Full text: Fuldaer Zeitung (1938)

RGLIGIOn UND 
UmMches Sreisblatt Fuldaer Zeitung Nr. 296 Weihnachten 193| 
- 'N 
11 
M V 
MS 
Heilige Nacht 
Gespräch an 
,Hch muß deiner Frau und dir Glück wünschen zu 
dem prächtigen Kind in dem Wiegenkorb. Es liegt 
ja da wie ein reifer Apfel, der vom Baume in das Gras 
gefallen ist. Wie ruhig der Kleine schläft! Wir wollen 
leise miteinander plaudern, damit er nicht erwacht." 
„Da brauchst Du nicht bang« zu sein. E» ist sowieso 
bald Zeit für seine Mahlzeit. Da wird er doch munter 
werden. So ein kleiner Erdenneuling ist pünktlich wie 
ein Uhrwerk, wenn er bereits in den ersten Tagen dazu 
angehalten wird." 
„Aber wenn nun der Kleine nicht schläft, wenn er den 
ganzen Tag schreit, ist das nicht schwer zu ertragen? 
Und gerade Du, der Du viele schriftliche Arbeiten zu 
Hause zu erledigen hast, wie kannst Du das aushalten? 
Wenn man Dich in Deinem Vaterstolze sieht, sollte man 
glauben, daß Dich die Aaterwürde beglückt. Aber ich 
kenne auch Deine leichte Erregbarkeit, ich weih, daß Du 
Dich nicht gerne stören läßt." 
„Wo Kinder sind, da geht e» frellich nicht zu wie in 
einem kinderlosen Haushalt. Und da unser Jüngster ja 
nicht unser einziges Kind ist, kann ich wohl auch ein Lied 
davon singen. Aber mit den Störungen durch die Kin¬ 
der ist e» nicht anders, wie bei anderen Störungen auch. 
Man muß sie eben ertragen, wie man einen unangeneh¬ 
men Besuch etwa auch ertragen muß. Auch er geht vor¬ 
über. Gewiß, einem ungebetenen Gast kann man es zu 
Dank an das Kind 
Und wieder herrscht dein Regiment 
Du holdes, zartes Kind. 
Dein Stern am Firmament 
Verheißt, daß wir nicht ganz verlassen sind. 
0 Stern in dunkler Nacht, 
Wir wollen folgen dir. 
Du Kind das uns erwacht. 
Wir danken dir! Wolfgang Brügge. 
Holzschnitt von Geo Ty i oller [Deike-M] 
einer Wiege 
verstehen geben, daß er nicht erwünscht ist; er kommt 
dann kein zweites Mal." 
„Entschuldige, wenn ich Dich unterbreche. Ich wußte 
nicht, daß ich Dir durch meine Gegenwart oder durch 
meine Fragen lästig werde. Es freut mich, daß Du mir 
ehrlich Deine Meinung zu verstehen gibst. Ich will jetzt 
gehen!" — 
„Aber ich bitte Dich, mein Freund! Wie konntest Du 
mich nur so mißverstehen!" Du weiht, dah Du mir ein 
lieber Besuch bist. Ich hatte eben nur ein Beispiel an¬ 
geführt, ich hatte wirklich nicht im geringsten an Dich ge¬ 
dacht. Weil Du mich ehrlich nennst, wirst Du mir das 
schon glauben. Du hattest mich in der Tat unterbrochen. 
Ich war mit meinen Gedanken noch nicht zu Ende. Ich 
muh dabei noch einmal auf die Störung durch den un¬ 
liebsamen Gast zurückkommen. Wenn uns ein Kind 
stört, so ist das doch etwas anderes. Es hat keine Stö¬ 
rung in jenem Sinne, sondern wir empfinden in der uns 
unliebsamen Unterbrechung den Anspruch des Kindes 
auf unser Gehör. Es ist ganz gleich, ob ein älteres Kind 
eine Frage an uns stellt, oder ob ein kleines Kind uns 
durch sein Weinen herbeiruft. Jetzt beginnt ja auch der 
Kleine in der Wiege zu weinen, und dah schon sogleich 
die Mutter hereinkommt, um ihn zu versorgen, bestätigt 
nur meine Worte. — Denk mal, Marie, von was wir 
beide uns gerade unterhalten? Wir plaudern von klei¬ 
nen Kindern und Ihrer Unruhe, die sie dem Haus brin¬ 
gen." 
„Du hättest lieber Alfred von dem Glück erzählen sol¬ 
len, das die kleinen Lieblinge In die karge Stille des 
Hauses bringen. Wenn Du über Kindergefchrei und Fa- 
miliensorgen sprichst, wirst Du den alten Junggesellen in 
ihm nicht zur Ehe begeistern. Wir sollten weit mehr 
von den Lichtseiten des Lebens sprechen als von seinen 
Schatten, dann kommen wir leichter über das Schwere 
hinweg. Es gibt ja jo viele Herrlichkeiten, wir müssen 
sie nur eben sehen wollen." 
.Halten Sie mich denn für einen Trübsalbläser? Ich 
würde wahrlich schlecht in meinen Berus al» Arzt tau¬ 
gen, wenn ich nicht täglich bei meinen Kranken um Le¬ 
ben und Gesundheit ringen würde. Ich sehe eben zu viel 
Schatten um mich, deshalb scheint mir da» Licht ost 
so fern." 
„Um so näher sollten Sie der Sonne rücken! Und so 
ein Heine» Geschöpf ist wirklich eine Sonne in unserem 
Leben. Ich will Ihnen kein Irrlicht vortäuschen. Wir 
Mütter sind ja all den schweren Ausgaben, die ein kleines 
Kind mit sich bringt, zunächst viel näher gerückt als die 
Väter. Wohl fast jede Frau schreckt in einem Erschauern 
auf, wenn sie die Gewißheit hat, dah sie empfangen hat 
Die Monate der Mutterschaft stehen dann vor ihr, die 
schweren Stunden der Geburt und die langen Jahre des 
Pflegens und Behütens. Aber wenn wir dann das 
Kind fassen dürfen, wie ich jetzt den Kleinen aufnahm, 
wenn wir es auf dem Arme tragen oder an die Brust 
drücken, dann steigt doch Jubel in uns auf, dah wir ein 
solches Leben hüten und pflegen dürfen. Es ist doch 
jedesmal ein neues Wunder, daß Vater und Mutter im 
Kinde als neue Einheit erstehen. — Doch jetzt darf ich 
mich wohl für die weitere Unterhaltung empfehlen und 
meinen Mutterpflichten dienen".--- 
„Jedesmal, wenn ich Deine Frau In ihrem Lebens¬ 
überschwange sehe, beneide ich Euch um Euer Familiei 
glück. Nun hat Deine Frau schon ein paar Kindern d, 
Leben geschenkt und dabei ist sie frischer als viele Frau« 
ihres Alters, die sich stets geschont haben." 
„Sie wird wohl jung bleiben, solange sie ein klein, 
Kind an ihre Brust drücken kann. Das Leben wird ui, 
erst gegeben, wenn wir bereit sind, es einzusetzen. Nif 
die geschonte Frau ringt in der Tat dem Leben den Si, 
ab, sondern die einsatzbereite. Je weniger wir an u, 
denken, desto reicher werden wir. Das weiht Du ja au 
aus Deinem Beruf. Wenn Du um das Leben ein, 
Kranken gerungen hast und Du hast Erfolg gehabt, bau 
bist Du glücklicher, als wenn Du den ganzen Tag üh 
Dich selber gegrübelt hättest. Ich kannte übrigens ei, 
Frau aus dem Geschlechte meiner Mutter, die zehn Kti 
dern das Leben geschenkt hatte. Sie war körperlich u» 
geistig frischer als viele ihres Alters, die nur ein ob, 
zwei Kinder hatten. Ich weih aber auch, daß sie I 
jedem Kinde ein Geschenk Gottes sah." 
„Dos erklärt vieles! Und ich kann wohl verstehe 
daß eine Frau aufrecht im Leben stehen mag, wenn J 
so oft an der Wiege eines Kindes Gott begegnet ist." 
Weihnachtsbriefe 
verschwand alle klassische Kühle, wenn es auf der 
deutscheste aller christlichen 
am Weimarer Frauenplan 
Weihnachten ist das 
Feste. Aus dem Haus 
Flamme, „leuchtend und verzehrend", konnte wie ein 
glückliches Kind nicht erwarten, das Weihnachtspäck¬ 
chen der Mutter aufzumachen. 
unendlich dankbar für 
Freude und Heiterkeit 
Die zweite ist 
schrieben, 1848. 
großen Treppe 
duftete, die zum 
Frankfurt kamen, 
einer „großen 
noch Aepfeln und den Maronen 
Ehristtag von der Frau Rat aus 
Hebbels dunkles Grübeln versank in 
Freude". Und Nietzsche, lodernde 
men in Deutschland. Er wohnte 1n Wie, 
und durch die Heirat mit der Burgschauspieleri 
Christine Enghaus ist in fein Leben etwas vo 
jener Bürgerlichkeit gekommen, für die er - 
nach seinem Geständnis — Ehakespeares Gen 
hingegeben hätte: 
jeden stohen Tag, den wir t 
miteinander verbringen." 
sieben Jahre später niebergt 
Sein Name hat Klang beton 
Der Brief, den bet junge Goethe von seinem 
ersten Weihnachten nach ber Abreise aus Wetzlar 
schreibt, ist an Kestner gerichtet, den Verlobten 
jenes Mädchens, das er über alles liebt. Durch 
die Zeilen des Briefes schwingt jene Schwer¬ 
mut Werthers, an ber sich eine Generation be¬ 
rauschen wird. 
Es ist noch Nacht, lieber Kestner, ich bin hier auf- 
gestanden, um bei Licht morgens zu schreiben. — Ich 
habe mir Coffee machen lassen, dem Festtag zu Ehren. 
Der Türmer hat [ein Lied schon geblasen, der Nord¬ 
wind bringt mir feine Melodie, als bliebe er vor mei¬ 
nem Fenster. — Gestern war ich mit einigen Jungen 
auf dem Lande, unsere Lustbarkeit war sehr laut und 
Geschrei und Gelächter van Anfang zu Ende. Da» 
taugt sonst nicht für die kommende Stunde, doch was 
können die heiligen Götter nicht wenden, wenn e» 
ihnen beliebt? Sie ghben mir einen frohen Abend. 
Auf einer Brücke hielt Ich still. Die düstere Stadt zu 
beiden Seiten, der stilleuchtende Horizont, der Wider¬ 
schein im Fluß machte einen köstlichen Eindruck auf 
meine Seele, den Ich mit beiden Armen umfaßte. 
Als ich über den Markt ging, und die vielen Lich¬ 
ter und Spielfachen sah, dachte ich an Euch und meine 
Buben 
1837. Nikolaus Lenau schreibt an feinen 
Freund: 
„Der gestrige Weihnachtsabend wurde auf eine fa 
vornehme Weise bei uns gefeiert. Ein Tannenbau 
für das kleine Titele, an dem mehr hing, als i 
mein ganzes Lebenlang erhalten habe ... Gefellfchaf 
Fasanen, Karpfen, Champagner, unerhört, wie we 
man es auf Erden bringen kann Meine liebe Fra;■ 
schenkte mit Walter Scotts Romane, die ich läng t 
gern besessen hätte; Frau von la Roche überrasch L 
mich mit einem Autograph von Goethe!" 
Die kindliche Hast, in ber ber hagere Mann m i 
bem buschigen Schnurrbart unb ben kurzsichtige! 
Augen sein Naumburger Weihnachtspäckchen ai • 
ber Straße auskramt, läßt schwerlich vermute: 
baß bieser Mann mit seinen Büchern zuletzt bet [ 
„Zarathustra", die Jugend Deutschlands in Au 
rühr versetzt hat. Und doch ist es Friebrü । 
Nietzsche, der schreibt: 
„Mittags bekam ich Eure liebe Sendung zu Här 
den, und geschwind hing die Kette um den Hals, un 
das artige Kalenderchen kroch in die Westentasch« 
Darüber ist nun freilich Geld entschlüpft. Verzeiht e! 
Eurem blinden Tier, bas feinen Kram auf ber Straß I 
auspackte: ba mag wohl etwas baneben gerutscht seit | 
benn ich suchte sehr eifrig nach bem Briefe. Hoffentlü t 
war ein arme» altes Weibchen in ber Nähe gerne,ef^ 
unb hat auf biefe Weife ihr Christkindchen auf bt 
Straße gefunden . . ." 
„Ich ritt über die Heide, sie war schneebedeckt, auf« 
flatternde Raben nur waren die schwarzen Gedanken 
ber Heide. Cs tarn mir lächerlich vor, mit dem kleinen 
Lebensfunken Trotz bieten zu wollen bem alle» starr 
machenden Winterozean. Endlich mußte er doch siegen. 
Ich fühlte mich sehr einsam in der Welt und tieftraurig 
— unb so war ich, mich meinem Pferbe überlassend 
in einen Walb gekommen. Plötzlich spielte ein Licht¬ 
schimmer über bie schneebebeckten Tannenzweige, unb 
balb sah ich mir zur Linken ein Jägerhaus. Mich 
lockte ein seltsamer Zug — ich möchte es nicht Neu¬ 
gierde nennen — das Tun in dem einsamen Jiiger- 
hause zu belauschen. Ich stieg vom Pferde und schritt 
leise zum Fenster. Darin brannte ein luftiger Weih¬ 
nachtsbaum, glückliche Kinder, halb fröhlich, halb er¬ 
schrocken liehen sich von ihren freudig bewegten Eltern 
Gaben hinabreichen, die an ben Zweigen hingen. 
Ich konnte die Worte nicht hören, bie sie sprachen, 
aber ich konnte sehen, daß die Eltern warm unb selig 
bewegt sind, unb ich fühlte mit ihnen, unb die Tränen 
hingen ale Reisperlen an meinen Wimpern . . ." 
Zwei Seiten aus Hebbels Tagebüchern. Die 
erste stammt aus bet Zelt, da der junge Siu- 
dent bei Elise Lensing Zuflucht gefunden hatte: 
„Die Weihnachtstage habe ich bei ihr, bie ich nicht 
mehr zu nennen brauche, wieder schön verlebt. Sie 
hat mir einen prächtigen Shawl geschenkt, außerdem 
noch gestickte Schuhe, eine feine Geldbörse unb, was 
mich immer tief in meine Kinderzeit zurückversetzt — 
nicht, well Ich es bamals hatte, sondern weil es mir 
fehlte — Nüsse, Kuchen und Aepfel. Ich bin Gott 
Der Brief, ben ber Züricher Staatsschreiber 
R. Gottsrieb Keller bebächtig auseinandersalte I 
kommt aus Frieslanb von seinem Freun | 
Storm. ♦ 
„Liebster Keller! Drunten im größten Zimmer i - 
schon die über zwölf Fuß hohe Tanne aufgeftellt un | 
biegt ihre Spitze unter ber Decke; achtzehn Weih r 
nachtspakete sinb expediert, und gestern Abend fin s 
Netze geschnitten, Bonbons eingewickelt, ist vergoldk | 
etc. Und ich kann mir nicht helfen, ich muß Ihne j 
diesen kleinen Weihnachtsbrief fchreiben . . . Uebei | 
morgen kommt mein Junge, Karl, ber „stille Musikant' 1 
daraus freuen sich infonber die beiben jüngsten Mäbe | 
Gertrud und Dodo, die ich diesmal nur zu Hau > 
habe. Mir selbst unb ihm schenke ich bie neueste Au I 
gäbe von Mörikes Gebichten; aber auch einen kleine! $ 
Teppich und eine lange Gesundheitspseife; er schmöt l 
gern aus langen Pfeifen. 
Dienstag abend wirb ber Baum geputzt unb d« 
Märchenzweig nicht vergessen. — Erst gehen wir in bi | 
Kirche, hören, was unser Pastor sagt, hören bie Kit 
bet mehrstimmig fingen unb fehen bie beiben hohe 
Tannen am Altar brennen. Das gehört dazu. Dani ! 
brennt ber schönere Baum zu Hause; unb nach bei 
Abendessen kommt mein Bruder Johanne» mit feint 
vier Söhnen, zwei Töchtern, seiner Schwiegertochter m 
seinem Weibe, und bann gibt es ein Glas notbischt 
Punsches. So beschließt sich der Weihnachtsabend, ut i 
ich werde Ihnen eines nach Zürich hinübertrinken! Ai U 
weitere Freundschaft und noch ein paar Iahte lei 
llch Leben!" 
Bethlehem 
Von H. V. Motion 
Bethlehem machte mir einen friedlichen und freund¬ 
lichen Eindruck. Jerufalem lebt in einer Spannung 
geistiger Konflikte. Bethlehem ist ruhig und, wie ich 
glaube, glücklich. Hier ist einmal der herrschende Islam 
abgedümpft und kaum wahtnehmbat. Cs gibt In Beth¬ 
lehem nur einen Muezzin, aber viele Glocken. 
Wären die weihen Häuser von Bäumen umgeben, 
ober umrantte Efeu die Mauern, so hätte ich mir bei¬ 
nahe corftellen können, in Andalusien zu fein. Aber 
ganz kann man sich nie darüber täuschen, denn stets ist 
Vas heiße Hochland von Judäa am Ende einer Straße 
ober durch einen Torbogen sichtbar 
Es gibt eine Erzählung — wenn Ich nicht irre von 
H. G. Wells —/in der jemand in einer ganz gewöhn¬ 
lichen Mauer eine Tür findet, die zum Gatten der 
Hefpettden führt. Daran wurde ich erinnert, al» ich in 
Bethlehttn eine Tür in einer dicken Mauer entdeckte 
Sie wat fo niedrig, daß sogar ein Zwerg sich hätte 
bücken müssen um hindurchzugehen. Hinter dieser Tüt 
liegt die Kirche ber Geburt. In Bethlehem, heißt es, 
seien alle Eingänge dieser Kirche vermauert worden 
außer diesem, ber so niebrig gemacht wurde, um bie 
Ungläubigen daran zu hindern, zu Pferde einzudrin- 
gen und die Betenden zu erschlagen. 
Kaum hatte ich mich aber gebückt unb war einge* 
treten, als ich mich aufrichtete unb — in Rom war! 
In bem Rom Konstantins de» Großen, oder vielleicht 
besser gesagt, in Neu-Rom. E» mar bie größte lieber- 
raschung, bie ich in Palästina erlebte. Ich erwartete 
bie übliche Schmuckkirche, bie dunklen, überlasteten 
Altäre, die verwickelten Treppen und Gänge eine» viel¬ 
fach umgebauten Gebäude», unb ich stand in einer kal¬ 
ten, strengen römischen Basilika Massive korinthische 
Säulen aus mattrotem Stein trugen bie Decke unb bU- 
beten Schiff unb Chöre. Ich befand mich in der Kirche, 
bie zur Zeit Kaiser Konstantins gebaut mürbe. Es ist 
sicher eines ber Wunder Palästinas dah diese Kirche allen 
Gefahren, die fo viele andere Gebäude aus derselben 
Zeit in Schutt verwandelten, entgangen ist. Da steht 
sie, die früheste noch in Gebrauch befindliche christliche 
Kirche, mehr ober weniger in bem,eiben Zustanbe, wie 
sie au» den Händen ihrer (Erbauer hervorging. An den 
Wänden sieht man bie Reste verblaßter Golbmosaiken. 
Die Kirche ist über einer Grotte errichtet, die als 
ber Geburtsort Jesu Christi erkannt würbe und zwar 
zweihundert Jahre, ehe Rom ein christlicher Staat war. 
Die Höhle muß schon den Christen aus der Zeil Ha¬ 
drian» heilig gewesen 'sein. Hadrian baute einen Ado- 
niftentempel darüber, um sie zu entweihen, wie er es 
auch auf Golgatha versucht hatte. Konstantin riß diesen 
Tempel nieder und errichtete an seiner Stelle die jetzige 
Kirche. Sie hat für mein Gefühl etwas rührend For¬ 
melles, als hätte das Römerreich diesen neuen Glauben 
noch nicht ganz verstanden, aber doch eine erste, scheue 
Geste in (einer Richtung gemacht. Man fühlt, daß 
diese Säulen in Wirklichkeit die eine» Jupitertempel» 
sind. 
Ein Gottesdienst war gerade im Gange. Ich 
glaubte, bas Chor fei von Nonnen besetzt, aber es wa¬ 
ren bethlehemitische Frauen, die den hohen Kopfputz 
und Schleier trugen Unter dem Hochaltar liegt die 
Grotte, die von der Ueberlieferung als die Stelle be¬ 
zeichnet wird, wo Jesus geboren wurde. Man betritt 
sie durch Stufen, die auf beiden Seiten de» Chor» hin¬ 
abführen. Ich mußte mich gegen bie Wand ber Heinen 
dunklen Treppe drücken, um zwei griechische Mönche, 
die, schwarz von Auge und Bart, in einer Wolke von 
Weihrauch heraufkamen, an mir vorbeizulassen. 
Dreiundfünfzig Silberlampen erhellen kaum den fin¬ 
steren unterirdischen Raum. Die Grotte ist etwa drei¬ 
zehn Meter lang und vier Meter breit Die Wände 
sind mit Teppichen bedeckt, bie nach kaltem Weihrauch 
riechen Darunter befindet sich der rauhe, rauchgeschwärzte 
Fels. Goldener, silberner und flitterhaster Schmuck 
schimmert in bem blassen Licht der Lampen. 
Ich glaubte, ich sei allein in der Grotte, bis sich je¬ 
mand in der Dunkelheit rührte, und ich einen Schutz¬ 
mann bemerkte, der stets hier wacht, um Streitigkeiten 
zwischen den griechischen und armenischen Priestern zu 
verhindern. Diese Kirche, wie die des heiligen Grabes, 
leibet daran, daß sie verschiedenen Konfessionen gehört 
Sie ist in den Händen der Lateiner, der Griechen und 
der Armenier 
Im Fußboden ist ein Stern mit einer lateinischen 
Umschrift: „Hier ward Jesus Christus von der Jung¬ 
frau Maria geboren." Die Entfernung dieses Sterns 
verursachte seinerzeit einen Streit zwischen Frankreich 
und Rußland und führte zum Krimkrieg. Solche Tat¬ 
sachen mögen furchtbar klingen, aber der Mensch Ist 
nun einmal nicht vollkommen. Wenn man In der Kirche 
ber Geburt oder des heiligen Grabes steht muß man 
versuchen, das zu vergessen und den Blick auf das 
Wahre und Schöne zu richten, das sie zu verdunkeln 
scheinen. 
Unter der Kirche befindet sich ein Labyrinth von 
unterirdischen Gängen. In einem von diesen, einer 
dunsten Felsenkammer, verfaßte der heilige Hieronymus 
einige seiner kühnen Streitschriften und übersetzte die 
Vulgata. 
Ich tastete mich zurück zu der Grotte, wo der Weih¬ 
rauch da» Lampenlicht verdunkelte. Sie war angefüllt 
von steinen Kindern, die schweigend paarweise die 
Treppe besetzten. Eins nach dem anderen trat herzu, 
kniete nieder und küßte rasch den Stein in der Nähe 
des Sterns. Ihre Gesichter waren in dem Kerzenlicht 
tiefernst. Manche ber Kinber schlossen die Augen fest 
und flüsterten ein Gebet. 
• 
Mit den Augen des unvoreingenommenen Euro¬ 
päer» durchwandert« der Engländer H. B. Morton das 
Heilige Land „Auf den Spuren des Meisters". Gera! 
darum vermögen uns feine Beobachtungen, von bem 
er in feinem gleichnamigen Buch erzählt, so unmith 
bar in die Gegenwärtigkeit jener Stätten zu versetze 
bie im Sinnen unb Sagen ber beutschen Weihnacht en > 
so große Roll« spielen. Das Buch erschien in be 
Verlag von Dietrich Reimer, Berlin, in beutscher Uebe[ 
setzung von H. C. Röcker. 
Römische Uraufführung des „Oberon1 
Der enge geistige unb künstlerische Austausch, b 
sich burch die Achse zwischen Deutschlanb unb Jtali | 
herausgedilbet hat, führt dazu, baß bem italienisch' 
Publikum auch bisher weniger bekannte Werke d- 
deutschen Kunstschaffens zugänglich gemacht werben. 
So erlebte in ber Königlichen Oper Rom, deren Spv! 
plan bereits mit einer Neueinstudierung des „Tan I 
Häuser" eröffnet worden ist, Carl Maria von Webe ß 
„Oberon" feine Uraufführung. Die musikalische L | 
tung hatte Maestro Tullio Serafin übernommen, b 
die romantische Oper schon im Jahre 1912 an der Mi | 
länber Scala herausgebracht hat. Eine erstklassi I 
Besetzung sowie eine glänzende Inszenierung verhalf | 
ber Ocker zu einem sehr großen Publikurnsersolg. 1 Z 
Hauptanziehungskraft übte aber die Musik Webe | 
au», deren Frische, Flüssigkeit, Klangfülle, ©efälligt | 
unb Ideenreichtum von der italienischen Presse unü| 
strichen wird. 
Die Blätter untersuchen in diesem Zusammenha | 
auch bie Einflüsse italienischer Komponisten, wie R I 
Jinis, auf Weber unb heben andererseits dessen > I 
fruchtende Wirkung auf die Entwicklung der deutsch f 
Oper hervor, deren Spuren sie auch in ben Werk | 
Richard Wagners seststetten wollen. Die römische W | 
führung lehnte sich an bie ßonboner Uraufführung d p 
„Oberon" vom Jahre 1826 an; ber Bearbeitung, 1 | 
Antonio Sega vorgenommen hat, liegt bas englis I 
Textbuch Planche» zugrunde.
	        
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