Full text: Fuldaer Zeitung (1938)

Amtliches Kreisblatt 
Fuldaer Zeitung Nr. 293 
Mittwoch, den 21. Dezember i 
Wettlauf mit -em weißen To- 
Aus -em Fahrtenbuch von Knud Rasmussen - Non Grönland nach Alaska 
Begegnung mit dem „Baler der Eskimos" 
Dor fünf Jahren haben die Eskimos ihren besten 
Freund und Jagdgefährten verloren. Knud Ras¬ 
mussen, im ganzen Norden als „Vater der Es¬ 
kimos" bekannt, starb nach der Rückkehr aus dem 
Grönlandeis. — Unser Mitarbeiter begegnete dem 
dänischen Forscher in einem isländischen Hafen und 
schildert hier seine letzte Ausreise. 
Es gibt nicht viele Menschen, die zum Vergnügen 
nach Island fahren. Vielleicht sind die Wetterberichte 
daran schuld. Denn Island ist die Heimat der Stürme 
und berüchtigten „Tiefs", man muß bei dem Namen 
gleich an Seekrankheit denken. Selbst mutige Nord¬ 
landfahrer suchen sich für die Ueberfahrt einen mög¬ 
lichst großen Dampfer aus. 
Um so verständlicher war meine Ueberraschung, als 
ich eines Tages im Hafen von Reykjavik ein kleines, 
blitzsauberes Schiffchen entdeckte, das sich neben den 
tranbefleckten und verrosteten Fifchdampfern sonderbar 
ausnahm. Bald faß ich mit dem Mann zusammen 
der in dieser Nußschale über den Ozean geschaukelt war. 
Er erzählte jedoch wenig von der aufregenden Fahri 
und nahm nicht einmal die Pfeife aus dem Mund, als 
er so nebenbei oemerkte, daß er noch weiter ins ewige 
Eis nach Grönland wolle. 
Areund aller Eskimos 
Ich wagte nicht, an seinen Worten zu zweifeln. 
Ausrüstung der anderen Polarforscher. Mit dem Jagd¬ 
gewehr verschaffte er sich auf seinen Schlittenfahrten die 
nötige Wegzehrung. Er verstand es, „vom Lande zu 
leben" und reiste so einfach wie seine Eskimofreunde, 
die sich glücklich schätzten, wenn er sie in ihren beschei¬ 
denen Iglus, den Schneehäusern, besuchte. So erhielt 
er den Beinamen „Vater der Eskimos" und ist für 
immer mit der Geschichte des Kleinen Jägervölkchens 
verbunden. 
Von Knud .Rasmussen erfuhr ich zum erstenmal, 
daß es in Grönland, genau genommen, keine richtigen 
Eskimos gibt. Die dortigen Eingebyrenen haben sich 
stark mit den ansässigen Dänen vermischt. Sie nennen 
sich Grönländer und finden das besonders vornehm. 
Bei ihnen hat die Zivilisation mit allerlei wertlosem 
Tand längst Einzug gehalten. 
Strapazen und Gefahren 
Rasmussen hielt sich meistens bei einem kleinen 
Stamm von Polareskimos im äußersten Norden von 
Grönland auf. Mit einem Hundeschlitten und zwei Es¬ 
kimos als Begleitern zog er im Jahre 1923 längs der 
Nordküste Kanadas nach Alaska. Seit Menschengeden¬ 
ken war keine ähnliche Schlittenreise unternommen 
worden. Sie dauerte über ein Jahr. Mehr als 10 000 
Kilometer wurden zurückgelegt, das entspricht der Luft¬ 
linie Berlin—Tokio. 
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Mussolini weitste die neue Stadt Carbonia 
Unser Bild zeigt einen Blick aus die neue Stadt Carbonia, die Mussolini mit einer längeren 
Rede einweihte. (Weltbild, Zander-Multiplex-K.) 
Denn dieser Mann in dem abgetragenen, schäbigen 
Oelmantel war Knud Rasmussen, der bekannte Grön¬ 
landforscher und Freund aller Eskimos. Nein, ich 
brauche nicht zu fragen, weshalb er so gern nach dem 
stürmischen Norden fuhr. Auf ihn machte diese rauhe 
Gegend immer einen prächtigen Eindruck. Die kalten 
Polarländer waren ihm längst zur Heimat geworden. 
Knud Rasmussen hatte ja selbst etwas Eskimoblut in 
den Adern, seine Mutter war Grönländerin. Zwischen 
den Eisbergen der Arktis, in Schneesturm und Polar¬ 
kälte verlebte er seine Jugendzeit. Er kannte die Sit¬ 
ten und Bräuche der fernsten Polarstämme und konnte 
sich mit jedem Eskimo mühelos unterhalten. Der an¬ 
geborene Wandertrieb seiner Ahnen ließ auch ihn nicht 
zur Ruhe kommen. 
Aber Knud Rasmussen brauchte nicht die kostspielige 
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Die schnellste elektrische Lokomotive 
der Welt 
Im AEG-Werk in Berlin-Henningsdorf wurde 
die 5000. elektrische Lokomotive sertiggestellt und 
im Rahmen einer Betriebsseier der Deutschen 
Reichsbahn übergeben. Diese modernste und 
schnellste elektrische Maschine der Welt erreicht 
eine Geschwindigkeit von 225 Kilometer in der 
Stunde. (Atlantik, M.) 
Der Polarforscher sprach ungern von den Strapazen 
und Gefahren seiner weiten Reisen. Doch seine Tage¬ 
bücher erzählen genug. Eins der bekanntesten Werke des 
Forschers, „In der Heimat des Polarmenschen" schildert 
seine schwerste Zeit an der Nordküste Grönlands. Auf 
dieser Reise wurde Rasmussen zum erstenmal vom 
Jagdglück verlassen. Als er nach langer Schlittenfahrt 
mit seinen tapferen Begleitern an der Küste des Nörd¬ 
lichen Eismeeres stand, war der Priviant fast aufge¬ 
zehrt Die Männer hatten den Angaben einer ameri¬ 
kanischen Karte vertraut und glaubten hier gute Jagd- 
möglichkeit zu finden Jetzt zeigte sich, daß das ganze 
Land mit Eis bedeckt war. Ein verhängnisvoller Irr¬ 
tum! Nirgends eine Spur von Wild! Nur in den offe¬ 
nen Eismeerfjorden zeigten sich bisweilen Köpfe von 
Seehunden. Aber man konnte nicht zu ihnen gelangen. 
Sobald sie den tödlichen Schuß erhielten, sanken sie 
wie Steine in die Tiefe. 
Alles für die Wissenschaft 
Schleunigste Umkehr hätte das Schlimmste verhüten 
können. Aber die Männer dachten nur an ihre For¬ 
schertätigkeit. Für die Wissenschaft schien ihnen kein 
Einsatz zu hoch. Als sie die Arbeit beendet hatten, waren 
ihr« Körper vom Hunger geschwächt und den koinmen- 
Die verlorene Welt 
Der verstorbene englische Schriftsteller Conan Doyle, 
dem wir die Figur des Meisterdetektio« Sherlock Holmes 
verdanken, schrieb einmal eine Geschichte von der „Ver¬ 
lorenen Welt", die von Dorzeit-Ungeheuern bevölkert 
war; man hat sich niemals träumen lassen, daß eines 
Tages eine wirkliche verlorene Welt gefunden werden 
würde. Conan Doyle verlegte den Schauplatz feiner 
Erzählung nach dem Mount Roraima in Venezuela. 
Heute hat man in geringer Entfernung von diesem Berg 
ein Gebiet entdeckt, in dem wirklich noch alle möglichen 
unbekannten Tierarten vorhanden sein können. Zwei 
amerikanische Expeditionen haben diese „verlorene Welt" 
aufgesucht, die eine, um geologische und tierische Ent¬ 
wicklung zu erforschen, die andere, um einen sagenhaften 
Goldstrom zu finden. Die verlorene Welt, Auyantepui, 
erreicht man erst, wenn man 2000 Meter hohe Felsen 
erklettert hat, über die mächtige Wasserfälle brausen. 
In dem bisher durchsuchten Bereich haben die Forscher 
Flüsse, tiefe Schluchten und geheimnisvolle Steinbildun¬ 
gen gesunden sowie ein großes Gebiet, das durch 
hohe Mauern abgeschlossen ist. Hinter diese Mauern 
sind die Expeditionen noch nicht vorgedrungen. Dort 
ober soll der Goldstrom stießen. Die Goldsucher be¬ 
gründen ihre Hoffnungen auf die Erzählung eines Mon¬ 
den Strapazen kaum noch gewachsen. Der Rückmarsch 
über das Inlandeis war ein erbitterter Wettlauf mit 
dem weißen Tod. Nebel lind Schneestürme erschwerten 
das Dorwärtskommen Noch weit vom Ziel mußte der 
letzte Schlittenhund geschlachtet werden. Als wieder 
festes Land erreicht war, ging ein Grönländer auf die 
Jagd und kehrte nicht mehr zurück. Mit zerfallenen 
Gesichtern und frostzerstörten Gliedern erreichten die 
übrigen Männer eine menschliche Ansiedlung. Noch ein¬ 
mal griff der Tod in ihre Reihen. Kurz vor dem Ziel 
erlag ein Forscher den unmenschlichen Strapazen der 
Fahrt. 
Knud Rasmussen ließ sich jedoch niemals entmuti¬ 
gen. Stets fuhr er von neuem nach Norden. Im Som¬ 
mer 1933 drehte er einen Eskimofilm an der Ostküste 
Grönlands, der später auch in Deutschland viel Beifall 
fand. Aber Rasmufsen sollte die Uraufführung nicht 
mehr erleben. Schwerkrank wurde er an Bord des 
heimkehrenden Polarschiffes geschafft. Sein abenteuer¬ 
liches, wildbewegtes Leben fand unverhofft einen trau¬ 
rigen Abschluß. Am 21. Dezember des gleichen Jahres 
starb er in einem Krankenhaus zu Kopenhagen an den 
Folgen einer Fleischvergiftung. In den Schneehütten 
des hohen Nordens warten die Eskimos vergeblich auf 
die Wiederkehr ihres Freundes . . . Rudolf Jacobs. 
nes, der 1921 den Goldfluß gesehen haben will. Bisher 
ist es jedenfalls noch ein Rätsel, was sich hinter den 
geheimnisvollen Mauern verbirgt. 
Was kostet eine kalte Nase? 
Mit dieser Frage hatte sich ein Zioilrichter von Man¬ 
chester, England, ernsthaft zu befaßen. Eine Dame in 
den fünfzitzer Jahren forderte ihn auf, ihre Nase an- 
zufassen. Er tat es und fand, daß die Spitze des Riech- 
organs kalt war. Die Ursache dieser Kälte bestand in 
einem Auto Unfall, der sich vor einiger Zeit bei Stock¬ 
port ereignet hatte. Und weil die Dame meinte, sie 
wäre an dem Unfall unschuldig und ein gewisser Arnold 
Dutton hätte sie mit seinem Wagen angefahren, forderte 
sie als Entschädigung für das Kältegefühl in der Na¬ 
senspitze 450 Pfund Sterling. Dem Richter schien diese 
Summe nun doch etwas zu hoch und er vertagte die 
Verhandlung. 
Ein Fanatiker des Badens 
Eine der merkwürdigsten Persönlichkeiten Frank¬ 
reichs, der Marquis von Chatellons, hatte eine Leiden¬ 
schaft fürs Baden. Als er feine Güter erbte, ließ er 
zunächst im Schloß 200 Badezimmer anlegen und ver¬ 
brachte dann 18 Stunden des Tages damit, von einem 
Badezimmer zum andern zu gehen, während feine Die¬ 
ner den ganzen Tag Kübel voll Wasser herbeischleppen 
mußten. Drei Jahre lang lebte er so, dann kam ihm 
der Gedanke, daß er ebenso gut im See baden könne. 
Und er stürzte sich in das kalte Wasser. Um die Früh¬ 
stückszeit rief er seinen Dienern zu, daß er künftig nur 
noch eine Mahlzeit täglich einnehmen wolle, und zwar 
auf dem See. Man solle drei Flöße bauen lassen und 
ihm darauf das Essen hinausschieben. Von nun an 
speiste er also täglich mitten im See und ließ sich Essen 
und Trinken schmecken, während er munter im Wasser 
plätscherte. Er war auch ein großer Freund der Son¬ 
nenbäder. Aber alles, was Kleider hieß, haßte er. — 
Als er starb, fand sich in feinem Testament die Bestim¬ 
mung, daß er in einer marmornen Badewanne begra¬ 
ben sein wolle. 
EntfesselungskBnstler von Einbrechern 
gefesselt 
In einem Darietö in Brüssel wurden die Leistungen 
eines Entsesselungskünstlers lange Zeit bestaunt. Die 
kräftigsten jungen Burschen wurden auf die Bühne ge¬ 
holt, um den starken Mann in Ketten zu legen. Lächelnd 
befreite sich der Muskelheld der Fesseln, als wäre bas 
für ihn ein Kinderspiel. Kürzlich wurde bei Nacht in 
die Wohnung des Artisten eingebrochen. Die Diebe 
überfielen den Entsefselungskünstler und feffelten ihn. 
Erst am nächsten Morgen, als der Einbruch von den 
Nachbarn entdeckt wurde, konnte der Artist aus feiner 
Zwangslage befreit werden. In Brüssel fragt man sich, 
was eine solche Kunst nützt, wenn man sie im Ernstfall 
nicht verwerten kann. 
Der Sturz vom Schornstein 
Wenn einer Pech hat, fällt er vom Stuhl und ist 
tot, sagt der Volksmund. Wenn einer Glück hat, fällt 
er vom Schornstein und lacht dazu, könnte man hinzu¬ 
fügen. Ein solcher Fall wird aus Jugoslawien gemeldet. 
In einem dortigen britischen Bergwerk stürzte ein An¬ 
gestellter von einem 45 Meter hohen Schornstein herab. 
Lächelnd und wegen des Zwischenfalles um Verzeihung 
bittend erhob er sich von der Erde. Er hatte nur leichte 
Quetschungen erlitten. 
„Dunkle“ Predigten 
Einen viel umstrittenen Effekt hat sich der Gtttboner 
Pfarrer Baker für feine nächsten Abendpredigten in der 
Stephanskirche ausgedacht. Die Gemeinde soll während 
der folgenden drei Sonntagabend-Gottesdienste im Dun¬ 
keln sitzen. Diese äußere Finsternis hat der Pfarrer des¬ 
halb als Rahmen für feine Predigten bestimmt, weil 
diese gleichfalls das Thema der Finsternis behandeln. 
Die Titel der Predigten heißen: „Eine finstere Welt", 
„Das Licht in der Welt", und „Der dunkle Fleck in der 
menschlichen Seele"! 
Nom Rennmonteur zum Meisterfahrer 
ü^m Hermann Lang 
1929 hatte ich mir soviel gespart, daß ich mir eine 
alte Klamotte kaufen u. selbst zurechtmachen konnte. Da¬ 
mals haben wir Tag und Nacht gebastelt, um das Ding 
bis zum Solitude-Rennen rechtzeitig fertigzubekommen. 
Damals als ich zum ersten Male in einem Rennsattel 
stieg, schlug mir aber das Herz doch etwas schneller. Ich 
war 18 Jahre alt. Die Solitude-Rennstrecke umsäum¬ 
ten viele meiner Bekannten, Schulfreunde, Verwandte, 
Arbeitskameraden. Da wollte ich mich natürlich nicht 
blamieren. Am Abend des Renntages aber hatte ich 
meinen ersten Sieg hinter mir. Ich hatte Blut geleckt 
und Appetit am Tempo bekommen und erhielt auf 
Grund meines ersten Erfolges eine Fabrikmaschine, mit 
der ich bann häufiger Rennen fuhr. Wochentags hieß 
es im Werk arbeiten, aber Samstag und Sonntag ging 
es bei manchem Rennen an den Start, und in der Frei¬ 
zeit wurde gebastelt, um die Maschine richtig vorzube¬ 
reiten. Aus kleineren Rennen wurden größere. Ich 
startete in der Schweiz, in Oesterreich, und die Erfolge 
sind ganz gut, die ich dabei erringe Ich komme vor¬ 
wärts, langsam, aber sicher: werde Bayerischer Berg¬ 
meister und dann sogar Deutscher Bergmeister für Kraft- 
rüder mit Seitenwagen. Daheim mehren sich die Sie- 
gespokale und Plaketten, und von mir aus könnte es 
so weitergehen, langsam, Schritt für Schritt. Aber wie 
das Leben so ist — es gibt auch Rückschläge, die man 
Überwinden muß. 1931 gibt das Werk, für das ich ver¬ 
pflichtet bin, den Rennbetrieb auf, und ich sitze auf der 
Straße. 
Neu anfangen also. Das ist 1931, zur Zeit der deut¬ 
schen Wirtschaftskrise, der Arbeitslosigkeit, des Nieder¬ 
ganges auf allen Gebieten. Verdammt nicht einfach! 
Ich bin Motor-mschlosser, und ich habe was gelernt. 
Aber es gibt in Deutschland zu dieser Zeit viele Mo¬ 
torenschlosser, die etwas gelernt haben und keine Arbeit 
finden Ich muß mir eben anders helfen. Zupacken 
muß man in solch einer Lage, und wenn man gesund 
tft und starke Arme hat, bann kann man alles tun, ohne 
sich dabei eine Zacke aus der Krone zu brechen. Damals 
habe ich ein „Feldbähnle" in einer Kiesgrube gefahren 
— als Lokomotivführer sozusagen. Habe hier und dort 
geholfen, Fliesen gelegt und, wo es ging, mich nützlich 
zu machen versucht. Und trotzdem, ttotz meinen starken 
Armen, trotzdem ich ein junger, gesunder Mensch war, 
bin ich immer wieder arbeitslos gewesen, und heute 
noch verwahre ich mir daheim di« Stempelkarten von 
damals als Erinnerung an meine schwerste Zeit und als 
Mahnung, nicht übermütig zu werden. 
Daß ich mir diese Karten aufbewahre, ist ein Zei¬ 
chen dafür, daß ich mir keine Zeit meines Gebens aus 
der Erinnerung streichen will. Auch die damals nicht, 
in der es gar nicht so aussah, als ob aus Hermann 
Gang einmal ein bekannter Rennfahrer werden sollte. 
Schon damals hat mir meine spätere Frau beigestan¬ 
den, und ich habe gemerkt, daß es gut ist, einen Kame¬ 
raden im Geben zu haben, auf den man sich in jeder 
Lage verlassen Fann. 
So ging auch diese Zeit vorüber, und als 1933 
Deutschland wieder erwachte und die Motorisierung ih¬ 
ren mächtigen Aufftieg begann, da kam auch meine 
Stunde. Ich bewarb mich bei der Daimler-Benz AG. 
als Maschinenschlosser. Man prüfte meine Zeugnisse, er¬ 
innerte sich meiner Leistungen als Motorradrennfahrer, 
und so stand ich eines Tages bei Meister Kraus in der 
Rennwagenversuchsabteilung. 
Das war etwas für mich. Hier war ich wieder bei 
meinem Fach, und noch dazu vereinten sich Mechaniker- 
Handwerk und Rennbetrieb. Ich hatte das Richtige ge¬ 
troffen. Arbeiten war die Parole! Feste arbeiten! Die 
neuen Rennwagen, die 1933 in Angriff genommen wur¬ 
den, mußten fertiggemacht werden, und da hieß es mon¬ 
tieren, probieren und wieder montieren. Ich kam mit 
nach Monza, wo die Wagen zum erstenmal ausprobiert 
wurden, und dann standen wir am Start zum ersten 
Rennen, und ich war Fagioli als Mechaniker zugeteilt 
Fagioli, damals einer der großen Sterne am Rennfah¬ 
rerhimmel, einer der besten aus Italiens Fahrerelite. 
Daß ich auch einmal ein solcher Rennfahrer werden 
sollte, daran dachte ich damals in keinem Augenblick. 
Wohl fuhr ich den Rennwagen aus der Garage 3um 
Startplatz und wieder zurück. Wohl sah ich, wie Fagioli 
es machte, lernte unbewußt eine ganze Menge und 
wußte nicht nur Bescheid um alles das, was mit einem 
Rennwagen zusammenhängt, sondern hatte ja auch man¬ 
chen Tropfen eigenen Schweißes in die Wagen gesteckt. 
Es ist gut, immer gut, wenn man von der Pike auf an« 
fängt. Da bekommt man ein festes Fundament an 
Kenntnissen; auf die kann ich mich heute noch stützen. 
Eines Tages meinte bann Meister Straus, daß ich 
solch einen Rennwagen auch selbst einmal ausprobieren 
könne. Aber wenn ich diesen Gedanken auch als sehr 
verheißungsvoll empfinden mußt«, jo war der Weg bis 
zu feiner Verwirklichung doch noch lang, der Weg, bis 
Rennleiter Neubauer kurz vor den Nachwuchsproben 
1935 in der Rennabteilung anrief und erklärte: „Gang, 
wir fahren morgen zu Versuchsfahrten ab, Sie kommen 
mit und sollen in Monza auf einen Wagen kommen." 
Ich habe mir gesagt: „Versuch's; mehr als dich wie¬ 
der 'rausnehmen, können sie nicht, pack die Gelegenheit 
beim Schopf. Die Geschichte ging ganz gut. Wenn auch 
Neubauer nichts sagte und ich weiter als Rennmonteur 
von Rennbahn zu Rennbahn rnitfuhr, so wurde ich doch 
jetzt hier und da in einen der Wagen gesetzt und konnte 
immer einmal in den Trainingspausen ein paar Run¬ 
den drehen, um mich mit Wagen, Strecke und Tempo 
vertraut zu machen. Mit mir freuten sich über jeden 
Fortschritt meine Kameraden, die anderen Monteure. 
Sie waren stolz darauf, als ich zum ersten Male als (Er- 
satzsahrer gemeldet war. Sie waren stolz dar¬ 
aus, daß einer von ihnen sich in die Front der Renn¬ 
fahrer vorarbeitete. Ich, einer von ihnen, der auch im¬ 
mer einer von ihnen bleiben wird. 
Mein erstes Rennen war dann 1935 das Eifel¬ 
rennen. Komm ans Ziel und schmeiß den Wagen nicht 
um, habe ich mir gedacht. Tue, was du kannst, aber 
riskiere nicht zuviel, denn damit ist keinem gedient. Ich 
fuhr, was ich konnte und beendete das Rennen an 
fünfter Stelle mit einem Durchschnitt von immerhin 112 
Kilometerstunden. Rennleiter Neubauer war zufrieden 
und ich infolgedessen auch. Ein Jahr später, beim (Eifel¬ 
rennen 1936, holte ich den gleichen Platz. Und dann 
kommt der Große Preis von Deutschland, ein paar Wo¬ 
chen darauf. Meine große Chance scheint da zu sein. 
Ich habe einen vollwertigen Wagen in Händen; ich 
kenne den Nürburgring inzwischen, ich weiß mit der 
Maschine Bescheid, gründlich Bescheid. Der Kampf kann 
beginnen. Die Auto Union ist damals unser großer 
Gegner. Sie hat Bernd Rosemeyer, der von Sieg zu 
Sieg eilt, Bernd Rosemeyer, der noch ein Jahr vorher 
Nachwuchsfahrer wie ich war. 
Wir Mercedes-Fahrer sind zu dritt in diesem Ren¬ 
nen. Caracciola und Brauchitsch gehen mit mir in den 
Kampf, und dieses Rennen wird schwer, wird eine tolle 
Hetze. Caracciolas Wagen will nicht so recht Er muß 
nach einigen Runden aufgeben, und auch bei Brauchitsch 
hapert es. Er kommt über bas Mittelfeld nicht hinaus 
Jetzt muß ich in die Bresche springen. Jetzt kommt es 
darauf an. Ich muh alles ausspielen, was ich habe. 
Born liegt Rosemeyer; dem setze ich nach. Aber In der 
Hetze der ersten Runden passiert mir ein Mißgeschick: 
beim Schalten mache ich eine ungeschickte Bewegung 
und breche mir dabei den kleinen Finger. In der Auf¬ 
regung des Kampfes merke ich zuerst nichts davon. Ich 
hetze den anderen nach, arbeite mich Runde um Runde 
weiter nach vorne, löse mich von dem übrigen Feld und 
habe nur noch Bernd Rosemeyer vor mir. Den muß 
ich holen ober ihm zumindest auf den Fersen bleiben. 
Aber die Schmerzen in meinem Finger werden immer 
stärker. Zähne zusammenbeihen, weiterfahren. Jetzt 
muß ich vor die Boxen, um programmgemäß zu tonten 
und Reifen zu wechseln. Während ich hatte, untersucht 
der Rennarzt meinen Finger — ich muß 'raus aus dem 
Wagen, die Spitze werden gewechselt, Caracciola über¬ 
nimmt das Steuer meines Renners. Immerhin, ich 
habe ihm meinen Wagen in günstiger Position über¬ 
geben, ich habe mein Teil getan. Doch eine Enttäuschung 
bleibt natürlich. Ein verbissener Zom gegen diese kleine 
Tücke des Schicksals, die mir wegen eines gebrochenen 
Fingers die erste große Chance meiner Rennfahrerlauf¬ 
bahn nimmt. Mit geschientem Finger habe ich den 
Wagen von Brauchiffch bann später noch übernommen 
und ihn auf den siebenten Platz gebracht. 
Von diesem Großen Preis an hatte ich bas Gefühl, 
mich durchgesetzt zu haben. Ich habe bet Rennleiter 
Neubauer einen Stein im Brett, und das Vertrauen 
meiner Kameraden stärkte mich. 
Erstes Rennen 1936 ist bann der Große Preis von 
Tripolis. Ich fahre schon zum dritten Male hinüber, 
zum erstenmal aber als Rennfahrer. Ich weiß, in Tri¬ 
polis muß man nicht nur schnell sein, sondern vor allem 
auch vorsichtig. Die Melahastrecke geht verteufelt aufs 
Material und frißt wie ein Raubtier die Reifen. Da 
muß man richtig ausbalancieren, ob man seiner Ma¬ 
schine und seinen Reifen nicht zuviel zumutet, sonst steht 
man mehr vor den Ersatzboxen, als man im Rennen 
sitzt. Der Mann, der damals in der Millionenlotterie 
von Tripolis mein Gos gezogen hatte, mag wenig auf 
mich gegeben haben. Was konnte ihm schon der Name 
Hermann Gang bedeuten. In der Welt wußte man da¬ 
mals noch nichts von mir. Nach 20 Runden dieses 
Rennens war das schon anders. Da lag ich an der 
Spitze. Hatte mich langsam Wagen für Wagen vorge¬ 
arbeitet und lag vorn, zum erstenmal in einem Rennen 
vorn an ber Spitze des ganzen Feldes! Rach 40 Run¬ 
den ist es geschafft. Ich habe meinen ersten Rennwagen¬ 
steg errungen, und wie ich aus dem Wagen klettere, 
stürzt mir ein Mädchen um den Hals, umarmt mich und 
schreit begeistert immer wieder in meine Ohren. (Es 
war gar kein Mann, ber mein Gos hatte, (Es war ein 
Mädchen, bas nun mit einem Schlag vier Millionen 
Lire sein (Eigentum nannte und darum so aus dem 
Häuschen war. 
Aus dem Jahrbuch .Lungen — eure Well", des¬ 
sen 2. Jahrgang vor kurzem erschienen ist. Zentral- 
perlag ber NSDAP., Frz. Eher Nachf., München.
	        
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