Auldaer Zeitung Jtr. 301
Jahreswende 1938/1939
«mMches Srelsbkatt
2)as Stfuesteckind pecsäntlcfi
Ede&nisUatt von tEetix Jliemkasten
Wenn Sie sich Mühe geben, können Sie sich allerlei
höchst sonderbar« Erscheinungen selber ausdenken. Zum
Beispiel Sie sitzen nachmittags beim Kassee, die Tür
geht auf, es ist um die Neujahrszeit herum, und herein
kommt das Silvesterkind, persönlich. Es hat ein Wei¬
hes Kleidchen an, hinten Flügel, und in der Hand steckt
«in Palmzweig. Das wäre eine höchst sonderbare Er¬
scheinung, denn darauf waren Sie nicht gefaßt.
Wie nun aber, wenn nichts dergleichen geschieht, son.
dern etwas ganz anderes? Wie nun, wenn Sie beim
Kaffee fitzen, und plötzlich . . .
Sie müssen juerft wissen, daß wir in einem eigenen
kleinen Häuschen wohnen und uns viel darauf einbil¬
den, wie gut und sicher wir allemal abschließen, wenn
wir ausgehen und das Häuselchen ganz sich selber über-
lassen. Nur unser Kater Ali ist dann noch zu Hause.
Er schläft in der Küche aus der Zentralheizung. Und
wer zuletzt hinausgeht, schließt ab. Dann kann, so
bildeten wir uns das bislang ein, niemand herein. Das
soll auch keiner. Sondern, wenn alles zu ist, ist es zu.
Und nun, während wir am letzten Tage des Jahres
im Stübchen beim Kaffee sitzen, ahnungslosen Gemütes
sind und ganz und gar nur bei uns sind, unter uns . .
Plötzlich geht die Zimmertür auf, und es erscheint ein
minderjähriger Knabe, ein kleiner, kurzer, minderjäh¬
riger Knabe, welcher lächelt. Er steht nur so da, mit¬
ten im Zimmer. Niemand kennt den Knaben. Er mag
acht Jahre alt fein.
Wer hat diesen Knaben hereingelassen? Hat die
Tür offengestanden? Einer von uns steht auf, um . .
,La", fragen wir, nachdem wir uns in der Gewalt
haben, „was willst du denn?"
Er will nicht das mindeste. Er sieht uns an, lächelt
uns an und scheint sehr guten Mutes zu fein.
Wir fragen ihn behutsam aus: „Wie heißt du denn?
Wer bist du denn?'
Das sagt er uns nicht. Er ist so jung und minder¬
jährig, daß Fragen nichts nützen.
Schließlich fragen wir ihn: „Wie bist du denn her¬
eingekommen? Wer hat dir denn die Haustür aufge¬
macht?'
Hier endlich löst sich feines Antlitzes Stummheit. Der
ganze Knabe blüht auf in einem freudig stolzen Lächeln
und stumm zeigt er uns, und stolz dazu, ein Ding vor,
ein Drahtding ... O wehe, uns zwinkern die Augen,
es ist ein starker, guter Dietrich, jenes Ding, mit dem
die Herren Einbrecher und Diebe Türen öffnen. Und
dies nun ist dieses Knaben Leidenschaft und Sport: er
geht in alle Häuser, er hat einen guten Dietrich, er macht
alle Türen auf und überrascht die Leute . . .
Daß dich der Donner erschlage!
Wir waren ganz blaß. Uns schmeckte der Kaffee
nicht mehr. Wir kamen uns vor wie verloren. Und der
Knabe, siehe, siehe, entschwand schon, ja, «r war
schon entschwunden, denn seine Ausgabe hatte er gelöst.
Wir wissen heute noch nicht, wer er ist und wo er
wohnt . . .
Begegnen wir diesem Knaben durch Zufall je ein¬
mal, so wollen wir ihm folgen und seine Herren Eltern
zu sprechen versuchen. Einstweilen haben wir ein Kom.
binationsschloß angeschafft, damit unsere Nerven wieder
besser werden. Den Knaben aber, da wir ihn anders
nicht benennen können, nennen wir „Dietrich".
3Uub -1. Januar 1814
Von Oberstleutnant a. D. B e n a r y
Die Federfuchser waren wieder einmal nahe daran,
tolles preiszugeben, was die Männer des Schwertes
Mit viel Blut und Schweiß erstritten hatten. Seit Leip¬
zig trat man so gut wie auf der Stelle. Nicht genug,
daß man Napoleon aus dem Netz, das sich zwischen
Pleiße und Parthe um ihn zu ziehen drohte, hatte ent¬
schlüpfen lassen. Man stand leit Wochen tatenlos am
Rhein herum, vergeudete Zeit mit fruchtlosen Verhand¬
lungen, anstatt dem weichenden Kaiser auf den Fersen
zu folgen und mit ihm zugleich Paris zu erreichen.
Politiker und Strategen, Diplomaten und Soldaten
waren gleichmäßig schuld daran. Eine Dunstwolke der
Völkerversöhnung und Völkerbeglückung vernebelte ihre
Sinne. Die Feldherrngröße ihres ehemaligen Zwing-
Herrn zeichnete sich trotz aller seiner Niederlagen im
Sommer und Herbst noch immer als Schreckgespenst
am militärischen Himmel ab. Man wollte nichts wissen
von Vergeltung oder gar Rache am Tyrannen, man
wollte dem Feinde von gestern die Freundeshand rei¬
chen, wiegte sich in dem Wahn, mit einem Frankreich,
dem man die Rheingrenze zubilligte, selbst unter einem
Napoleon in Frieden leben zu können. Man unter¬
schätzte die eigene Kraft, hörte allzusehr die Klagen
besorgter Unterführer, die auf die Erschöpfung ihrer
Truppen nach dem anstrengenden Herbstfeldzug hin¬
Wochen tagten, Anfang Dezember den Beschluß faßte,
den Krieg nach Frankreich hinein zu tragen.
Aber dieser Beschluß bedeutete noch keinen Marsch¬
befehl. Man zerbrach sich den Kopf Über einen Kriegs¬
plan und Übersah, daß er klar zutage lag, daß alles
darauf ankam, den Gegner so schnell wie möglich mit¬
ten ins Herz zu treffen, also geradewegs auf Paris zu
marschieren. An Generalen wie Fürst Schwarzenberg
und Knesebeck, die bedauerlicherweise das Ohr ihrer
Obersten Kriegsherrn, des Kaisers Franz von Oester¬
reich und des Königs Friedrich Wilhelm von Preußen
hatten, waren die Lehren der zwanzig Jahre napo¬
leonischer Vernichtungsstrategie spurlos vorübergegan¬
gen, hatten nicht vermocht, sie von einer formalistischen
Kriegsführung zu befreien, die ihr Heil in der Gewin¬
nung angeblicher gewichtiger strategischer Geländepunkte
und in einer Manövrierkunst sahen, die den Gegner
möglichst unblutig schachmatt setzen wollte. Selbst Gnei-
senau schien ein paar Herzschläge- lang solchen Gedan¬
kengängen nicht unzugänglich zu sein. Dagegen blieb
Clausewitz seinen Grundsätzen des absoluten Vernich¬
tungskrieges, des Marsches auf Paris, treu, und Blü¬
cher war es wieder einmal vergönnt, mit Gneisenaus
Hilfe ihnen lebendige Wirklichkeit einzuhauchen.
Eigentlich war ihm und feiner schlesischen Armee
in den großen Operationen, die um die Dezembermitte
fyinscMied
Vier Elemente,
innig gefeilt,
bilden das Leben
bauen die Welt.
Preßt der Zitrone
saftigen Stern!
Herb ist des Lebens
innerster Kern.
Jetzt mit des Zuckers
linderndem Saft
zähmet die herbe
brennende Kraft!
Gießet des Wassers
sprudelnden Schwall!
Wasser umfänget
ruhig das All.
Tropfen des Geistes
gießet hinein!
Leben dem Leben
gibt er allein.
Eh' es verduftet,
schöpfet es schnell!
Nur wenn er glühet,
tobet der Quell.
Friedrich von Schiller.
Carla Rust ist ge¬
wappnet
M. Foto: Tobi»
wiesen, auf die Stimme des Hinterlandes, die da mein¬
ten, man habe mit der Verjagung der Fremdlinge vom
heimischen Boden genug getan, es sei schade um jeden
Preußen, Russen oder Oesterreicher, der jenseits des
Rheins fiele. Man traute einander selbst nicht, wollte
lieber die eigene, bisher gemachte Beute in Sicherheit
bringen als gemeinsam auf den winterlichen Gefilden
Frankreichs um einen ungewissen Siegespreis ringen.
Fürst Metternich spann seine unheilvollen Ränke, der
russische Zar sonnte sich in der Rolle des Weltenrich¬
ters. Nur die preußischen Patrioten sahen klar, was
auf dem Spiele stand, erkannten, daß ein Napoleon
auf Frankreichs Thron niemals Ruhe geben würde,
daß es eine Schande für die ganze Nation märe, wenn
tie deutschen Brüder jenseits des Rheins zu französi¬
schen Bürgern gestempelt würden. Ernst Moritz Arndt
schrieb seine Flammenschrift: „Der Rhein Deutschlands
Strom — nicht Deutschlands Grenze' und Blücher
wurde nicht müde zu wiederholen: „Der. Kerl muß
runter!”
Zum Glück schien auch der Gegenspieler, der Kaiser
Napoleon, der mit fiebernder Hast die ihm gelassene
Mutze zur Aufstellung neuer Heere benutzte, mit Blrnd-
hen geschlagen. Er zögerte die Verhandlungen immer
mteöer hinaus, bis selbst den Langmütigsten seiner
Widersacher der Geduldsfaden riß und man in Frank-
tun a. M., wo die Monarchen und ihre Berater feit
eingeleitet wurden, nur eine Nebenrolle, die Deckung
der Hauptarmee am Mittelrhein, zugedacht. Die Haupt¬
armee als Trägerin der Handlung sollte aus Südwest¬
deutschland in das Oberelsaß einbrechen, um durch die
Burgundische Pforte das Plateau von Langres zu er¬
reichen, dem man als der dreifachen Wasserscheide zwi¬
schen dem atlantischen, mittelländischen und nordischen
Meere aus besondere strategische Bedeutung zumaß
Sowohl südlich wie nördlich der schlesischen Armee hat¬
ten starke Heeresteile bereits mehrere Tage, ja Wochen
Zuvor den Rhein überschritten, als sie sich in der Neu-
jahrsnacht anschickte, den deutschen Strom an drei Stel¬
len bei Koblenz, Kaub und Mannheim zu überqueren.
Dennoch wurde die Tatsache, daß endlich auch Blücher
aus dem Winterlager aufbrach, wurde Raub, der Ort,
bei dem er mit der Kerntruppe seines Heeres, dem
Uork'schen Korps, das linke Rheinufer betrat, ein leuch¬
tendes Fanal, das die schon tief gesunkenen Hoffnungen
der Patrioten auf eine endgültige Abrechnung mit dem
korsischen Eroberer aufs Neue belebte. Wußte man
doch, daß der alte Haudegen beim Abmarsch in Frank¬
furt a. M. dem Freiherrn vom Stein in die Hand ver¬
sprochen hatte: „Vorwärts soll es gehen, dafür stehe
ich ein!" und daß er dem Fürsten Metternich auf die
Frage: „Wo sehen wir uns wieder?" lächelnd geant¬
wortet hatte: „In Paris, im Palais Royal!"
Der Uebergang selber war schon von Romantik um¬
wittert: das verschneide Schetnstiwtchen, auf dessen hol¬
prigem Straßenpflaster die Hufe der Pferde klapperten,
die Turmuhr, deren zwölf Schläge des Neuen Jahres
erste Stunde kündete, der nachtbunkl« Strom, auf dem
die Eisschollen talabwärts trieben, die knarrenden Brük-
kenwagen, die gedämpften Befehle, das Klatschen der
Ruder, das erlösende Hurrah beim Landen auf des
Feindes Boden. Militärisch war das Unternehmen kein
allzu großes Wagnis, das jenseitige Ufer war kaum
bewacht und die Posten zogen sich nach ein paar wir¬
kungslosen Salven kampflos zurück. Der Brückenschlag
steilich stieß auf unvorhergesehene Schwierigkeiten. Man
hatte trotz der hohen Ufer, die bei einem etwaigen feind¬
lichen Widerstand Truppenentwicklungen nicht gerade
günstig gewesen wären, Kaub als Uebergangsftelle ge¬
wählt, weil man an der Pfalzinsel auf der Strommitte
einen natürlichen Brückenpfeiler zu Haden glaubte. Aber
das russische Brückengerät — Leinwandpontons — und
seine Verankerung erwies sich als zu schwach, wurde
immer wieder vom Strom sortgerisfen, so daß 24 Stun¬
den vergingen, bis die Brücke fertig war und das Gros
der Marschkolonne den Vorhutstaffeln, die in Kähnen
den Fluß überschritten hatten, folgen konnte. Offizier
und Mann lleßen sich das Warten nicht verdrießen,
ließen die Gläser mit funkelndem Rheinwein in den
rebenumsponnenen Gasthöfen des Ortes aieinanber klin¬
gen, sahen Hellen Auges der Zukunft entgegen, waren
sich eins mit dem Feldmarschall: „Der Tyrann hat
alle Hauptstädte besucht, geplündert und bestohlen. Wir
wollen uns foroas nicht schuldig machen, aber unsere
Ehre fordert das Vergeltungsrecht, ihn in feinem Nest
zu besuchen."
Wie bei Kaub war es auch bei Koblenz und Mann¬
heim glatt gegangen. Marmont, dem von Napoleon
der Schutz des Mittelrheins anvertraut war, hatte sich
völlig überrumpeln lassen. Er war wirklich in die Falle
getappt, die Blücher nach rechter Husarenart ihm ge¬
stellt hatte, als er mit viel Lärm sein Hauptquartier
wenige Tage vor Jahresschluß nach Frankfurt a. M.
verlegte und es sich dort in behaglichen Bürgerquariie-
ren anscheinend für lange Zeit einrichten ließ. So hatte
der französische Marschall nirgends ausreichende Kräfte
zu nachhaltigem Widerstand bereit und zog sich schleu¬
nigst in das Innere seines Landes zurück. Blücher
konnte feiner „herzenslieben Frau" am 3. Januar
schreiben, „der frühe Neujahrsmorgen war für mich
erfreulich, da ich den stolzen Rhein passierte. Die Ufer
Mit einem Sprung ins neue Jahr
(Schöpke, Zander-Multiplex-K.)
-
ertönten von Freudengeschrei und meine Truppen emp¬
fingen mich mit Jubel", und er konnte an seinen Freund
Bonin hinzusetzen „so lange der Rhein Rhein heißt,
hat noch feine Armee von 80 000 Mann wohlfeiler ihn
passiert als die meinige."
SUuestecleeude eines Einsamen
Erzählung von E. M. W ö tz e I
Das Leben hatte ihm nichts erspart. Von seinem
ersten Atemzug, den er in dieser Well tat, bis zum
heutigen läge, da er mit grauem Kops einsam sein
karges, selbstbereitetes Mahl verzehrte, hatte die Welt
kaum ein freundliches Lächeln für ihn gehabt. Ein Un¬
fall in den ersten Lebenstagen lud dem zarten Knaben
für die Dauer feines Lebens eine- entstellende Verwach¬
sung auf. Die liebelofe, fremde Umgebung, in der er
nach dem frühen Tode beider Eltern aufwuchs, ver¬
hinderte jedes frohe Entfalten feiner kindlichen Seele.
So schien ihm noch heute tn der Erinnerung feine Ju¬
gend nichts anderes als ein Glied in der Rette feines
traurigen Daseins. Später kam neue Not hinzu. Hun¬
gern durchs Stubiutn. Betteln um Freistellen und
Mittagstifche. Nur wenig helle Lichter leuchteten aus
der Vergangenheit in die Erinnerung des alten Man¬
nes. — Dann — ja, dann kam die Zeit, die ihn vor¬
übergehend alles Bittere und Schwere leichter tragen,
beinahe vergessen ließ. Er glaubte an aufrichtige, reine
Siebe, an Treue. Er fand fine Existenz, gründete einen
Hausstand. Ein kurzer Traum nur war's. Schon im
zweiten Jahre feiner Ehe zerbrach das Gebäude feines
Glücks. Jäh erkannte er Betrug und Verrat, sah, wohin
er auch blickte, nur kalten Hohn und spöttisches Mit¬
leid. Angeekelt floh er, verlieh die Heimat und spann
sich in eine Einsamkeit ein, die zu völliger Verbitterung
führte. Unabläfsig wühlten die Gedanken im tiefen
Leid vergangener Tage. — Monat um Monat, Jahr
um Jahr wurden die harten Fallen um feine Augen,
um feinen Mund tiefer.
In einer großen Stadt, in einem hohen Miethaus
lebte der Alle, fremd allen Hausgenossen, fremd dem
Leben da draußen. Keiner ahnte die Wunden feiner
Seele, keiner kannte fein liebefehnendes, verwundetes
Herz, das sich heimlich verblutete. Gleichmäßig und
grau vergingen ihm die Tage, er brauchte nicht zu hun¬
gern oder zu darben, aber ohne Freude war fein Da¬
sein. Er kannte keine Festtage mehr, seit jenem Tage,
da in ihm alles zerbrach.--
Abend war es geworden. Der letzte Abend des
alten Jahres. Regnungslos sitzt der alte, einsame Mann
am Fenster seiner Stube und schaut auf die Straße hin¬
ab. Geschäftige Menschen eilen vorüber, drängen in
die erleuchteten Läden. Freudige, festliche Stimmung
liegt über dem abendlichen Verkehr. In wenigen Stun¬
den wird das neue, junge Jahr gefeiert.---Lau¬
tes Jammergeheul eines Hundes reißt plötzlich den Al¬
ten aus feinem Sinnen. So kläglich wird das Geheul,
daß der alte Mann die Tür zum Stiegenhaus öffnet.
Im gleichen Augenblick fliegt ein grauer Schatten an
feinen Seinen vorbei und verschwindet unter dem Bett.
Der scheltende Hausmeister drängt sich mit erhobenem
Stock durch die Tür: „Ist er doch hinein zu Ihnen —
entschuldigen Sie nur, so'n Vieh, verrücktes! Den gan¬
zen Tag liegt der Kerl schon im Haus drunten herum,
aus allen Ecken habe ich ihn gejagt, doch krieg' ich ihn
nicht zu packen. Möchf nur wissen, wo er hingehört,
der Röter, der elendige! Zum Hundesänger müßt' man
ihn schassen, den Rumtreiber da, ohne Halsband, und
arg dreckig ist er auch, Herr, wird Ihnen 'ne schöne
Bescherung anrichten da drinnen. Gehst jetzt her, du
— —." Dem Alten mißfiel die heftige Art: .Lassen
Sie’s gut sein, werd' ihn nachher schon raustun, gehen
Sie ruhig, ich bringe ihn bann fort — und er schob
sachte den Hausmeister zur Tür hinaus.
Stille war nun im Zimmer. Rur das hasttge
Schaufen des gehetzten Hundes drang unter dem Bett
hervor. Der alte Mann rückte einen Schemel heran,
setzte sich, beugte sich tief herab und sah im Dunkel bes
Tieres leuchtenbe Augen. — „Na, was bist für einer,"
begann er mit leiser Stimme, „Ausreißer — he? Ha¬
ben sie bich gehetzt unb gejagt — kannst ja kaum jap-
pen, so arg bist gelaufen. Na, ruh' bich nur aus. Wirst
burftig fein nach ber Jagerei — ba — komm — her
— hier ist Wasser für dich." Mit dem Fuß schob er
eine flache Schale unter den Bettrand. — „Brauchst dich
nit fürchten — hab' keinen Stock, wie der ba braußen.
— Möchf wißen, warum bu entlaufen bist! War bein
Herr nicht gut zu dir — oder ist er gar tot? Ja, Bur¬
sche!, nun bist einsam, wirst nit leicht ein „Zuhaus"
wieder finden — schon, jetzt wagst dich schon ans Was¬
ser — gelt, das schmeckt auf den Dürft. Sieh an, hast
ja ein ganz feines Fell — nur arg zerzaust, als hätt's
schon lange keinen Ramm und keinen Striegel mehr
gesehen. No — so ist's schön, nun kriechst schon ein
Siück'l her zu mir. Rannffs wagen, Bursch, ich tu
dir nix! So — so -- ist', schon recht. Schöne braune
Augen hast, das muß man sagen — mit einem golbnen
Ringlein drin — aber wenn dir bas Haar so wüst in
bie Stirn hängt, möcht man meinen, bu seist ein Zi¬
geuner. No — no — erschrick nur nit Ich will bir*e
nur aus den Augen streichen — so — mußt nicht zit¬
tern — hier tut dir keiner was. Hier kommt keiner
rein — hier sind nur wir zwei. Zwei, die ganz allein
sind auf dieser Welt. Ja, Bürschel, siehst, mir gehfs
akkurat so wie dir — hab auch keine Seel auf der
Welt, die lieb zu mir wär. Schaust mich so traurig
an — tut's dir am End gar leid? Fühlst bu’s — roie’s
bem Allen ums Herz ist, so gottverlassen unb einsam
am ©ioefterabenb? — Romm, rück dicht her zu mir —
so ist's schon recht — war mir seit Jahren keine Seele
so nahe wie du. Wie weich unb warm du bist — wie
ich bein Herz schlagen fühl. Was leckst mir bir Hand?
Willst es gut mit mir meinen? — Mußt nit — geh
— mach mich nit weich. Was schaust mir so ernst ine
Gesicht? — Herrgott, Hund, wer hat dir bie Augen
gegeben — die wissen um Leid — die reden eine stumm«
Sprache von Seele zu Seele — meinen möcht man.
Rerl, in dein Fell hinein meinen, daß einmal die Trä¬
nen alles sortschrnemmen, was da Hartes liegt in der
Brust fett Jahren.' Unb aus bes Alten Augen tropf¬
ten die Tränen in des Hundes struppiges FÄl. Leif«,
den Kopf an bas Tier schmiegend, flüsterte er roetter:
„Wir gehören zusammen, mir zwei — mir bleiben bei¬
einander, gelt du? Schau, bringt mir das nette Jahr
diesmal doch was Liebes. Dir schenk ich für immer etn
Plätz'l bei mir."
Behutsam breitete ber alte Mann seine Decke über
bas mübe Tier unb lauschte beglückt dem tiefen, zu¬
friedenen Schnaufer, den es vor dem Einschlafen aus-
stieß. Eine Weile noch saß der Alte sttll vor sich hin-
finnenb auf seinem Platz. Sacht stahl sich ein mildes
Lächeln in feine Züge. Er erhob sich, vorsichtig, den
schlafenden Hund nicht zu wecken: „Schlaf — schlaf
nur — mein Rerlchen — ich komme gleich wieder —
will nur der kranken Zeitungsfrau drüben ’nen Taler
bringen--ich muß heut noch jemandem eine Freude
machen!"
Anekdoten um bekannte £eute
Krank
Joseph Kainz, der berühmte Schauspieler, mar tränt.
So krank, daß er das Bett hüten mußte. Er tonnte
nicht auftreten. Ein Kollege vertrat ihn.
„Nun, wie spielte der Kollege den Hamlet?" fragte
Kainz nach seiner Genesung den Theaterdirektor.
„Nicht besonders. Aber eins hat er vor Ihnen vor¬
aus!"
„Nanu," gab Kainz betroffen zurück, und das märe?"
„Er mar nicht krank," lautete die lakonische Antmort.
Die null
Victor Hugo wurde einmal in einer Gesellschaft
andauernd von einem ebenso unbedeutenden wie ein¬
gebildeten Schriftsteller belästigt. Das wurde dem be¬
rühmten Dichter aber so dumm, daß er meinte: „Mein
Herr, Sie sind zwar eine recht große Null, das berech¬
tigt Sie aber immer noch nicht, sich dauernd an mich
zu hängen!"
Lin Unterschied
Wilhelm Raabe suchte eines Tages seinen Arzt
auf. Bet dieser Gelegenheit wollte der Mediziner bem
Dichter ein Kompliment machen unb sagte: „Wir haben
eigentlich beibe einen sehr ähnlichen Beruf. Sie heilen
bie Pessimisten burch Ihre Bücher — unb ich bie Kran¬
ken burch meine Medizin."
Langsam unb bedächtig erwiderte Raabe: „Sehr
Recht, mein Lieber. Nur ist da ein kleiner Unterschied.
Ich kann die Menschen, die ich in meinen Romanen be¬
handle, sterben lassen. Sie dagegen haben alte Mühe,
bie Menschen, bie Sie behanbeln, am Leben zu lassen!"
Seltsame Antwort
Henrik Ibsen mürbe einmal von einem norme»
gischen Verehrer zu einer Feier eingelaben. Ibsen aber
lehnte mit ben Worten ab: ,Lch komme nicht. Denn
käme ich, so mürbe ich nicht reben. Unb bie anberen
Gäste mürben aus Angst auch nicht reben. Da ist es
schon besser, man ärgert sich über mein Nichtkommen
— ba hat man wenigstens etwas, worüber man aus¬
giebig reben kann!"
Echt Lenbach
Der berühmte Bilbnismater Franz von Lenbach
würbe einmal über seine Anschauung über bie Kunst
bes Zeichnens gefragt.
„Für mich," so antwortete Lenbach, gibt es brei Ka¬
tegorien von Zeichnern: Mater, die nicht gut zeichnen
können, auch wenn sie wollen — andre, die nicht gut
zeichnen wollen, auch wenn sie können — und solche,
bie gar nicht anbers als gut zeichnen können, auch wenn
sie durchaus nicht wollen!"