Full text: Fuldaer Zeitung (1938)

Auldaer Zeitung Jtr. 301 
Jahreswende 1938/1939 
«mMches Srelsbkatt 
2)as Stfuesteckind pecsäntlcfi 
Ede&nisUatt von tEetix Jliemkasten 
Wenn Sie sich Mühe geben, können Sie sich allerlei 
höchst sonderbar« Erscheinungen selber ausdenken. Zum 
Beispiel Sie sitzen nachmittags beim Kassee, die Tür 
geht auf, es ist um die Neujahrszeit herum, und herein 
kommt das Silvesterkind, persönlich. Es hat ein Wei¬ 
hes Kleidchen an, hinten Flügel, und in der Hand steckt 
«in Palmzweig. Das wäre eine höchst sonderbare Er¬ 
scheinung, denn darauf waren Sie nicht gefaßt. 
Wie nun aber, wenn nichts dergleichen geschieht, son. 
dern etwas ganz anderes? Wie nun, wenn Sie beim 
Kaffee fitzen, und plötzlich . . . 
Sie müssen juerft wissen, daß wir in einem eigenen 
kleinen Häuschen wohnen und uns viel darauf einbil¬ 
den, wie gut und sicher wir allemal abschließen, wenn 
wir ausgehen und das Häuselchen ganz sich selber über- 
lassen. Nur unser Kater Ali ist dann noch zu Hause. 
Er schläft in der Küche aus der Zentralheizung. Und 
wer zuletzt hinausgeht, schließt ab. Dann kann, so 
bildeten wir uns das bislang ein, niemand herein. Das 
soll auch keiner. Sondern, wenn alles zu ist, ist es zu. 
Und nun, während wir am letzten Tage des Jahres 
im Stübchen beim Kaffee sitzen, ahnungslosen Gemütes 
sind und ganz und gar nur bei uns sind, unter uns . . 
Plötzlich geht die Zimmertür auf, und es erscheint ein 
minderjähriger Knabe, ein kleiner, kurzer, minderjäh¬ 
riger Knabe, welcher lächelt. Er steht nur so da, mit¬ 
ten im Zimmer. Niemand kennt den Knaben. Er mag 
acht Jahre alt fein. 
Wer hat diesen Knaben hereingelassen? Hat die 
Tür offengestanden? Einer von uns steht auf, um . . 
,La", fragen wir, nachdem wir uns in der Gewalt 
haben, „was willst du denn?" 
Er will nicht das mindeste. Er sieht uns an, lächelt 
uns an und scheint sehr guten Mutes zu fein. 
Wir fragen ihn behutsam aus: „Wie heißt du denn? 
Wer bist du denn?' 
Das sagt er uns nicht. Er ist so jung und minder¬ 
jährig, daß Fragen nichts nützen. 
Schließlich fragen wir ihn: „Wie bist du denn her¬ 
eingekommen? Wer hat dir denn die Haustür aufge¬ 
macht?' 
Hier endlich löst sich feines Antlitzes Stummheit. Der 
ganze Knabe blüht auf in einem freudig stolzen Lächeln 
und stumm zeigt er uns, und stolz dazu, ein Ding vor, 
ein Drahtding ... O wehe, uns zwinkern die Augen, 
es ist ein starker, guter Dietrich, jenes Ding, mit dem 
die Herren Einbrecher und Diebe Türen öffnen. Und 
dies nun ist dieses Knaben Leidenschaft und Sport: er 
geht in alle Häuser, er hat einen guten Dietrich, er macht 
alle Türen auf und überrascht die Leute . . . 
Daß dich der Donner erschlage! 
Wir waren ganz blaß. Uns schmeckte der Kaffee 
nicht mehr. Wir kamen uns vor wie verloren. Und der 
Knabe, siehe, siehe, entschwand schon, ja, «r war 
schon entschwunden, denn seine Ausgabe hatte er gelöst. 
Wir wissen heute noch nicht, wer er ist und wo er 
wohnt . . . 
Begegnen wir diesem Knaben durch Zufall je ein¬ 
mal, so wollen wir ihm folgen und seine Herren Eltern 
zu sprechen versuchen. Einstweilen haben wir ein Kom. 
binationsschloß angeschafft, damit unsere Nerven wieder 
besser werden. Den Knaben aber, da wir ihn anders 
nicht benennen können, nennen wir „Dietrich". 
3Uub -1. Januar 1814 
Von Oberstleutnant a. D. B e n a r y 
Die Federfuchser waren wieder einmal nahe daran, 
tolles preiszugeben, was die Männer des Schwertes 
Mit viel Blut und Schweiß erstritten hatten. Seit Leip¬ 
zig trat man so gut wie auf der Stelle. Nicht genug, 
daß man Napoleon aus dem Netz, das sich zwischen 
Pleiße und Parthe um ihn zu ziehen drohte, hatte ent¬ 
schlüpfen lassen. Man stand leit Wochen tatenlos am 
Rhein herum, vergeudete Zeit mit fruchtlosen Verhand¬ 
lungen, anstatt dem weichenden Kaiser auf den Fersen 
zu folgen und mit ihm zugleich Paris zu erreichen. 
Politiker und Strategen, Diplomaten und Soldaten 
waren gleichmäßig schuld daran. Eine Dunstwolke der 
Völkerversöhnung und Völkerbeglückung vernebelte ihre 
Sinne. Die Feldherrngröße ihres ehemaligen Zwing- 
Herrn zeichnete sich trotz aller seiner Niederlagen im 
Sommer und Herbst noch immer als Schreckgespenst 
am militärischen Himmel ab. Man wollte nichts wissen 
von Vergeltung oder gar Rache am Tyrannen, man 
wollte dem Feinde von gestern die Freundeshand rei¬ 
chen, wiegte sich in dem Wahn, mit einem Frankreich, 
dem man die Rheingrenze zubilligte, selbst unter einem 
Napoleon in Frieden leben zu können. Man unter¬ 
schätzte die eigene Kraft, hörte allzusehr die Klagen 
besorgter Unterführer, die auf die Erschöpfung ihrer 
Truppen nach dem anstrengenden Herbstfeldzug hin¬ 
Wochen tagten, Anfang Dezember den Beschluß faßte, 
den Krieg nach Frankreich hinein zu tragen. 
Aber dieser Beschluß bedeutete noch keinen Marsch¬ 
befehl. Man zerbrach sich den Kopf Über einen Kriegs¬ 
plan und Übersah, daß er klar zutage lag, daß alles 
darauf ankam, den Gegner so schnell wie möglich mit¬ 
ten ins Herz zu treffen, also geradewegs auf Paris zu 
marschieren. An Generalen wie Fürst Schwarzenberg 
und Knesebeck, die bedauerlicherweise das Ohr ihrer 
Obersten Kriegsherrn, des Kaisers Franz von Oester¬ 
reich und des Königs Friedrich Wilhelm von Preußen 
hatten, waren die Lehren der zwanzig Jahre napo¬ 
leonischer Vernichtungsstrategie spurlos vorübergegan¬ 
gen, hatten nicht vermocht, sie von einer formalistischen 
Kriegsführung zu befreien, die ihr Heil in der Gewin¬ 
nung angeblicher gewichtiger strategischer Geländepunkte 
und in einer Manövrierkunst sahen, die den Gegner 
möglichst unblutig schachmatt setzen wollte. Selbst Gnei- 
senau schien ein paar Herzschläge- lang solchen Gedan¬ 
kengängen nicht unzugänglich zu sein. Dagegen blieb 
Clausewitz seinen Grundsätzen des absoluten Vernich¬ 
tungskrieges, des Marsches auf Paris, treu, und Blü¬ 
cher war es wieder einmal vergönnt, mit Gneisenaus 
Hilfe ihnen lebendige Wirklichkeit einzuhauchen. 
Eigentlich war ihm und feiner schlesischen Armee 
in den großen Operationen, die um die Dezembermitte 
fyinscMied 
Vier Elemente, 
innig gefeilt, 
bilden das Leben 
bauen die Welt. 
Preßt der Zitrone 
saftigen Stern! 
Herb ist des Lebens 
innerster Kern. 
Jetzt mit des Zuckers 
linderndem Saft 
zähmet die herbe 
brennende Kraft! 
Gießet des Wassers 
sprudelnden Schwall! 
Wasser umfänget 
ruhig das All. 
Tropfen des Geistes 
gießet hinein! 
Leben dem Leben 
gibt er allein. 
Eh' es verduftet, 
schöpfet es schnell! 
Nur wenn er glühet, 
tobet der Quell. 
Friedrich von Schiller. 
Carla Rust ist ge¬ 
wappnet 
M. Foto: Tobi» 
wiesen, auf die Stimme des Hinterlandes, die da mein¬ 
ten, man habe mit der Verjagung der Fremdlinge vom 
heimischen Boden genug getan, es sei schade um jeden 
Preußen, Russen oder Oesterreicher, der jenseits des 
Rheins fiele. Man traute einander selbst nicht, wollte 
lieber die eigene, bisher gemachte Beute in Sicherheit 
bringen als gemeinsam auf den winterlichen Gefilden 
Frankreichs um einen ungewissen Siegespreis ringen. 
Fürst Metternich spann seine unheilvollen Ränke, der 
russische Zar sonnte sich in der Rolle des Weltenrich¬ 
ters. Nur die preußischen Patrioten sahen klar, was 
auf dem Spiele stand, erkannten, daß ein Napoleon 
auf Frankreichs Thron niemals Ruhe geben würde, 
daß es eine Schande für die ganze Nation märe, wenn 
tie deutschen Brüder jenseits des Rheins zu französi¬ 
schen Bürgern gestempelt würden. Ernst Moritz Arndt 
schrieb seine Flammenschrift: „Der Rhein Deutschlands 
Strom — nicht Deutschlands Grenze' und Blücher 
wurde nicht müde zu wiederholen: „Der. Kerl muß 
runter!” 
Zum Glück schien auch der Gegenspieler, der Kaiser 
Napoleon, der mit fiebernder Hast die ihm gelassene 
Mutze zur Aufstellung neuer Heere benutzte, mit Blrnd- 
hen geschlagen. Er zögerte die Verhandlungen immer 
mteöer hinaus, bis selbst den Langmütigsten seiner 
Widersacher der Geduldsfaden riß und man in Frank- 
tun a. M., wo die Monarchen und ihre Berater feit 
eingeleitet wurden, nur eine Nebenrolle, die Deckung 
der Hauptarmee am Mittelrhein, zugedacht. Die Haupt¬ 
armee als Trägerin der Handlung sollte aus Südwest¬ 
deutschland in das Oberelsaß einbrechen, um durch die 
Burgundische Pforte das Plateau von Langres zu er¬ 
reichen, dem man als der dreifachen Wasserscheide zwi¬ 
schen dem atlantischen, mittelländischen und nordischen 
Meere aus besondere strategische Bedeutung zumaß 
Sowohl südlich wie nördlich der schlesischen Armee hat¬ 
ten starke Heeresteile bereits mehrere Tage, ja Wochen 
Zuvor den Rhein überschritten, als sie sich in der Neu- 
jahrsnacht anschickte, den deutschen Strom an drei Stel¬ 
len bei Koblenz, Kaub und Mannheim zu überqueren. 
Dennoch wurde die Tatsache, daß endlich auch Blücher 
aus dem Winterlager aufbrach, wurde Raub, der Ort, 
bei dem er mit der Kerntruppe seines Heeres, dem 
Uork'schen Korps, das linke Rheinufer betrat, ein leuch¬ 
tendes Fanal, das die schon tief gesunkenen Hoffnungen 
der Patrioten auf eine endgültige Abrechnung mit dem 
korsischen Eroberer aufs Neue belebte. Wußte man 
doch, daß der alte Haudegen beim Abmarsch in Frank¬ 
furt a. M. dem Freiherrn vom Stein in die Hand ver¬ 
sprochen hatte: „Vorwärts soll es gehen, dafür stehe 
ich ein!" und daß er dem Fürsten Metternich auf die 
Frage: „Wo sehen wir uns wieder?" lächelnd geant¬ 
wortet hatte: „In Paris, im Palais Royal!" 
Der Uebergang selber war schon von Romantik um¬ 
wittert: das verschneide Schetnstiwtchen, auf dessen hol¬ 
prigem Straßenpflaster die Hufe der Pferde klapperten, 
die Turmuhr, deren zwölf Schläge des Neuen Jahres 
erste Stunde kündete, der nachtbunkl« Strom, auf dem 
die Eisschollen talabwärts trieben, die knarrenden Brük- 
kenwagen, die gedämpften Befehle, das Klatschen der 
Ruder, das erlösende Hurrah beim Landen auf des 
Feindes Boden. Militärisch war das Unternehmen kein 
allzu großes Wagnis, das jenseitige Ufer war kaum 
bewacht und die Posten zogen sich nach ein paar wir¬ 
kungslosen Salven kampflos zurück. Der Brückenschlag 
steilich stieß auf unvorhergesehene Schwierigkeiten. Man 
hatte trotz der hohen Ufer, die bei einem etwaigen feind¬ 
lichen Widerstand Truppenentwicklungen nicht gerade 
günstig gewesen wären, Kaub als Uebergangsftelle ge¬ 
wählt, weil man an der Pfalzinsel auf der Strommitte 
einen natürlichen Brückenpfeiler zu Haden glaubte. Aber 
das russische Brückengerät — Leinwandpontons — und 
seine Verankerung erwies sich als zu schwach, wurde 
immer wieder vom Strom sortgerisfen, so daß 24 Stun¬ 
den vergingen, bis die Brücke fertig war und das Gros 
der Marschkolonne den Vorhutstaffeln, die in Kähnen 
den Fluß überschritten hatten, folgen konnte. Offizier 
und Mann lleßen sich das Warten nicht verdrießen, 
ließen die Gläser mit funkelndem Rheinwein in den 
rebenumsponnenen Gasthöfen des Ortes aieinanber klin¬ 
gen, sahen Hellen Auges der Zukunft entgegen, waren 
sich eins mit dem Feldmarschall: „Der Tyrann hat 
alle Hauptstädte besucht, geplündert und bestohlen. Wir 
wollen uns foroas nicht schuldig machen, aber unsere 
Ehre fordert das Vergeltungsrecht, ihn in feinem Nest 
zu besuchen." 
Wie bei Kaub war es auch bei Koblenz und Mann¬ 
heim glatt gegangen. Marmont, dem von Napoleon 
der Schutz des Mittelrheins anvertraut war, hatte sich 
völlig überrumpeln lassen. Er war wirklich in die Falle 
getappt, die Blücher nach rechter Husarenart ihm ge¬ 
stellt hatte, als er mit viel Lärm sein Hauptquartier 
wenige Tage vor Jahresschluß nach Frankfurt a. M. 
verlegte und es sich dort in behaglichen Bürgerquariie- 
ren anscheinend für lange Zeit einrichten ließ. So hatte 
der französische Marschall nirgends ausreichende Kräfte 
zu nachhaltigem Widerstand bereit und zog sich schleu¬ 
nigst in das Innere seines Landes zurück. Blücher 
konnte feiner „herzenslieben Frau" am 3. Januar 
schreiben, „der frühe Neujahrsmorgen war für mich 
erfreulich, da ich den stolzen Rhein passierte. Die Ufer 
Mit einem Sprung ins neue Jahr 
(Schöpke, Zander-Multiplex-K.) 
- 
ertönten von Freudengeschrei und meine Truppen emp¬ 
fingen mich mit Jubel", und er konnte an seinen Freund 
Bonin hinzusetzen „so lange der Rhein Rhein heißt, 
hat noch feine Armee von 80 000 Mann wohlfeiler ihn 
passiert als die meinige." 
SUuestecleeude eines Einsamen 
Erzählung von E. M. W ö tz e I 
Das Leben hatte ihm nichts erspart. Von seinem 
ersten Atemzug, den er in dieser Well tat, bis zum 
heutigen läge, da er mit grauem Kops einsam sein 
karges, selbstbereitetes Mahl verzehrte, hatte die Welt 
kaum ein freundliches Lächeln für ihn gehabt. Ein Un¬ 
fall in den ersten Lebenstagen lud dem zarten Knaben 
für die Dauer feines Lebens eine- entstellende Verwach¬ 
sung auf. Die liebelofe, fremde Umgebung, in der er 
nach dem frühen Tode beider Eltern aufwuchs, ver¬ 
hinderte jedes frohe Entfalten feiner kindlichen Seele. 
So schien ihm noch heute tn der Erinnerung feine Ju¬ 
gend nichts anderes als ein Glied in der Rette feines 
traurigen Daseins. Später kam neue Not hinzu. Hun¬ 
gern durchs Stubiutn. Betteln um Freistellen und 
Mittagstifche. Nur wenig helle Lichter leuchteten aus 
der Vergangenheit in die Erinnerung des alten Man¬ 
nes. — Dann — ja, dann kam die Zeit, die ihn vor¬ 
übergehend alles Bittere und Schwere leichter tragen, 
beinahe vergessen ließ. Er glaubte an aufrichtige, reine 
Siebe, an Treue. Er fand fine Existenz, gründete einen 
Hausstand. Ein kurzer Traum nur war's. Schon im 
zweiten Jahre feiner Ehe zerbrach das Gebäude feines 
Glücks. Jäh erkannte er Betrug und Verrat, sah, wohin 
er auch blickte, nur kalten Hohn und spöttisches Mit¬ 
leid. Angeekelt floh er, verlieh die Heimat und spann 
sich in eine Einsamkeit ein, die zu völliger Verbitterung 
führte. Unabläfsig wühlten die Gedanken im tiefen 
Leid vergangener Tage. — Monat um Monat, Jahr 
um Jahr wurden die harten Fallen um feine Augen, 
um feinen Mund tiefer. 
In einer großen Stadt, in einem hohen Miethaus 
lebte der Alle, fremd allen Hausgenossen, fremd dem 
Leben da draußen. Keiner ahnte die Wunden feiner 
Seele, keiner kannte fein liebefehnendes, verwundetes 
Herz, das sich heimlich verblutete. Gleichmäßig und 
grau vergingen ihm die Tage, er brauchte nicht zu hun¬ 
gern oder zu darben, aber ohne Freude war fein Da¬ 
sein. Er kannte keine Festtage mehr, seit jenem Tage, 
da in ihm alles zerbrach.-- 
Abend war es geworden. Der letzte Abend des 
alten Jahres. Regnungslos sitzt der alte, einsame Mann 
am Fenster seiner Stube und schaut auf die Straße hin¬ 
ab. Geschäftige Menschen eilen vorüber, drängen in 
die erleuchteten Läden. Freudige, festliche Stimmung 
liegt über dem abendlichen Verkehr. In wenigen Stun¬ 
den wird das neue, junge Jahr gefeiert.---Lau¬ 
tes Jammergeheul eines Hundes reißt plötzlich den Al¬ 
ten aus feinem Sinnen. So kläglich wird das Geheul, 
daß der alte Mann die Tür zum Stiegenhaus öffnet. 
Im gleichen Augenblick fliegt ein grauer Schatten an 
feinen Seinen vorbei und verschwindet unter dem Bett. 
Der scheltende Hausmeister drängt sich mit erhobenem 
Stock durch die Tür: „Ist er doch hinein zu Ihnen — 
entschuldigen Sie nur, so'n Vieh, verrücktes! Den gan¬ 
zen Tag liegt der Kerl schon im Haus drunten herum, 
aus allen Ecken habe ich ihn gejagt, doch krieg' ich ihn 
nicht zu packen. Möchf nur wissen, wo er hingehört, 
der Röter, der elendige! Zum Hundesänger müßt' man 
ihn schassen, den Rumtreiber da, ohne Halsband, und 
arg dreckig ist er auch, Herr, wird Ihnen 'ne schöne 
Bescherung anrichten da drinnen. Gehst jetzt her, du 
— —." Dem Alten mißfiel die heftige Art: .Lassen 
Sie’s gut sein, werd' ihn nachher schon raustun, gehen 
Sie ruhig, ich bringe ihn bann fort — und er schob 
sachte den Hausmeister zur Tür hinaus. 
Stille war nun im Zimmer. Rur das hasttge 
Schaufen des gehetzten Hundes drang unter dem Bett 
hervor. Der alte Mann rückte einen Schemel heran, 
setzte sich, beugte sich tief herab und sah im Dunkel bes 
Tieres leuchtenbe Augen. — „Na, was bist für einer," 
begann er mit leiser Stimme, „Ausreißer — he? Ha¬ 
ben sie bich gehetzt unb gejagt — kannst ja kaum jap- 
pen, so arg bist gelaufen. Na, ruh' bich nur aus. Wirst 
burftig fein nach ber Jagerei — ba — komm — her 
— hier ist Wasser für dich." Mit dem Fuß schob er 
eine flache Schale unter den Bettrand. — „Brauchst dich 
nit fürchten — hab' keinen Stock, wie der ba braußen. 
— Möchf wißen, warum bu entlaufen bist! War bein 
Herr nicht gut zu dir — oder ist er gar tot? Ja, Bur¬ 
sche!, nun bist einsam, wirst nit leicht ein „Zuhaus" 
wieder finden — schon, jetzt wagst dich schon ans Was¬ 
ser — gelt, das schmeckt auf den Dürft. Sieh an, hast 
ja ein ganz feines Fell — nur arg zerzaust, als hätt's 
schon lange keinen Ramm und keinen Striegel mehr 
gesehen. No — so ist's schön, nun kriechst schon ein 
Siück'l her zu mir. Rannffs wagen, Bursch, ich tu 
dir nix! So — so -- ist', schon recht. Schöne braune 
Augen hast, das muß man sagen — mit einem golbnen 
Ringlein drin — aber wenn dir bas Haar so wüst in 
bie Stirn hängt, möcht man meinen, bu seist ein Zi¬ 
geuner. No — no — erschrick nur nit Ich will bir*e 
nur aus den Augen streichen — so — mußt nicht zit¬ 
tern — hier tut dir keiner was. Hier kommt keiner 
rein — hier sind nur wir zwei. Zwei, die ganz allein 
sind auf dieser Welt. Ja, Bürschel, siehst, mir gehfs 
akkurat so wie dir — hab auch keine Seel auf der 
Welt, die lieb zu mir wär. Schaust mich so traurig 
an — tut's dir am End gar leid? Fühlst bu’s — roie’s 
bem Allen ums Herz ist, so gottverlassen unb einsam 
am ©ioefterabenb? — Romm, rück dicht her zu mir — 
so ist's schon recht — war mir seit Jahren keine Seele 
so nahe wie du. Wie weich unb warm du bist — wie 
ich bein Herz schlagen fühl. Was leckst mir bir Hand? 
Willst es gut mit mir meinen? — Mußt nit — geh 
— mach mich nit weich. Was schaust mir so ernst ine 
Gesicht? — Herrgott, Hund, wer hat dir bie Augen 
gegeben — die wissen um Leid — die reden eine stumm« 
Sprache von Seele zu Seele — meinen möcht man. 
Rerl, in dein Fell hinein meinen, daß einmal die Trä¬ 
nen alles sortschrnemmen, was da Hartes liegt in der 
Brust fett Jahren.' Unb aus bes Alten Augen tropf¬ 
ten die Tränen in des Hundes struppiges FÄl. Leif«, 
den Kopf an bas Tier schmiegend, flüsterte er roetter: 
„Wir gehören zusammen, mir zwei — mir bleiben bei¬ 
einander, gelt du? Schau, bringt mir das nette Jahr 
diesmal doch was Liebes. Dir schenk ich für immer etn 
Plätz'l bei mir." 
Behutsam breitete ber alte Mann seine Decke über 
bas mübe Tier unb lauschte beglückt dem tiefen, zu¬ 
friedenen Schnaufer, den es vor dem Einschlafen aus- 
stieß. Eine Weile noch saß der Alte sttll vor sich hin- 
finnenb auf seinem Platz. Sacht stahl sich ein mildes 
Lächeln in feine Züge. Er erhob sich, vorsichtig, den 
schlafenden Hund nicht zu wecken: „Schlaf — schlaf 
nur — mein Rerlchen — ich komme gleich wieder — 
will nur der kranken Zeitungsfrau drüben ’nen Taler 
bringen--ich muß heut noch jemandem eine Freude 
machen!" 
Anekdoten um bekannte £eute 
Krank 
Joseph Kainz, der berühmte Schauspieler, mar tränt. 
So krank, daß er das Bett hüten mußte. Er tonnte 
nicht auftreten. Ein Kollege vertrat ihn. 
„Nun, wie spielte der Kollege den Hamlet?" fragte 
Kainz nach seiner Genesung den Theaterdirektor. 
„Nicht besonders. Aber eins hat er vor Ihnen vor¬ 
aus!" 
„Nanu," gab Kainz betroffen zurück, und das märe?" 
„Er mar nicht krank," lautete die lakonische Antmort. 
Die null 
Victor Hugo wurde einmal in einer Gesellschaft 
andauernd von einem ebenso unbedeutenden wie ein¬ 
gebildeten Schriftsteller belästigt. Das wurde dem be¬ 
rühmten Dichter aber so dumm, daß er meinte: „Mein 
Herr, Sie sind zwar eine recht große Null, das berech¬ 
tigt Sie aber immer noch nicht, sich dauernd an mich 
zu hängen!" 
Lin Unterschied 
Wilhelm Raabe suchte eines Tages seinen Arzt 
auf. Bet dieser Gelegenheit wollte der Mediziner bem 
Dichter ein Kompliment machen unb sagte: „Wir haben 
eigentlich beibe einen sehr ähnlichen Beruf. Sie heilen 
bie Pessimisten burch Ihre Bücher — unb ich bie Kran¬ 
ken burch meine Medizin." 
Langsam unb bedächtig erwiderte Raabe: „Sehr 
Recht, mein Lieber. Nur ist da ein kleiner Unterschied. 
Ich kann die Menschen, die ich in meinen Romanen be¬ 
handle, sterben lassen. Sie dagegen haben alte Mühe, 
bie Menschen, bie Sie behanbeln, am Leben zu lassen!" 
Seltsame Antwort 
Henrik Ibsen mürbe einmal von einem norme» 
gischen Verehrer zu einer Feier eingelaben. Ibsen aber 
lehnte mit ben Worten ab: ,Lch komme nicht. Denn 
käme ich, so mürbe ich nicht reben. Unb bie anberen 
Gäste mürben aus Angst auch nicht reben. Da ist es 
schon besser, man ärgert sich über mein Nichtkommen 
— ba hat man wenigstens etwas, worüber man aus¬ 
giebig reben kann!" 
Echt Lenbach 
Der berühmte Bilbnismater Franz von Lenbach 
würbe einmal über seine Anschauung über bie Kunst 
bes Zeichnens gefragt. 
„Für mich," so antwortete Lenbach, gibt es brei Ka¬ 
tegorien von Zeichnern: Mater, die nicht gut zeichnen 
können, auch wenn sie wollen — andre, die nicht gut 
zeichnen wollen, auch wenn sie können — und solche, 
bie gar nicht anbers als gut zeichnen können, auch wenn 
sie durchaus nicht wollen!"
	        
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