RGLIGIOn UND
UmMches Sreisblatt Fuldaer Zeitung Nr. 296 Weihnachten 193|
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11
M V
MS
Heilige Nacht
Gespräch an
,Hch muß deiner Frau und dir Glück wünschen zu
dem prächtigen Kind in dem Wiegenkorb. Es liegt
ja da wie ein reifer Apfel, der vom Baume in das Gras
gefallen ist. Wie ruhig der Kleine schläft! Wir wollen
leise miteinander plaudern, damit er nicht erwacht."
„Da brauchst Du nicht bang« zu sein. E» ist sowieso
bald Zeit für seine Mahlzeit. Da wird er doch munter
werden. So ein kleiner Erdenneuling ist pünktlich wie
ein Uhrwerk, wenn er bereits in den ersten Tagen dazu
angehalten wird."
„Aber wenn nun der Kleine nicht schläft, wenn er den
ganzen Tag schreit, ist das nicht schwer zu ertragen?
Und gerade Du, der Du viele schriftliche Arbeiten zu
Hause zu erledigen hast, wie kannst Du das aushalten?
Wenn man Dich in Deinem Vaterstolze sieht, sollte man
glauben, daß Dich die Aaterwürde beglückt. Aber ich
kenne auch Deine leichte Erregbarkeit, ich weih, daß Du
Dich nicht gerne stören läßt."
„Wo Kinder sind, da geht e» frellich nicht zu wie in
einem kinderlosen Haushalt. Und da unser Jüngster ja
nicht unser einziges Kind ist, kann ich wohl auch ein Lied
davon singen. Aber mit den Störungen durch die Kin¬
der ist e» nicht anders, wie bei anderen Störungen auch.
Man muß sie eben ertragen, wie man einen unangeneh¬
men Besuch etwa auch ertragen muß. Auch er geht vor¬
über. Gewiß, einem ungebetenen Gast kann man es zu
Dank an das Kind
Und wieder herrscht dein Regiment
Du holdes, zartes Kind.
Dein Stern am Firmament
Verheißt, daß wir nicht ganz verlassen sind.
0 Stern in dunkler Nacht,
Wir wollen folgen dir.
Du Kind das uns erwacht.
Wir danken dir! Wolfgang Brügge.
Holzschnitt von Geo Ty i oller [Deike-M]
einer Wiege
verstehen geben, daß er nicht erwünscht ist; er kommt
dann kein zweites Mal."
„Entschuldige, wenn ich Dich unterbreche. Ich wußte
nicht, daß ich Dir durch meine Gegenwart oder durch
meine Fragen lästig werde. Es freut mich, daß Du mir
ehrlich Deine Meinung zu verstehen gibst. Ich will jetzt
gehen!" —
„Aber ich bitte Dich, mein Freund! Wie konntest Du
mich nur so mißverstehen!" Du weiht, dah Du mir ein
lieber Besuch bist. Ich hatte eben nur ein Beispiel an¬
geführt, ich hatte wirklich nicht im geringsten an Dich ge¬
dacht. Weil Du mich ehrlich nennst, wirst Du mir das
schon glauben. Du hattest mich in der Tat unterbrochen.
Ich war mit meinen Gedanken noch nicht zu Ende. Ich
muh dabei noch einmal auf die Störung durch den un¬
liebsamen Gast zurückkommen. Wenn uns ein Kind
stört, so ist das doch etwas anderes. Es hat keine Stö¬
rung in jenem Sinne, sondern wir empfinden in der uns
unliebsamen Unterbrechung den Anspruch des Kindes
auf unser Gehör. Es ist ganz gleich, ob ein älteres Kind
eine Frage an uns stellt, oder ob ein kleines Kind uns
durch sein Weinen herbeiruft. Jetzt beginnt ja auch der
Kleine in der Wiege zu weinen, und dah schon sogleich
die Mutter hereinkommt, um ihn zu versorgen, bestätigt
nur meine Worte. — Denk mal, Marie, von was wir
beide uns gerade unterhalten? Wir plaudern von klei¬
nen Kindern und Ihrer Unruhe, die sie dem Haus brin¬
gen."
„Du hättest lieber Alfred von dem Glück erzählen sol¬
len, das die kleinen Lieblinge In die karge Stille des
Hauses bringen. Wenn Du über Kindergefchrei und Fa-
miliensorgen sprichst, wirst Du den alten Junggesellen in
ihm nicht zur Ehe begeistern. Wir sollten weit mehr
von den Lichtseiten des Lebens sprechen als von seinen
Schatten, dann kommen wir leichter über das Schwere
hinweg. Es gibt ja jo viele Herrlichkeiten, wir müssen
sie nur eben sehen wollen."
.Halten Sie mich denn für einen Trübsalbläser? Ich
würde wahrlich schlecht in meinen Berus al» Arzt tau¬
gen, wenn ich nicht täglich bei meinen Kranken um Le¬
ben und Gesundheit ringen würde. Ich sehe eben zu viel
Schatten um mich, deshalb scheint mir da» Licht ost
so fern."
„Um so näher sollten Sie der Sonne rücken! Und so
ein Heine» Geschöpf ist wirklich eine Sonne in unserem
Leben. Ich will Ihnen kein Irrlicht vortäuschen. Wir
Mütter sind ja all den schweren Ausgaben, die ein kleines
Kind mit sich bringt, zunächst viel näher gerückt als die
Väter. Wohl fast jede Frau schreckt in einem Erschauern
auf, wenn sie die Gewißheit hat, dah sie empfangen hat
Die Monate der Mutterschaft stehen dann vor ihr, die
schweren Stunden der Geburt und die langen Jahre des
Pflegens und Behütens. Aber wenn wir dann das
Kind fassen dürfen, wie ich jetzt den Kleinen aufnahm,
wenn wir es auf dem Arme tragen oder an die Brust
drücken, dann steigt doch Jubel in uns auf, dah wir ein
solches Leben hüten und pflegen dürfen. Es ist doch
jedesmal ein neues Wunder, daß Vater und Mutter im
Kinde als neue Einheit erstehen. — Doch jetzt darf ich
mich wohl für die weitere Unterhaltung empfehlen und
meinen Mutterpflichten dienen".---
„Jedesmal, wenn ich Deine Frau In ihrem Lebens¬
überschwange sehe, beneide ich Euch um Euer Familiei
glück. Nun hat Deine Frau schon ein paar Kindern d,
Leben geschenkt und dabei ist sie frischer als viele Frau«
ihres Alters, die sich stets geschont haben."
„Sie wird wohl jung bleiben, solange sie ein klein,
Kind an ihre Brust drücken kann. Das Leben wird ui,
erst gegeben, wenn wir bereit sind, es einzusetzen. Nif
die geschonte Frau ringt in der Tat dem Leben den Si,
ab, sondern die einsatzbereite. Je weniger wir an u,
denken, desto reicher werden wir. Das weiht Du ja au
aus Deinem Beruf. Wenn Du um das Leben ein,
Kranken gerungen hast und Du hast Erfolg gehabt, bau
bist Du glücklicher, als wenn Du den ganzen Tag üh
Dich selber gegrübelt hättest. Ich kannte übrigens ei,
Frau aus dem Geschlechte meiner Mutter, die zehn Kti
dern das Leben geschenkt hatte. Sie war körperlich u»
geistig frischer als viele ihres Alters, die nur ein ob,
zwei Kinder hatten. Ich weih aber auch, daß sie I
jedem Kinde ein Geschenk Gottes sah."
„Dos erklärt vieles! Und ich kann wohl verstehe
daß eine Frau aufrecht im Leben stehen mag, wenn J
so oft an der Wiege eines Kindes Gott begegnet ist."
Weihnachtsbriefe
verschwand alle klassische Kühle, wenn es auf der
deutscheste aller christlichen
am Weimarer Frauenplan
Weihnachten ist das
Feste. Aus dem Haus
Flamme, „leuchtend und verzehrend", konnte wie ein
glückliches Kind nicht erwarten, das Weihnachtspäck¬
chen der Mutter aufzumachen.
unendlich dankbar für
Freude und Heiterkeit
Die zweite ist
schrieben, 1848.
großen Treppe
duftete, die zum
Frankfurt kamen,
einer „großen
noch Aepfeln und den Maronen
Ehristtag von der Frau Rat aus
Hebbels dunkles Grübeln versank in
Freude". Und Nietzsche, lodernde
men in Deutschland. Er wohnte 1n Wie,
und durch die Heirat mit der Burgschauspieleri
Christine Enghaus ist in fein Leben etwas vo
jener Bürgerlichkeit gekommen, für die er -
nach seinem Geständnis — Ehakespeares Gen
hingegeben hätte:
jeden stohen Tag, den wir t
miteinander verbringen."
sieben Jahre später niebergt
Sein Name hat Klang beton
Der Brief, den bet junge Goethe von seinem
ersten Weihnachten nach ber Abreise aus Wetzlar
schreibt, ist an Kestner gerichtet, den Verlobten
jenes Mädchens, das er über alles liebt. Durch
die Zeilen des Briefes schwingt jene Schwer¬
mut Werthers, an ber sich eine Generation be¬
rauschen wird.
Es ist noch Nacht, lieber Kestner, ich bin hier auf-
gestanden, um bei Licht morgens zu schreiben. — Ich
habe mir Coffee machen lassen, dem Festtag zu Ehren.
Der Türmer hat [ein Lied schon geblasen, der Nord¬
wind bringt mir feine Melodie, als bliebe er vor mei¬
nem Fenster. — Gestern war ich mit einigen Jungen
auf dem Lande, unsere Lustbarkeit war sehr laut und
Geschrei und Gelächter van Anfang zu Ende. Da»
taugt sonst nicht für die kommende Stunde, doch was
können die heiligen Götter nicht wenden, wenn e»
ihnen beliebt? Sie ghben mir einen frohen Abend.
Auf einer Brücke hielt Ich still. Die düstere Stadt zu
beiden Seiten, der stilleuchtende Horizont, der Wider¬
schein im Fluß machte einen köstlichen Eindruck auf
meine Seele, den Ich mit beiden Armen umfaßte.
Als ich über den Markt ging, und die vielen Lich¬
ter und Spielfachen sah, dachte ich an Euch und meine
Buben
1837. Nikolaus Lenau schreibt an feinen
Freund:
„Der gestrige Weihnachtsabend wurde auf eine fa
vornehme Weise bei uns gefeiert. Ein Tannenbau
für das kleine Titele, an dem mehr hing, als i
mein ganzes Lebenlang erhalten habe ... Gefellfchaf
Fasanen, Karpfen, Champagner, unerhört, wie we
man es auf Erden bringen kann Meine liebe Fra;■
schenkte mit Walter Scotts Romane, die ich läng t
gern besessen hätte; Frau von la Roche überrasch L
mich mit einem Autograph von Goethe!"
Die kindliche Hast, in ber ber hagere Mann m i
bem buschigen Schnurrbart unb ben kurzsichtige!
Augen sein Naumburger Weihnachtspäckchen ai •
ber Straße auskramt, läßt schwerlich vermute:
baß bieser Mann mit seinen Büchern zuletzt bet [
„Zarathustra", die Jugend Deutschlands in Au
rühr versetzt hat. Und doch ist es Friebrü ।
Nietzsche, der schreibt:
„Mittags bekam ich Eure liebe Sendung zu Här
den, und geschwind hing die Kette um den Hals, un
das artige Kalenderchen kroch in die Westentasch«
Darüber ist nun freilich Geld entschlüpft. Verzeiht e!
Eurem blinden Tier, bas feinen Kram auf ber Straß I
auspackte: ba mag wohl etwas baneben gerutscht seit |
benn ich suchte sehr eifrig nach bem Briefe. Hoffentlü t
war ein arme» altes Weibchen in ber Nähe gerne,ef^
unb hat auf biefe Weife ihr Christkindchen auf bt
Straße gefunden . . ."
„Ich ritt über die Heide, sie war schneebedeckt, auf«
flatternde Raben nur waren die schwarzen Gedanken
ber Heide. Cs tarn mir lächerlich vor, mit dem kleinen
Lebensfunken Trotz bieten zu wollen bem alle» starr
machenden Winterozean. Endlich mußte er doch siegen.
Ich fühlte mich sehr einsam in der Welt und tieftraurig
— unb so war ich, mich meinem Pferbe überlassend
in einen Walb gekommen. Plötzlich spielte ein Licht¬
schimmer über bie schneebebeckten Tannenzweige, unb
balb sah ich mir zur Linken ein Jägerhaus. Mich
lockte ein seltsamer Zug — ich möchte es nicht Neu¬
gierde nennen — das Tun in dem einsamen Jiiger-
hause zu belauschen. Ich stieg vom Pferde und schritt
leise zum Fenster. Darin brannte ein luftiger Weih¬
nachtsbaum, glückliche Kinder, halb fröhlich, halb er¬
schrocken liehen sich von ihren freudig bewegten Eltern
Gaben hinabreichen, die an ben Zweigen hingen.
Ich konnte die Worte nicht hören, bie sie sprachen,
aber ich konnte sehen, daß die Eltern warm unb selig
bewegt sind, unb ich fühlte mit ihnen, unb die Tränen
hingen ale Reisperlen an meinen Wimpern . . ."
Zwei Seiten aus Hebbels Tagebüchern. Die
erste stammt aus bet Zelt, da der junge Siu-
dent bei Elise Lensing Zuflucht gefunden hatte:
„Die Weihnachtstage habe ich bei ihr, bie ich nicht
mehr zu nennen brauche, wieder schön verlebt. Sie
hat mir einen prächtigen Shawl geschenkt, außerdem
noch gestickte Schuhe, eine feine Geldbörse unb, was
mich immer tief in meine Kinderzeit zurückversetzt —
nicht, well Ich es bamals hatte, sondern weil es mir
fehlte — Nüsse, Kuchen und Aepfel. Ich bin Gott
Der Brief, ben ber Züricher Staatsschreiber
R. Gottsrieb Keller bebächtig auseinandersalte I
kommt aus Frieslanb von seinem Freun |
Storm. ♦
„Liebster Keller! Drunten im größten Zimmer i -
schon die über zwölf Fuß hohe Tanne aufgeftellt un |
biegt ihre Spitze unter ber Decke; achtzehn Weih r
nachtspakete sinb expediert, und gestern Abend fin s
Netze geschnitten, Bonbons eingewickelt, ist vergoldk |
etc. Und ich kann mir nicht helfen, ich muß Ihne j
diesen kleinen Weihnachtsbrief fchreiben . . . Uebei |
morgen kommt mein Junge, Karl, ber „stille Musikant' 1
daraus freuen sich infonber die beiben jüngsten Mäbe |
Gertrud und Dodo, die ich diesmal nur zu Hau >
habe. Mir selbst unb ihm schenke ich bie neueste Au I
gäbe von Mörikes Gebichten; aber auch einen kleine! $
Teppich und eine lange Gesundheitspseife; er schmöt l
gern aus langen Pfeifen.
Dienstag abend wirb ber Baum geputzt unb d«
Märchenzweig nicht vergessen. — Erst gehen wir in bi |
Kirche, hören, was unser Pastor sagt, hören bie Kit
bet mehrstimmig fingen unb fehen bie beiben hohe
Tannen am Altar brennen. Das gehört dazu. Dani !
brennt ber schönere Baum zu Hause; unb nach bei
Abendessen kommt mein Bruder Johanne» mit feint
vier Söhnen, zwei Töchtern, seiner Schwiegertochter m
seinem Weibe, und bann gibt es ein Glas notbischt
Punsches. So beschließt sich der Weihnachtsabend, ut i
ich werde Ihnen eines nach Zürich hinübertrinken! Ai U
weitere Freundschaft und noch ein paar Iahte lei
llch Leben!"
Bethlehem
Von H. V. Motion
Bethlehem machte mir einen friedlichen und freund¬
lichen Eindruck. Jerufalem lebt in einer Spannung
geistiger Konflikte. Bethlehem ist ruhig und, wie ich
glaube, glücklich. Hier ist einmal der herrschende Islam
abgedümpft und kaum wahtnehmbat. Cs gibt In Beth¬
lehem nur einen Muezzin, aber viele Glocken.
Wären die weihen Häuser von Bäumen umgeben,
ober umrantte Efeu die Mauern, so hätte ich mir bei¬
nahe corftellen können, in Andalusien zu fein. Aber
ganz kann man sich nie darüber täuschen, denn stets ist
Vas heiße Hochland von Judäa am Ende einer Straße
ober durch einen Torbogen sichtbar
Es gibt eine Erzählung — wenn Ich nicht irre von
H. G. Wells —/in der jemand in einer ganz gewöhn¬
lichen Mauer eine Tür findet, die zum Gatten der
Hefpettden führt. Daran wurde ich erinnert, al» ich in
Bethlehttn eine Tür in einer dicken Mauer entdeckte
Sie wat fo niedrig, daß sogar ein Zwerg sich hätte
bücken müssen um hindurchzugehen. Hinter dieser Tüt
liegt die Kirche ber Geburt. In Bethlehem, heißt es,
seien alle Eingänge dieser Kirche vermauert worden
außer diesem, ber so niebrig gemacht wurde, um bie
Ungläubigen daran zu hindern, zu Pferde einzudrin-
gen und die Betenden zu erschlagen.
Kaum hatte ich mich aber gebückt unb war einge*
treten, als ich mich aufrichtete unb — in Rom war!
In bem Rom Konstantins de» Großen, oder vielleicht
besser gesagt, in Neu-Rom. E» mar bie größte lieber-
raschung, bie ich in Palästina erlebte. Ich erwartete
bie übliche Schmuckkirche, bie dunklen, überlasteten
Altäre, die verwickelten Treppen und Gänge eine» viel¬
fach umgebauten Gebäude», unb ich stand in einer kal¬
ten, strengen römischen Basilika Massive korinthische
Säulen aus mattrotem Stein trugen bie Decke unb bU-
beten Schiff unb Chöre. Ich befand mich in der Kirche,
bie zur Zeit Kaiser Konstantins gebaut mürbe. Es ist
sicher eines ber Wunder Palästinas dah diese Kirche allen
Gefahren, die fo viele andere Gebäude aus derselben
Zeit in Schutt verwandelten, entgangen ist. Da steht
sie, die früheste noch in Gebrauch befindliche christliche
Kirche, mehr ober weniger in bem,eiben Zustanbe, wie
sie au» den Händen ihrer (Erbauer hervorging. An den
Wänden sieht man bie Reste verblaßter Golbmosaiken.
Die Kirche ist über einer Grotte errichtet, die als
ber Geburtsort Jesu Christi erkannt würbe und zwar
zweihundert Jahre, ehe Rom ein christlicher Staat war.
Die Höhle muß schon den Christen aus der Zeil Ha¬
drian» heilig gewesen 'sein. Hadrian baute einen Ado-
niftentempel darüber, um sie zu entweihen, wie er es
auch auf Golgatha versucht hatte. Konstantin riß diesen
Tempel nieder und errichtete an seiner Stelle die jetzige
Kirche. Sie hat für mein Gefühl etwas rührend For¬
melles, als hätte das Römerreich diesen neuen Glauben
noch nicht ganz verstanden, aber doch eine erste, scheue
Geste in (einer Richtung gemacht. Man fühlt, daß
diese Säulen in Wirklichkeit die eine» Jupitertempel»
sind.
Ein Gottesdienst war gerade im Gange. Ich
glaubte, bas Chor fei von Nonnen besetzt, aber es wa¬
ren bethlehemitische Frauen, die den hohen Kopfputz
und Schleier trugen Unter dem Hochaltar liegt die
Grotte, die von der Ueberlieferung als die Stelle be¬
zeichnet wird, wo Jesus geboren wurde. Man betritt
sie durch Stufen, die auf beiden Seiten de» Chor» hin¬
abführen. Ich mußte mich gegen bie Wand ber Heinen
dunklen Treppe drücken, um zwei griechische Mönche,
die, schwarz von Auge und Bart, in einer Wolke von
Weihrauch heraufkamen, an mir vorbeizulassen.
Dreiundfünfzig Silberlampen erhellen kaum den fin¬
steren unterirdischen Raum. Die Grotte ist etwa drei¬
zehn Meter lang und vier Meter breit Die Wände
sind mit Teppichen bedeckt, bie nach kaltem Weihrauch
riechen Darunter befindet sich der rauhe, rauchgeschwärzte
Fels. Goldener, silberner und flitterhaster Schmuck
schimmert in bem blassen Licht der Lampen.
Ich glaubte, ich sei allein in der Grotte, bis sich je¬
mand in der Dunkelheit rührte, und ich einen Schutz¬
mann bemerkte, der stets hier wacht, um Streitigkeiten
zwischen den griechischen und armenischen Priestern zu
verhindern. Diese Kirche, wie die des heiligen Grabes,
leibet daran, daß sie verschiedenen Konfessionen gehört
Sie ist in den Händen der Lateiner, der Griechen und
der Armenier
Im Fußboden ist ein Stern mit einer lateinischen
Umschrift: „Hier ward Jesus Christus von der Jung¬
frau Maria geboren." Die Entfernung dieses Sterns
verursachte seinerzeit einen Streit zwischen Frankreich
und Rußland und führte zum Krimkrieg. Solche Tat¬
sachen mögen furchtbar klingen, aber der Mensch Ist
nun einmal nicht vollkommen. Wenn man In der Kirche
ber Geburt oder des heiligen Grabes steht muß man
versuchen, das zu vergessen und den Blick auf das
Wahre und Schöne zu richten, das sie zu verdunkeln
scheinen.
Unter der Kirche befindet sich ein Labyrinth von
unterirdischen Gängen. In einem von diesen, einer
dunsten Felsenkammer, verfaßte der heilige Hieronymus
einige seiner kühnen Streitschriften und übersetzte die
Vulgata.
Ich tastete mich zurück zu der Grotte, wo der Weih¬
rauch da» Lampenlicht verdunkelte. Sie war angefüllt
von steinen Kindern, die schweigend paarweise die
Treppe besetzten. Eins nach dem anderen trat herzu,
kniete nieder und küßte rasch den Stein in der Nähe
des Sterns. Ihre Gesichter waren in dem Kerzenlicht
tiefernst. Manche ber Kinber schlossen die Augen fest
und flüsterten ein Gebet.
•
Mit den Augen des unvoreingenommenen Euro¬
päer» durchwandert« der Engländer H. B. Morton das
Heilige Land „Auf den Spuren des Meisters". Gera!
darum vermögen uns feine Beobachtungen, von bem
er in feinem gleichnamigen Buch erzählt, so unmith
bar in die Gegenwärtigkeit jener Stätten zu versetze
bie im Sinnen unb Sagen ber beutschen Weihnacht en >
so große Roll« spielen. Das Buch erschien in be
Verlag von Dietrich Reimer, Berlin, in beutscher Uebe[
setzung von H. C. Röcker.
Römische Uraufführung des „Oberon1
Der enge geistige unb künstlerische Austausch, b
sich burch die Achse zwischen Deutschlanb unb Jtali |
herausgedilbet hat, führt dazu, baß bem italienisch'
Publikum auch bisher weniger bekannte Werke d-
deutschen Kunstschaffens zugänglich gemacht werben.
So erlebte in ber Königlichen Oper Rom, deren Spv!
plan bereits mit einer Neueinstudierung des „Tan I
Häuser" eröffnet worden ist, Carl Maria von Webe ß
„Oberon" feine Uraufführung. Die musikalische L |
tung hatte Maestro Tullio Serafin übernommen, b
die romantische Oper schon im Jahre 1912 an der Mi |
länber Scala herausgebracht hat. Eine erstklassi I
Besetzung sowie eine glänzende Inszenierung verhalf |
ber Ocker zu einem sehr großen Publikurnsersolg. 1 Z
Hauptanziehungskraft übte aber die Musik Webe |
au», deren Frische, Flüssigkeit, Klangfülle, ©efälligt |
unb Ideenreichtum von der italienischen Presse unü|
strichen wird.
Die Blätter untersuchen in diesem Zusammenha |
auch bie Einflüsse italienischer Komponisten, wie R I
Jinis, auf Weber unb heben andererseits dessen > I
fruchtende Wirkung auf die Entwicklung der deutsch f
Oper hervor, deren Spuren sie auch in ben Werk |
Richard Wagners seststetten wollen. Die römische W |
führung lehnte sich an bie ßonboner Uraufführung d p
„Oberon" vom Jahre 1826 an; ber Bearbeitung, 1 |
Antonio Sega vorgenommen hat, liegt bas englis I
Textbuch Planche» zugrunde.