut natürliches. Die Tracht, in der Zusammenstel¬
lung der einzelnen Teile, in Stoffart und Farbigkeit
streng an die verschiedenen Gegenden gebunden, ist noch
in aller Frische und Lebendigkeit vorhanden und braucht
nicht erst künstlich erweckt zu werden. Aber selbst
wenn die Wienerin — in der Stadt modern an»
Goethe, Torbole in früheren Zeiten. Das schönste und
erinnerungsreichste Stück ein feiner, eingelegter Sekre¬
tär, an dem der Dichter, wie seine Tagebücher melden,
an der Iphigenie gearbeitet hat. „Sie ist im Angesicht
des Sees gut von statten gegangen". Der Wiener
Goethe-Verein hat 1897 zur Erinnerung daran eine
Tafel an der rückwärtigen Seite des Hauses anbrin¬
gen lassen. Hier, auf der kleinen Piazza, die im Ge¬
gensatz zum Hafen wenig belebt ist, fühlt man ganz
den Reiz des alten Fischer- und Schifferdorfes Torbole.
Die Rundung des Schwibbogens, der die Cafa Alberti
trägt, gibt einen Lieblichen Blick auf den See frei, die
farbigen Häuser glänzen in der Abendsonne wie vor
ISO Jahren, vor den Obstläden drängt sich eine Far-
benpracht an bunten Früchten, rotem Paprika, grünen
Gemü'en, strohumwundenen Chiantiflaschen. Unwill-
kürlich denkt man an die köstlichen Beobachtungen
Goethes: daß die Türen keine Schlösser haben, die Fen-
ster Oelpapier statt Glasscheiben, daß eine gewisse Ge-
legenheit, auf die man heute noch in romanischen Län-
dern nicht allzugroßen Wert zu legen scheint, ganz
fehlt . . . , Leben und Geschäftigkeit sind gleich geblie-
ben. „Den ganzen Tag vollführen die Nachbarinnen ein
nein, singen muß sie wie die Nachtigall.
Sie darf, wenn ich sie in den Armen habe,
nicht steif sein, wie ein Bock im Ziegenstall.
Stolz, wie ein Pfau soll sie in Farben schillern,
doch störrisch, wie ein Esel? Nimmermehrl
Sie kann tagsüber wie die Lerche trillern,
doch nachts muh sie dann schlafen wie ein Bär.
Zu einem Zugeständnis gern erbötig,
schalt ich zum Schluß noch die Bemerkung rin:
Sie braucht bei allem nicht, — das ist nicht nötig, —
so arm wie eine Kirchenmaus zu sein.
Puck.
Können Sie Stoffe unterscheiden?
Textilkenntnis ist die Voraussetzung richtiger Stoffbehandlung
»Familie"
So heißt eines der Reliefs von Prof. Josef Thorak am Reichsbankncubau kn der Reichshauptstädt
die Szenen aus dem menschlichen Leben symbolisieren. (Presse-Hoffmann, 9IL)
Neben allem was uns die Rückkehr der Ostmark ge-
schenkt hat, wollen wir eines nicht vergessen, das vor
allem die Frau nageht und für uns Norddeutsche eine
groß- Bereicherung bedeutet: die Wiener Mode. Schon
seit Jahren bemühen wir uns auch in unserer Kleidung
um einen dem deutschen Menschen und seiner Lebens¬
haltung entsprechenden Stil, eine Loslösung von frem¬
den Einflüssen. Dies ist uns zum Teil schon gelungen,
vor allem auch in der Verwendung des aus deutschen
Rohstoffen gewonnenen Materials. Was Wien uns
bringt, ist aber noch etwas anderes, etwas, das in der
ganzen Welt einen guten Namen hat: gediegene und ge-
schmackvolle Handwerksarbeit.
Vom Wiener modeschaffenden Handwerk sind uns
im Altreich in erster Linie Leder, und Wirkwaren be¬
kannt. Beide vereinigen in ausgeprägtem Maße her¬
vorragendes handwerkliches Können und einen vorneh¬
men, gediegenen Stil. Während man bei uns gewöhnt
ist, solche Arbeiten nur fertig zu kaufen, findet man
in Wien eine große Anzahl von Geschäften, di« den
Vermerk tragen ,,Eigene Erzeugung". Man findet in
diesen kleinen Läden, oft in den Nebenstraßen des
Houptgeschäftsoiertels, Dinge von einem Geschmack und
einer Korrektheit der Verarbeitung, daß man immer
aufs Neue überrascht und entzückt ist. Bezeichnend ist
hier, daß mit der Herstellung von Waren für den Fer-
tigverkauf die Arbeit auf Bestellung parallel läuft.
So können immer besondere Wünsche der Kundin ous-
geführt werden, die entweder eigene Angaben macht
oder sich vom Geschäft beraten läßt.
Wir Frauen im Altreich sind in dieser Beziehung
weniger verwöhnt und daher mit der Zeit recht an-
spruchslos geworden. Denn selbst in unseren großen
Städten ist es schwer, Geschäfte zu finden, die gewillt
sind, auf unsere Sonderwünsche einzugehen. Allenfalls
kommt einmal die maschinelle Nacharbeitung eines vor¬
handenen Stückes in anderem Material oder einer an¬
deren Farbe in Frage; alles übrige aber hat bei fabri¬
kationsmäßiger Herstellung schon eine erhebliche Preis¬
erhöhung zur Folge oder ist aus sonstigen Gründen zu
umständlich
Auch von Kunstgewerbe in unserem Sinne kann
man in Wien auch kaum sprechen. Dort herrscht noch
das Handwerk in seiner ursprünglichen Form vor: Der
Erzeuger ist aus seiner Vertrautheit mit dem Material
und durch die enge Verbindung mit dem Verbraucher
selbstschöpserisch Diese Art der natürlichen Produkti-
vität, die noch gesund und fest im Boden der Ueberliefe-
rung wurzelt und mit ihren Kräften den Anforderun¬
gen des modernen Lebens voll und ganz zur Verfü¬
gung steht, macht sich überall bemerkbar. Man spürt
auf wohltuende Weise, daß hier der Faden zwischen
Vergangenheit und Gegenwart, zwischen dem volks¬
tümlichen Wert, und Schönheitsempfinden und dem¬
jenigen des technischen Zeitalters nicht abgerissen ist.
So ist z. B. auch das Verhältnis der bäuerlichen
stets kleine Verdickungen, „Leinenknötchen" genon* j
Gerade an letzteren ist Flachs leicht zu erkennen.
Die Baumwollfaser brennt ähnlich wie der Flach, j
mit heller, rasch weitergehender Flamme, die Asche» |
rückstände sind meistens schon durch den Zug der 1
Flamme verflogen. Brandgeruch wie verbranntes Pa, 1
pi«r. Baumwolle gibt bei Reißproben einen dumpf« |
Ton, die Faserenden sind leicht gekräuselt. Auch die z
Drehprobe ist wichtig: Baumwollfasern können nie ]
länger als 4 Zentimeter sein. Wenn sich also beintg
Aufdrehen des Fadens längere Fasern ergeben, tann 1
es niemals Baumwolle sein. Als Besonderheit ist jti
beachten, daß Baumwolle (im Gegensatz zu Flachs) ]
m der Faser sehr gleichmäßig ist und wärmeren Griff |
hat. Mercerisierte Baumwollgarne oder Gewebe ha- 1
ben einen gewissen Glanz.
Die Brennprobe am Wollfaden ist besonders interes-1
sank. Wolle brennt nicht mit offener Flamme, sonder» j
schmilzt gewissermaßen zusammen. Di« Asche ist ein 1
blasenartiges Gebilde. Beim Verbrennen riecht sie noch
verbranntem Horn. Wolle zerreißt mit einem noch 1
weicheren Ton als Baumwolle. Die stehenbleibende» g
Fäserchen sind noch krauser als bei Baumwolle. Die I
Wollfaser ist kaum an der Faserlänge feftzuftellen, da I
sie sehr lang ist und nur schwer, ohne zu reißen, aus J
dem Faden genommen werden kann. Längere FaserD
deuten auf Kammgarn, kürzere auf Streichgarn hin. |
Alle Wollerzeugnisse fühlen sich warm an. Wollene V
Strickgarne sind besonders voluminös.
Auch Seide läßt sich auf di« gleiche Weise prüfen. 1
Beschwerte Naturseide verbrennt mit kleiner Flamme!
und hinterläßt gewissermaßen di« versengte Struktur I
des Gewebes. Unbeschwert« Naturseide hinterläßt da-
gegen, ähnlich wie Wolle, blasige und harte Asche, i
Brandgeruch, im Gegensatz, zu Kunstseide, nach Horn! *
Fäden aus Naturseide zerreißen mit sehr hellem Ton, 1
da der Naturseidenfaden aus endlosen Fäden besteht,
die sich dadurch nicht auseinanderziehen können, son- ]
dern alle zerreißen. Eben wegen dieser endlosen Fä- -
den wird die Drehprobe bei der Naturseide immer we- =
nig Ergebnisse erzielen. Die Unterschiede zwischen be- i
schwerter und unbeschwerter Naturseide werden jedem, ■
der beide Stofforten einmal nebeneinander vergleicht, ’
sofort auffallen.
Und nun zu den „neuen" Stoffen, zuerst zur Kunst- i
seide, Viskosekunstseide und Kupferkunstseide brennen
wie Baumwolle. Acetatkunstseide schmilzt in den mei« s
sten Fällen zu einer schwarzen, harten Kruste bei leich¬
tem Geruch noch Essigsäure. Nitratkunstseide brennt
ebenfalls wie Baumwolle. Kunsffeide zerreißt wi« Na» i
turfeibe mit Hellem Klang, do die Fasern ja auch end» i
los sind. Die Einzetfäden spreizen sich. Bei der Dreh- s
probe gilt das gleiche wie bei Naturseide.
Wird Zellwolle der Brennprobe unterworfen, so
zeigt sich, daß sie genau so brennt wie die Kunstseide des •
«leichen Herstellungsverfahrens, also „Zellwolle nach ;
dem Viskoseverfahren" wie Biskosekunstseide, „Zellwolle i
nach dem Kupferverfahren" wie Kupferkunsffeide, ,L«ll» s
wolle nach dem Acetotverfahren" wie Acetatkunstseid«.
Zellwolle zerreißt ähnlich wie Baumwolle mit dump¬
fem Ton. Di« stehenbleibenden Fäserchen sind je nach
dem angewandten Spinnverfahren mehr ober weniger
lang unb bick. Versuche an ber ga,erlange kann man
bei Zellwolle nicht zu Dergleichszwecken aufstellen, da
die Fasern in allen Längen, je nach dem Derwendungs- '
zweck, hergestellt werden. Zellwolle ist besonders schwer
von anderen Rohstoffen zu unterscheiden.
gezogen — zu Hause oder im Gebirge diese Tracht
anlegt, wird sie damit nicht zum „Salondirndl", weil
ihr trotz ihres städtischen Lebens nicht das Gefühl dafür
verloren gegangen ist, daß eine Tracht in ihrer Ge¬
bundenheit geachtet werden muß und nicht nach modi-
schen Grundsätzen behandelt werden darf.
Diese Sicherheit des Geschmacks, das Gefühl für
das Schöne und Maßvolle, ist der rote Faden tat ge¬
samten Modeschasfen Wiens. Die Rückkehr Wiens ins
Reich wird daher unser Streben nach gediegener Hand-
werksarbeit in allen Dingen unseres persönlichen Le¬
benskreises durch sein Vorbild fördern, und das in den
tefeten Jahren wieder erwachende Vertrauen zu unse-
Handwerkern stärken und unterstützen.
Auf Goethes Spuren in Torbole
Alles noch wie vor 150 Zähren
»Wie sehr wünschte ich meine Freunde einen Au¬
genblick neben mir, daß sie sich der Aussicht freuen
könnten, die vor mir liegt---". Ich stehe am
Fenster des Hauses in Torbole, wo Goethe am 12.
September 1786 diese Zeilen schrieb. Vor mir liegt
der tiefblaue Gardasee, dessen Wellen die Ora, der
täglich zur gleichen Zeit einsetzende Südwind, aufwühlt.
Den einzig schönen Blick hat Goethe gezeichnet — bis
auf die beiden roten Häuser rechts am Hafen und die
neue breite Straße, die sich am See hinaufzieht, ist
alles noch so wie vor hundertfünfzig Jahren. Das steil
abfallende Gebirge von Campione leuchtet im Süden in
der Sonne, der Monte Brione steigt hinter den Zitro¬
nengärten von Limone steil in die Höhe, rotbraune Se¬
gel stehen gegen den hellen Himmel auf dem dunklen
See.
Der Dichter hatte im Gasthof zur Rose Quartier
genommen beim gemütlichen Signor Alberti, dessen
Urenkelinnen noch jetzt das Haus bewohnen und das
Goethezimmer als kostbaren Schatz hüten. Ob man es
sehen dürfte, hatten wir den Zeitungshändler gefragt
— er wisse es nicht, es sei „private", das Haus Alberti.
Aber das freundliche, kleine Dienstmädchen, das auf
unser Klopfen dort erscheint, kommt nach kurzer Zeit mit
der frohen Botschaft wieder, daß wir willkommen feien.
Ehrfürchtig betrete ich den halbdunklen Raum im ersten
Stock — ein deutscher Maler hat dort nebenan schon
seit 30 Jahren sein Heim aufgeschlagen. Als die Lä¬
den geöffnet werden, flutet die Sonne über ein breites
Bett mit rötlicher Steppdecke, über ein ungemein zier¬
liches eingelegtes Nachttischchen, über den einfachen
Waschtisch in der Ecke, der von einem verblichenen Vor¬
hang umgeben ist. An der Wand Bilder, Zeichnungen:
Nehmen wir zuerst Flachs-Leinen. Flachs brennt
mit heller, schnell weitergreisender Flamme. Aschen-
rüdftänbe hinterbleiben kaum, der Geruch fft wie bei
verbranntem Papier. Bei ber Reißprobe zeigt sich, daß
die Leinenfaser verhältnismäßig fest ist und mit hel-
lern Ton zerreißt. Die gerissenen Enben sind verhält-
nismäßig glatt, die dennoch zu sehenden Fäserchen
fang unb glatt. Die beim Aufdrehen des Fabens her-
auszunehmenben Faferbiindel sind bei Flachs bis 10,
die einzelnen Fäserchen ungefähr zwei Zentimeter lang.
Vorsichtiges Vergleichen kann allerlei Aufschluß geben.
Läßt man Seinen durch die Hand gleiten, so zeigt sich,
daß sich bas Gewebe kühl anftihlt. Im Garn "
Geschwätz, ein Geschrei und haben alle zualel» ,
SU tun, etwas zu schaffen - ich habe noch k»« 'S
ges Weib gesehen ..." So ist es noch fjeute -
ders die waschenden Weiber unten am See f;„x °n‘
köstliches Bild. |lnb ei,
Zwei kleine Gäßchen gehen nach verschieben-»
ten des Dorfes. Wir schreiten in der abendlichen '
zwischen efeubewachsenen Steinmauern die alte «t ?
nach Nago hinaus, bis wir die hochgelegene Barocks
erreichen. Auf der mit Cypressen und Oliven bw*
denen Terrasse hat man einen einzigschönen Blick
See und Berge und das fruchtbare Land. Unabsekk.^
Rebenreihen, darunter Mais und Weizen, dann wi
Maulbeerbäume, Weiden und die phantastisch gefan».
Olioenbäume, deren Silbergraugrün so gut jum
wahrscheinlichen Blau des Sees steht. Etwas w-,S
oben ist der Punkt, von dem aus Goethe zum erft
M°l« tn bas eigentliche Italien hineinschaute und
ganzen Zauber des Südens voll empfand. Wie »„2
gedenkt man an diesem linden Abend seiner aus tut
ftem Herzen kommenden Worte: „Und nun roenn
Abend wird, bei der milden Luft wenige Wolken 2
den Bergen ruhn, am Himmel mehr stehen als jieb~ =
und gleich nach Sonnenuntergang das Geschrill« h2
Heuschrecken laut zu werden anfängt, da fühlt man iu
einmal in der Welt zu Hause und nicht wie aebnr2
oder im Exil . . . H
Rose Dittmann-o. Aichberger.
Stauen in USA.
Srauenftjpen durch die Landschaft bedingt — Gegensätze in Stadt und Land
Von keinem anderen Land der Erde gibt es so viele
sich widersprechenden Berichte, wie gerade von den Ver¬
einigten Staaten von Nordamerika Wen wir von den
alleroberflächlichsten Erzählungen absehen, so ist doch
so ziemlich alles wahr, was wir über das Land ber
Wolkenkratzer unb enbtofen Ebenen hören. Mit einer
Einschränkung: jeher Bericht ist nur für ben kleinen Teil
dieses riesenhaften Landes wahr, von bem er zufällig
fjanbclt. Die vielen falschen Vorstellungen, bie über
Amerika herrschen, entstehen teilweise baburch, daß bie
meisten Stubienreifenben nicht weit über Newyork hin-
auskommen, höchstens noch bie großen Stabte bes Ostens
kennenlernen, unb bann bas, was sie sahen, als für
ganz Amerika gültig hinstellen Sie denken nicht daran,
daß sie ein Land vor sich Haden, in dem z. B. die Reise
von ^Newyork nach Los Angeles siebenmal oierundzwan-
zig Stunden dauert, d. h. genau so fang, wie wenn wir
von Berlin nach Teheran fahren wollten. Wie un-
fintaiZ wäre es, wollten wir zum Beispiel die Lage der
Frau in London studieren und dann behaupten, daß
sie bezeichnend für die Frau in ganz Europa und einen
guten Teil Asiens fei! Soviel ist natürlich richtig, daß
sich eine gewisse Gleichartigkeit der Haltung,
ja ber Kultur in bem ganzen norbamerikanischen Erb-
teil entwickelt hat, von Mexiko abgesehen, besten Sied-
ler sich mit den Eingeborenen vermischten und eine in»
bionisch-spanische Bauernkultur hervorgebracht haben.
Jeboch flnb ben einzelnen amerikanischen Gebieten ge¬
mäß sehr oerschiebene Frauentypen unb
Frauenschicksale in diesem Land vereint.
Die ältesten Siedlungsgebiete liegen im Osten unb
im Süden ber Vereinigten Staaten. Während der pro¬
testantische Osten mehr bäuerliche Siedlungen hervor¬
brachte, entwickelten sich im Süden die großen Baum¬
wollplantagen mit der weißen Frau als Herrin des
weitläufigen Betriebes. Im Kern sind jene alten bauer»
lichen Gebiete heute noch dort erhalten, wo die Aus-
dehnung der Städte sie nicht aufgeschluckt hat, und die
Frau ist dort eben, wie in anderen bäuerlichen Gegen-
den der Erde, bie treuforgenbe Hausmutter,
die allerdings bei weitem nicht mit so viel schwerer
Landarbeit belastet ist, wie etwa unser« Landfrauen.
Sogar das Versorg«» des Viehs und das Melken wird
in vielen Gegenden vom Mann besorgt. Im Haus selbst
sorgen Pumpen für eine ausreichende Wasserzufuhr.
Elektrizität wird selbst erzeugt oder von Fernzentralen
geliefert, und so ist auch die Landfrau frei für mancher¬
lei Sereinstätigteit, obwohl natürlich die Dorratswirt¬
schaft unb einige herkömmliche Hausindustrien, wie die
Herstellung von dünnen, bunten Steppdecken, mehr Hin¬
gabe an den häuslichen Kreis von ihr fordern, als von
der Stadtfrau.
Je mehr wir uns jedoch von dem dichtbesiedelten
Osten entfernen, desto mehr geraten wir in gänzlich ab¬
geschlossene Gebiete, bereit Vorhandensein wir in dem
für unsere Begrife so durch unb durch „zivilisierten"
Amerika nicht vermuten würben. Es gibt in Ken¬
tucky halbbäuerliche Siedlungen, die kaum mit der
Außenwelt in Verbindung standen, und die man erft
ganz allmählich der Zivilisation erschließt. Zu betonen
ist Zivilisation, denn kulturell betrachtet sind diese
Siedlungen durchaus nicht tiefstehend, sie haben ihren
eigenen Volkslied- und Balladenschatz, ihre eigenen reli¬
giösen Gebräuche. In diesen Siedlungen hat es die
Frau sehr schwer. Sie zieht den Pflug gemeinsam mW
dem Mann, ist Aerztin chrer Familie und bringt ihre
Kinder meist ohne jede Hilfe zur Welt. Erst in aller-
neuester Zeit hat man berittene Schwestern in
diese Gebiete geschickt, die den Frauen helfen sollen unb
oft auch kranke Kinder in die hunderte von Meilen ent¬
fernten Krankenhäuser bringen.
Die Grenze ber Vereinigten Staaten, das heißt die
Grenze ber benebelten Gebiete, hat sich in jüngster Ver¬
gangenheit nach bem Westen hin ausgedehnt, in einem
Kampf gegen ein hartes Klima, gegen Urwald unb
Prärie. Diesen Kampf hat die amerikanische Frau als
gleichwertiger Gefährte neben dem Mann
ausgefochten. Was zu einem Teil die große Hochschät-
zung erklärt, die der amerikanische Mann der Frau ent¬
gegenbringt, die Höflichkeit und Schonung, mit der er
sie umgibt.
Die Frauen der Großstadt dagegen haben viel von
diesem Pioniergeist der Farmerfrau verloren. Diele von
ihnen sind ja auch — und bas dürfen wir bei einer
Beurteilung nie vergessen — schon als Entwurzelte
nach Newyork und in andere groß« Städte gekommen
und haben nur die Früchte genossen, die bas groß«
Opfer unb bie Entsagungen ber Pionierfrauen hervor»
brachten. So flnb jene Zierpuppen entstanden, die
der SSergnügungsreijenbe auf Fisch Avenue bewundert,
oder die uns oft der Hollywoodfilm vor Augen führt.
Jedoch ist auch die amerikanische Stabtfrau bewunderns¬
wert rührig und leistet oft Unmenschliches. In einem
Wirtschaftssystem, das nur auf den größtmöglichen Ver¬
dienst weniger Leute zugefchnitten ist, muß auch die
Frau einfach schaffen, denn Frauenlöhne sind niedriger
als Männerlöhne, und so ergibt sich bas auch aus der
Systemzeit so wohlbekannte beöagensroerte Bilb, baß
die Frau bie Familie erhält, während ihr
Mann unb ihre Söhne arbeitslos sind Sie sind be¬
rufstätig, versorgen nebenher ihren Haushalt,
der genug Arbeit bereitet, unb haben dabei immer noch
Zeit in chren Vereinen unb Klubs wertvolle sozial«
Arbeit zu leisten. Natürlich hat diese Ueberlastung
der Frau beklagenswerte bevölkerungspolitffche Folgen,
unendlich viele Kinder bleiben ungeboren, und immer
mehr warnende Stimmen erheben sich im Interesse des
Volksganzen. Ob Amerika stark genug fein wird, ben
weltanschaulichen Wandel burchzumachen, der allein auch
auf diesem Gebiet eine Lösung bringen würde, bleibt
abzuwarten. Aber es ist sicher, daß ein solcher Wandel
für Amerika notwendig ist und einmal kommen wird.
Felicitas Daniel».
5